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Wo ist die Sūra, die den Qurʾān übertrifft?
Der erhabene Qurʾān erhebt seit seiner ersten Rezitation einen provozierenden Imperativ an die Menschheit: Wer immer Zweifel an seiner Herkunft hegt, möge doch den Versuch unternehmen, auch nur eine einzige Sūra von vergleichbarer künstlerischer und geistiger Statur hervorzubringen (vgl. al-Baqarah 2:23). Diese Herausforderung ist kein bloßes linguistisches Ratespiel, sondern eine Prüfung der intellektuellen und ästhetischen Potenz des Menschen, die an den Fundamenten seiner Möglichkeiten rührt.
Dieser Aufruf fand in einer Hochkultur statt, deren Eliten als Virtuosen der arabischen Sprache galten; wandernde Shaʿir-Poeten wetteiferten auf den Märkten von ʿUkāẓ und anderen Foren mit extemporierten Oden von größter Raffinesse. Mehrere Zeitgenossen versuchten, dem Qurʾān literarisch Paroli zu bieten – doch selbst ausgewiesene Meister der Rhetorik erkannten bald die Unerreichbarkeit seines Rhythmus, seiner semantischen Schichten und seiner unverwechselbaren stilistischen Signatur.
Umso frappierender ist die historische Konstellation, dass der Gesandte Muḥammad ﷺ weder lesen noch schreiben konnte und dennoch–ohne literarische Vorbildung–den Qurʾān in vollendeter Form rezitierte und weitergab. Die Offenbarung verweist selbst darauf (al-ʿAnkabūt 29:48) und schließt so jeden Verdacht menschlicher Autorschaft aus.
Legen wir die melodische Kadenz, die semantische Dichte und die architektonische Kohärenz des Qurʾān neben die schnörkellose Alltagssprache des Propheten ﷺ, öffnen wir das Unübersehbare: Hier die transzendente Eloquenz der Offenbarung – dort die schlichte, unmittelbare Diktion des menschlichen Boten.
So bleibt die qurʾanische Herausforderung: ein dauerhafter Aufruf zur geistigen Reflexion, der jede Epoche dazu einlädt, sich an der unüberwindbaren Majestät dieser Schrift zu messen – und an ihr letztlich die Grenzen menschlicher Sprachschöpfung zu erkennen.
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Ist Arabisch ein Hindernis?
Die Frage, weshalb die letztgültige Offenbarung ausgerechnet im Gewand des Arabischen herabstieg, erschließt sich erst, wenn wir die historische, geografische und linguistische Singularität dieser Idiomatik bedenkt. Arabisch ist kein gewöhnlicher Kommunikationscode, sondern ein hochartikuliertes semantisches Geflecht, dessen Wurzelsystem, prosodische Architektur und polyedrische Bedeutungsfelder einen Nuancenreichtum entfalten, den nur wenige Sprachen ansatzweise erreichen. Ein „Qurʾān ʿarabiyy“ vermag die transzendenten Inhalte mit maximaler Präzision, rhythmischer Erhabenheit und ästhetischer Wucht zu vermitteln.
Die semantische Potenz dieser Sprache erklärt sich unter anderem aus der Jahrhunderte währenden kulturellen Isolation der Arabischen Halbinsel. Während Rom und Persien Imperien bauten, blieb das wüstenhafte Binnenland militärisch und ökonomisch unattraktiv; die Folge war eine geschützte Inkubationszone, in der Dialekte unverdünnt reiften und die Beduinen ihre intellektuelle Energie in die kunstvolle Verfeinerung von Metapher, Metrik und Morphologie kanalisierten. Wandernde Shaʿir traten auf den Märkten in poetische Duelle, wobei aus vermeintlicher Einöde eine unvergleichliche Sprachkultur erwuchs.
Dass Arabisch heute einen schier unerschöpflichen Lexikonschatz von etwa 12,3 Millionen Lemmeinträgen aufweist – gegenüber rund 600 000 im Englischen oder 150 000 im Französischen – ist deshalb kein Zufall, sondern Resultat dieses unbeeinflussten Feilens. Jede Wurzel bildet etymologische Fraktale, in denen Sinnschattierungen, Lautsymbolik und grammatische Flexibilität organisch verschmelzen. Übersetzungen können zwangsläufig nur Approximationen liefern; ein Teil der ursprünglichen Schönheits- und Bedeutungstiefe verflüchtigt sich in jeder Zielsprache.
Die Wahl des Arabischen war somit keine lokale Präferenz, sondern eine göttliche Strategie, die universale Botschaft in ein idiomatisches Medium zu kleiden, das gleichermaßen präzise, melodisch und semantisch überkomplex ist. So wird ersichtlich, dass der Qurʾān nicht trotz, sondern wegen seiner arabischen Form einen globalen Anspruch erhebt: Wer immer sich bemüht, in diese sprachliche Kathedrale einzutreten, entdeckt Schichten der Bedeutung, die zeit- und raumübergreifend gültig bleiben – und begreift, warum kein anderes Idiom seine Rolle hätte übernehmen können.
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Wie viele Welten verstecken sich zwischen den Zeilen?
Das alltägliche Gesprächsniveau der vormuḥammadischen Araber kulminierte in einer rhetorischen Virtuosität, die selbst beiläufige Unterhaltungen in kunstvolle Allegorien verwandelte: So beklagte einst eine Frau die Kargheit ihres Hausstandes, worauf ihr Gatte in lapidarer Lakonie erwiderte: „Ein heftiger Wolkenbruch hadert mit einem Haus auf des Hügels Gipfel.“
Hinter dieser scheinbar kryptischen Phrase steckt ein hermeneutisches Panorama: Der Regenschauer ist Chiffre für die überströmende Rizq-Großzügigkeit Gottes, das exponierte Haus symbolisiert jene geistig Erhabenen, deren Existenz sich oberhalb materieller Begehrlichkeiten bewegt; der himmlische Guss fließt an ihren Mauern herab und sammelt sich im Tal – dort, wo Bedürftige residieren und das niederrieselnde Nass in Form von irdischem Wohlstand empfängt. Die ausgesprochene Sentenz fungiert somit als poetisches Lehrstück über metaphysische Besitzverhältnisse: Wahre Fülle liegt nicht im Horten des Vergänglichen, sondern in der transzendenten Gelassenheit, weltliche Gaben durchzulassen.
Dass der Mann diese Botschaft in der Syntax täglicher Rede formulieren konnte, illustriert die geradezu barocke Lexikalität und semantische Tiefenschärfe des klassischen Arabischen – eine Sprache, deren feinverzweigtes Wurzelsystem es erlaubt, mit wenigen Worten ganze kosmologische Weltbilder zu evozieren. Wenn schon die improvisierte Lebensweisheit eines Beduinen solch metaphorischen Reichtum offenbart, lässt sich ermessen, welch überragende Eloquenz dem Qurʾān innewohnt, in dem nicht ein Mensch, sondern der Schöpfer selbst spricht und dessen Versarchitektur alle irdische Rede überragt.
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Wie authentisch ist der heutige Qurʾān-Text?
Hält das Mushaf, das wir in den Händen tragen, wortwörtlich jenes Licht fest, das einst in der Brust des Gesandten ﷺ entzündet wurde? Wäre auch nur eine Silbe posthum hinzugefügt, stünde das gesamte hermeneutische Gebäude auf wackligem Grund.
Schon wer die stilistische Souveränität der qurʾanischen Diktion kennt, ahnt, dass kein menschliches Genie—möge es noch so mit Rhetorik, Logik oder Ästhetik bewaffnet sein—solch transzendentes Sprachgewebe schöpfen könnte. Doch Authentizität darf sich nicht allein auf ein ästhetisches Axiom stützen; sie verlangt prüfbare Evidenzketten.
Der beliebte Vergleich mit dem Kinderspiel „Stille Post“ verkennt deshalb die soziolinguistische Realität des siebten Jahrhunderts. Der Qurʾān wurde in einer Hochkultur offenbart, deren kollektives Gedächtnis mündliche Dichtung in epischer Länge fehlerfrei tradieren konnte. Die Offenbarungen wurden sofort rezitiert, memoriert, öffentlich korrigiert und schrittweise auf pergamentäre Fragmente notiert. Hunderte—bald Tausende—von ḥuffāẓ internalisierten das göttliche Wort bis ins kleinste Prosodeme. Das rituelle Gebet fungierte als permanenter Audit-Mechanismus: Der geringste Lapsus des Imams wird bis heute zusammengesprungener Reihen korrigiert.
Hinzu tritt die göttliche Zusage: «Gewiss, Wir sind es, die die Ermahnung herabgesandt haben, und Wir werden ihr Hüter sein» (15:9). In der Hadith-Wissenschaft—mit ihren minutiösen Isnād-Netzen, Jarḥ-wa-Taʿdīl-Biografien und strengen Matn-Kriterien—entstand ein kritisches Instrumentarium, das selbst schwache Überlieferungen auf ein Authentizitätsniveau hebt, das andere antike Texte bei weitem übertrifft. Gegenüber diesem methodischen Bollwerk nimmt sich das Textschicksal alttestamentlicher, buddhistischer oder klassisch-griechischer Schriften flüchtig aus.
Der ehrwürdige Qurʾān jedoch rangiert noch über dieser schon rigiden Scholastik: Er ist das unangefochtene axiologische Zentrum, dessen Lautgestalt mutawātir—also in jeder Generation massenhaft und unabhängig bezeugt—überliefert wurde. Sunniten, Schiiten, ja selbst nischige Denkschulen stimmen in dieser Punktualität überein. Diese Konvergenz ist historisch einzigartig.
Dass der Text zudem in Millionen Zungen residiert—und nicht lediglich auf digitalen Servern—macht ihn nahezu unzerstörbar. Gingen sämtliche Cloud-Speicher in Rauch auf, reichten die ḥuffāẓ jedes Dorfes, um ihn binnen Stunden rekonstruiert zu rezitieren, zu schreiben und zu punctieren. Kein anderes literarisches Korpus—weder die homerischen Epen noch die Rig-Veda-Hymnen—genießt eine derart globale, synchronisierte und phonetisch exakte Bewahrung.
Kurzum: Der heutige Qurʾān ist das Resultat eines divin garantierten und menschlich hochinstitutionalisierten Bewahrungsprozesses. Er steht als einziger Text der Weltliteratur lückenlos auf seinem ersten Rezitator rückführbar—ohne syntaktische Erosion, ohne semantische Mutation, ohne editorische Fremdkörper.
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Wie entstand der Qurʾān in seiner heutigen Buchform?
Nach dem Tod des Propheten ﷺ entbrannte unter den Gefährten eine kontemplative Debatte über die optimale Konservierung des qurʾānischen Korpus. Die fragmentarischen Niederschriften – verstreut auf Pergament, Lederstreifen, Palmblätter und Schulterknochen – standen im Raum wie ein kostbares, doch ungebändigtes Mosaik. Größen wie Abū Bakr al-Ṣiddīq zögerten zunächst aus Ehrfurcht: Wie vermöchte man ein Projekt zu lancieren, das der Gesandte selbst nicht initiiert hatte? Gleichwohl öffnete sich, von göttlicher Eingebung geleitet, allmählich der Konsens, dass eine systematische Sammlung weder Neuerung noch Anmaßung, sondern ein Akt verantwortungsvoller Treuhänderschaft sei.
Mit dieser Einsicht begann man, die verstreuten Textzeugen zusammenzutragen und niemand eignete sich besser für diese pionierhafte Aufgabe als Zayd ibn Thābit – zugleich Sekretär der Offenbarung, philologisches Ausnahmetalent und hervorragendes Gedächtnis. Zwar wurden die Materialien sorgsam kolligiert, doch beließ man sie zunächst als gesicherten Manuskriptbestand; das Medium der Bewahrung blieb weiterhin primär die Memoria der zahllosen ḥuffāẓ, die den Qurʾān zyklisch rezitierten und somit jede Abweichung augenblicklich neutralisierten.
Erst unter dem Kalifat ʿUthmān ibn ʿAffān, als das islamische Imperium sich rasant über die Arabische Halbinsel hinaus ausdehnte, trat eine neue Dringlichkeit zutage: Die Gefahr divergierender Lesearten und dialektaler Varianten gebot eine kodikologische Standardisierung. Die ursprünglichen Blätter befanden sich inzwischen im Gewahrsam Ḥafṣas, der Tochter ʿUmars. ʿUthmān berief daher ein erlesenes Redaktionsteam – abermals unter Leitung Zayds –, das die schriftlichen Fragmente mit den massenhaft überlieferten Rezitationen synchronisierte und eine autoritative Fassung destillierte.
Nach minutiöser Kollation entstand der kanonische Muṣḥaf, dessen orthografische Matrix die semantische Integrität des göttlichen Wortes unversehrt konservierte. In einem Akt politisch-theologischer Weitsicht ließ ʿUthmān mehrere identische Exemplare dieses Archetyps anfertigen und an die Kernprovinzen des Reiches entsenden, flankiert von versierten Rezitatoren, welche die korrekte Vortragsweise verbürgten. So wurde nicht bloß ein Buch gebunden, sondern eine textuelle und akustische Einheitsnorm etabliert, die fortan gewährleistete, dass der Qurʾān weltweit in unverrückbarer Authentizität ertönt – ein triumphaler Schulterschluss von himmlischer Zusage und irdischer Sorgfalt.
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Welche Wirkung hat der Qurʾān auf die Menschen?
In einer der markantesten Episoden der mekkanischen Frühzeit versammelten sich die Wortführer der Quraisch zu einem konspirativen Konsilium, um das „Problem“ Muḥammads ﷺ - und jenes des Qurʾān - zu neutralisieren. Der Heilige Text, dessen poetische Magnitude die gesellschaftliche Statik erschütterte, entfaltete eine doppelte Sprengkraft: spirituell transformierend und zugleich sprachlich unerreichbar. Inmitten der Elite der Dichter fiel die Wahl auf ʿUtbah b. Rabīʿah - ein virtuoser Orator, dessen Zunge für ihre scharfe Eloquenz berühmt war. Ihm wurde aufgetragen, dem Propheten ﷺ mit diplomatischer Verheißung zu begegnen: luxurierender Reichtum, gesellschaftliche Primogenitur, erotische Wunscherfüllung, ja selbst politische Omnipotenz sollten Muḥammad ﷺ ablenken und die revolutionäre Botschaft zum Verstummen bringen.
ʿUtbah legte sein Angebot in samtweichen, gleichwohl kalkulierten Worten vor. Erst als er geendet hatte, erhob der Gesandte in charakteristischer Sangfroid seine Stimme, nicht mit einer Gegenrede menschlicher Provenienz, sondern in rezitierender Verkündung der Sūrat Fuṣṣilat. Der Effekt war kathartisch. Die lyrische Struktur, der semantische Tiefensog und die metaphysische Autorität zwangen selbst den geübten Dichtkünstler in eine existenzielle Überwältigung: Tränen überschwemmten sein Gesicht, die rhetorische Fassade zerbarst. Noch während der Rezitation unterbrach ʿUtbah flehend: „Genug!“ Als er in das Gremium der Quraisch zurückkehrte, bescheinigte er mit bebender Stimme: „Diese Worte werden die Welt verändern.“
Das Phänomen ist paradigmatisch für die eigentliche Natur des Qurʾān: eine muʿǧiza, jener begrifflich von ʿaǧz abgeleitete Zustand, in dem die menschliche Kompetenz kollabiert und alle Opposition resigniert. Die Gegner werden nicht argumentativ besiegt, sondern ästhetisch wie spirituell paralysiert. So zeigt sich die Wirkung des Qurʾān bis heute - ein Text, der nicht nur informiert, sondern transformiert, der nicht lediglich überzeugt, sondern überwältigt und der jede Opposition mittels seiner überragenden Majestät zum Verstummen bringt.
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Was macht den Sprachstil des Qurʾān göttlich?
Der genuin göttliche Charakter des Qurʾān offenbart sich vor allem in seiner sprachlichen Ontologie: Er sprengt das bipolare Schema klassischer Rede, das seit jeher in shiʿr (poetische Verskunst mit strengem ʿArūḍ-Metrum) und nathr (metrisch freie Prosa) dichotomisiert wird.
Im Reich der Lyrik herrschen fest codierte Metren—Ṭawīl, Kāmil, Basīṭ und Konsorten—deren periodische Silbengewichte eine melodische, doch begrifflich limitierte Ästhetik erzeugen. Prosa dagegen privilegiert semantische Präzision, verzichtet aber auf das kinetische Pathos des Takts. Der Mensch, gefesselt an diese binäre Matrix, vermag selten beides simultan: Verfällt er in Reim, opfert er Detailtreue; insistiert er auf Sachlichkeit, entgleitet ihm die musikalische Farbe.
Der Qurʾān durchbricht diese anthropogene Beschränkung, indem er eine syntaktische Architektur entfaltet, die perennierende Endreime und semantische Hochauflösung kohärent vereint. Sūrat an-Najm (53) etwa wahrt über 60 Verse hinweg die identische assonantische Schlusssilbe, ohne dass die inhaltliche Dichte erlahmt. An anderer Stelle moduliert die Offenbarung das Klangmuster situativ: warnende Passagen klingen hart und konsonantisch, tröstende Verse weich und vokalreich—eine phonotaktische Semantik, die kein menschlicher Stilist je systematisieren konnte.
Gleichzeitig verweigert sich der Qurʾān den 16 vorislamisch kanonisierten Metren der ʿArūḍ-Poetik. Seine rhythmische Pulsfrequenz oszilliert frei, erschafft gewissermaßen einen metapoetischen Modus: weder klassisches sajʿ (gebundene Reimprosa) noch geordnetes Versmaß, sondern eine neuartige Klang-Topologie, in der einzelne Vokabelformen wie Mosaiksteine symmetrisch, palindromisch oder ringkompositorisch (vgl. Sūrat al-Kahf) arrangiert sind.
Hinzu kommt eine rhetorische Multidirektionalität: Verse, die vorwärts und rückwärts gelesen identische syntaktische Kohärenz bewahren; Wortwurzel-Felder, die thematische Cluster bilden, in denen Lautsymbolik, Bedeutungsfächer und numerische Häufigkeit zusammenwirken; eine logische Stringenz, in der Rechtsnorm, Eschatologie und Kosmogonie in einem einzigen Atemzug verschmelzen.
Die brillantesten Philologen der Ğāhiliyya—selbst ausgesprochene Gegner der islamischen Botschaft—kapitulierten angesichts dieses Phänomens. Da es weder in die Kategorie shiʿr noch nathr passte, prägten sie für den Qurʾān eine dritte literarische Gattung, mitunter als kalām ilāhī bezeichnet: göttliche Rede sui generis, deren stilistische Singularität als Evidenz ihrer transzendenten Provenienz gilt.
So liegt das eigentlich Wunderbare nicht allein in der erschütternden Botschaft, sondern in der linguistischen Epiphanie, die jeden Versuch menschlicher Imitation ad absurdum führt. Der Qurʾān präsentiert eine sprachliche Symbiose, die das prädigitale Gedächtnis der Menschheit über Jahrhunderte hinweg auswendig trägt, gerade weil sie sich rational nicht an die Gesetze gewohnter Textsorten ketten lässt. Eine Rhetorik, die Herzen bewegt, Intellekte fordert und zugleich jede menschliche Kategorisierung elegant überschreitet.
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Hat der Qurʾān von der Bibel abgeschrieben?
Die These, der Qurʾān sei lediglich ein Epigon biblischer Texte, verdankt sich zumeist reflexhaften Vorurteilen, nicht einer quellenkritischen Analyse. Muhammad ﷺ wirkte im arabischen 7. Jahrhundert – einem Milieu, in dem Schriftgut rar, die Alphabetisierung marginal und jüdisch-christliche Kodizes in Hebräisch, Altgriechisch oder Syrisch nur in klösterlichen Archiven zirkulierten. Ein ummī-Prophet, weder Leser noch Schreiber, hätte kaum Zugang zu diesen Pergamenten besessen, geschweige denn die sprachliche Kompetenz, sie auszuwerten und syntaktisch wie stilistisch zu übertreffen.
Doch selbst wenn man hypothetisch annähme, er habe sich heimlich solcher Quellen bedient: Warum finden sich im Qurʾān keinerlei der historisch-wissenschaftlichen Anachronismen, die in der Bibel nachweislich auftreten? Ein paradigmatisches Beispiel liefert die Titulatur ägyptischer Herrscher: Archäologische wie epigrafische Befunde zeigen, dass der Hoheitstitel Pharao erst ab dem Neuen Reich (ca. 1550 v. Chr.) als offizielle Prädikation etabliert wurde; zuvor firmierten die Regenten schlicht als Könige. Das alttestamentliche Joseph-Narrativ spricht dennoch vom „Pharao“ – eine nachträgliche Retrojektion. Der Qurʾān hingegen wahrt akribische terminologische Präzision: In Sūrat Yūsuf nennt er den Machthaber zur Zeit Josefs malik (König), während er für die Epoche Mūsās – historisch korrekt – firʿaun verwendet.
Wie hätte ein Wüsten-Arabier ohne philologischen Werkzugang und ohne ägyptologische Forschung im Rücken diese Differenzierung treffen können? Das Phänomen wiederholt sich in diversen Passagen: kosmologische Allusionen, embryologische Metaphern, ozeanographische Hinweise – allesamt frei von den Diskrepanzen, die ältere Schriften tragen. Daraus folgt kein fragloser Beweis, wohl aber ein gravierendes Argumentum e silentio: Jede Theorie menschlichen Abschreibens muss erklären, warum der Qurʾān systematisch dort korrigiert, wo seine vermeintliche Vorlage irrt.
Überdies transzendiert der Qurʾān die narrativen Konturen biblischer Geschichten, indem er theologische Universalität und sprachliche Singularität verschmilzt: Er greift Abraham, Mose oder Jesus nicht als literarische Lehnfiguren auf, sondern als Glieder einer einheitlichen prophetischen Kette, mit neu akzentuierten geistigen Topoi. Sein rhetorisches Gewebe – weder klassisches shiʿr noch gewöhnliche nathr – erschafft eine dritte, göttliche Kategorie.
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Enthält der Qurʾān Begriffssymmetrien?
Unter den zahllosen sprachlichen Virtuositäten des Qurʾān verblüfft auch ein Phänomen, das weder in klassischer Poesie noch in nüchterner Prosa je in solcher Systematik begegnet: die lexikalische Symmetrie. Bestimmte Termini erscheinen in exakt gleichhäufiger Frequenz – ein semantisches Kräfteparallelogramm, das zugleich theologische Balance und ästhetische Harmonie schafft.
Malaʾika (Engel) und Šayāṭīn (Teufel) – jeweils 88-mal: kosmischer Dualismus in absoluter Parität.
Dunyā (diesseitiges Leben) und Āḫira (Jenseits) – je 115-mal: Erinnerung daran, dass irdische und transzendente Sphäre gleichgewichtig zu bedenken sind.
Raǧul (Mann) und Imraʾa (Frau) – je 24-mal: linguistisches Echo der ontologischen Gleichwertigkeit der Geschlechter.
Ṣāliḥāt (gutes Handeln) und Sayyiʾāt (schlechtes Handeln) – je 167-mal: moralische Symmetrik, die menschliche Entscheidungsfreiheit spiegelt.
Ǧazāʾ (Vergeltung/Belohnung) und ʿAmal (Tat) – je 107-mal: Korrelation von Aktion und Konsequenz in perfekter Zahlgleichheit.
Diese tabellarische Feinabstimmung ist indes nur ein Teil des rhetorischen Eisbergs.
Eine zweite Ebene offenbart numerische Codes, die natur- und kalendarische Konstanten widerspiegeln:
Das Wort yawm („Tag“, Singularform) taucht 365-mal auf – kongruent zur Zahl der Tage eines Sonnenjahres.
Der Terminus šahr („Monat“) erscheint 12-mal – äquivalent zu den zwölf Monaten des Mond- oder Sonnenkalenders.
Noch kühner wirkt das prozentuale Spiegelspiel zwischen terrestrischer Topografie und Qurʾān-Statistik: Die Wörter māʾ („Wasser“) und barّ / ǧazīra u. a. („Land“) stehen im Verhältnis 72 : 28 – eine verblüffend genaue Approximation des globalen Verhältnisses von Hydrosphäre zu Festland.
Gleichwohl entfaltet der Qurʾān ein textuelles Netzwerk, in dem Klang, Ziffer und Bedeutung zu einem symphonischen Organismus verschmelzen. Die früharabische Kritik, fasziniert und überrumpelt zugleich, erkannte rasch, dass hier eine neue literarische Ontologie am Werk ist. Die wiederkehrenden Äquivalenzen fungieren nicht als Spielerei, sondern als semiotische Signatur des Göttlichen: Jede Symmetrie ein Siegel, jede Zahlkorrespondenz ein Hinweis darauf, dass das Offenbarungswort sich selbst strukturell verifiziert.
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Wer macht wie der Qurʾān solche Vorhersagen?
Mitten im politisch aufgeladenen Geflecht des siebten Jahrhunderts, als zwei Supermächte–Byzanz und das Sassanidenreich–um die Vorherrschaft der Alten Welt rangen, erhob sich der Qurʾān als Stimme zeitloser Souveränität. Die junge muslimische Umma, von Mekkas Polytheisten belächelt und militärisch bedrängt, fand in den Offenbarungen nicht nur spirituellen Trost, sondern auch eine intellektuelle Strategie gegen den Zeitgeist.
Als die persischen Legionen 614 n. Chr. Jerusalem eroberten und kurz darauf bei Antiochia einen verheerenden Sieg über die byzantinischen Truppen davontrugen, bejubelte Quraisch den vermeintlichen Triumph des Götzendienstes über den monotheistischen „Volk der Schrift“. Genau in dieser Lage setzt die Qurʾān-Passage an, deren Kühnheit bis heute verblüfft:
«Ghullibat r-Rūm … wa-hum min baʿdi ghalabihim sayaghlibūna fī biḍʿi sinīn» Die Römer wurden geschlagen – doch nach ihrer Niederlage werden sie in wenigen (drei bis neun) Jahren wieder siegen. (30 : 2-4).
Diese Verheißung war mehr als eine religiöse Parole; sie stellte eine messerscharfe Prognose dar, deren Falsifikation binnen eines Jahrzehnts das gesamte Prophetenprojekt hätte diskreditieren können. Dennoch verbreitete sich unter den Gläubigen eine beispiellose Zuversicht. Einige Muslime wagten sogar Wetteinsätze mit mekkanischen Adligen – nicht aus Spieltrieb, sondern als performativen Akt des Vertrauens in die Unfehlbarkeit der Offenbarung.
Geschichtschronisten wie Theophylakt Simokates und später Tabarī dokumentieren, dass der byzantinische Kaiser Herakleios nach einer Phase völliger militärischer Erschöpfung einen genialen Gegenschlag entwarf: 622 zog er über den Kaukasus in den persischen Hinterraum, isolierte die Sassaniden von ihren Ressourcen und schlug sie 627 vor den Toren Ninive in die Flucht. Exakt sieben Jahre nach der Qurʾān-Prophezeiung kehrten die Machtverhältnisse sich um – präzise innerhalb des zuvor angegebenen „biḍʿ sinīn“.
Für die Mekkaner war die Episode ein Schockmoment; für die Muslime wurde sie zum empirischen Gütesiegel der göttlichen Rede. Der Qurʾān hatte nicht nur ein scheinbar unrealistisches politisches Szenario vorhergesagt, sondern auch dessen enges Zeitfenster fehlerlos definiert – ein intellektueller Coup, der jede Zufallshypothese blass erscheinen lässt.
In der Weltgeschichte existieren nur wenige Texte, deren prophetische Präzision derart nachprüfbar ist – und keiner verband sie jemals mit einer umfassenden spirituellen Kosmologie wie der Qurʾān.
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Wer schafft solche literarische Kunst wie der Qurʾān?
Wenn wir die Sure Yūsuf mit philologischer Lupe betrachten, enträtseln wir ein rhetorisches Artefakt, dessen Komposition sich zwischen poetischer Finesse und narrativer Ingenuität bewegt und doch jeder menschlichen Konstruktionslogik spottet. Die gesamte Episode–auf knapp vierzehn Qurʾān-Seiten verdichtet–folgt einem kunstvollen Chiastikon: Zwölf inhaltliche Module spiegeln einander achsensymmetrisch, sodass jeder Konflikt der ersten Hälfte in der zweiten Hälfte kongenial beantwortet wird.
Modul Inhalt der Exposition (1-6)
Spiegelung in der Auflösung (7-12)
1 Yūsufs prophetischer Traum
6 Erfüllung des Traums
2 Neid und Verrat der Brüder
5 Reue und Bitte um Vergebung
3 Versuchung der Hausherrin
4 Hausherrin gesteht Schuld
4 Komplott der adeligen Damen
3 Geständnis der Damen
5 Unrechtmäßige Inhaftierung
2 Freilassung und Rehabilitierung
6 Traum des Königs
1 Traumdeutung durch Yūsuf
Diese ringförmige Dramaturgie ruht auf einer doppelten Achse: Im Zentrum (Module VI/VII) steht die königliche Vision, deren Deutung Yūsufs Erhöhung einleitet; nach außen hin verlaufen die Ereignisse in strikt invertierter Reihenfolge, bis der Eröffnungstraum realgeschichtlich einrastet.
Gleichzeitig bleibt der parabolische Gehalt–Verrat, Keuschheit, göttliche Vorsehung–unvermindert klar. Reimschlüsse, Binnenassonanzen und polysyntaktische Perioden korrespondieren modellhaft mit der jeweiligen Handlungsspannung: harsche Konsonanten in der Brunnen-Szene, gleitende Diphthonge beim Wiedersehen der Familie. Dass diese stilakrobatischen Kunstgriffe ohne Schriftentwurf, ja direkt aus dem Mund eines ummī-Propheten rezitiert wurden, unmittelbar nachdem sie ihm von Allāh offenbart worden, dekonstruiert jede naturalistische Erklärungsversuchung.
Ein moderner Autor bräuchte Notizzettel, Mind-Maps und etliche Fassungen, um eine derart isomorphe Makrostruktur fehlerfrei zu layouten. Der Qurʾān hingegen präsentiert sie ex tempore, als sei sie ein organisches Ganzes. Genau hierin liegt das verborgene Wunder dieser Sure: Der Inhalt ist nicht bloß erzählerisch brillant; er ist so präzise kalibriert, dass Form und Botschaft ineinander verzahnt sind wie die Zähne eines perfekt gefrästen Zahnrads–ein unmissverständliches Indiz dafür, dass wir es mit keiner menschlichen Handschrift, sondern mit einer göttlichen Signatur zu tun haben.
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Was sagt der Qurʾān über das Universum?
Der Qurʾān entwirft ein kosmologisches Panorama, das erstaunlich kongruent zu modernen Befunden der Astrophysik wirkt und dies in einer Sprache von beispielloser Präzision und ästhetischer Würde.
Der singuläre Ursprung (21 : 30)
Die Himmel und die Erde werden als «ratq» – eine makroskopische, fest verschmolzene Einheit – beschrieben, die dann «fa-faqannāhumā» getrennt wird. Der nominalisierte Ausdruck ratq suggeriert den Endzustand maximaler Dichte; er evoziert nahezu die Phase null eines kosmologischen Modells, das wir heute Urknall nennen.
Die Antithese ratq / fatq erzeugt eine lautmalerische Spannung zwischen dumpfem, geschlossenem qāf und dem explodierenden fāʾ-Anlaut des Folgeverbs – ein klangliches Echo des kosmischen Aufsprengens.
Zugleich verweist derselbe Vers darauf, dass alles Lebendige aus Wasser hervorgeht – eine Beobachtung, die Biochemie und Kosmologie überraschend elegant synthetisiert.
Die fortlaufende Expansion (51 : 47)
«Wa-ssamāʾa banaynāhā bi-aydin wa-innā la-mūsiʿūn» – Wir errichteten den Himmel mit Macht, und Wir weiten ihn beständig aus.
Das Partizip mūsiʿūn (Ausdehnende) beschreibt einen gegenwärtigen, kontinuierlichen Prozess; seine semantische Elastizität ist offen genug, um sogar die inzwischen nachgewiesene beschleunigte Expansion einzuschließen. Die Nobelpreis-gekrönten Arbeiten von 2011 wirken hier wie eine späte Fußnote zu einem Vers, der vor 14 Jahrhunderten offenbart wurde.
Die Kugelgestalt und Rotation der Erde (39 : 5)
Der Vers «yukawwiru al-layla ʿala an-nahār – Er rollt die Nacht über den Tag und den Tag über die Nacht» bedient sich des Verbs kawwara (einen Turban um den Kopf winden). Die lexikalische Wurzel K-W-R impliziert Rundung, Rotationsbewegung und Kontinuität. Bereits Ibn Ḥazm (11. Jh.) deutete diese Passage als Hinweis auf die sphärische Erde, die sich selbst umhüllt und damit Tag und Nacht zyklisch erzeugt – ein intuitiver Vorgriff auf die heutige Geophysik.
Bahnen und Umlaufmechanik (21 : 33)
«Kullun fī falakin yasbaḥūn – Alles schwebt in seiner Umlaufbahn.» Die Vershälfte zählt 11 Buchstaben und liest sich – in Uthmānī-Orthographie – vorwärts wie rückwärts. Diese jinās-artige Palindromie (kull-un fī falak-in ya-s-ba-ḥū-n) spiegelt die zirkulare Bahnordnung wider.
Die syntaktisch maskuline Pluralform des Verbs yasbaḥūn wird im Qurʾān normalerweise für personifizierte Akteure verwendet; Es steht im jamʿ mudhakkar sālim; ein grammatischer Hinweis, dass hier nicht tote Himmelskörper, sondern aktive Akteure (Sonne, Mond, Nacht, Tag, Mensch) in eine gemeinsame kosmische Choreographie eingebettet sind.
Diese Passagen sind nur Fragmente eines weitgespannten Textgewebes, in dem kosmische Realien, spirituelle Leitgedanken und sprachliche Kunst zu einer intellektuellen Einheit verschmelzen – ein Indiz dafür, dass der Qurʾān weder mythologische Spekulation noch zufällige Beobachtung, sondern bewusste Offenbarung einer transzendenten Quelle ist.
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Was sagt der Qurʾān über den Ozean?
Der Qurʾān evoziert auch in der Domäne der Ozeanografie eine erstaunliche Vorstellungskraft, die weit über das Erfahrungswissen der spätantiken Araber hinausreicht – Menschen, die in einer überwiegend ariden Landmasse lebten, kaum seefahrerische Tradition pflegten und deren erstes nennenswertes Flottenprojekt erst in der Umayyaden-Epoche stattfand.
Die duale Wasserwelt und ihre بَرْزَخ-Schranke (25 : 53; vgl. 55 : 19-22)
Derjenige ist es, der die zwei großen Gewässer freisetzt – dieses süß und labend, jenes salzig und herb – und zwischen ihnen einen barzakh sowie eine unüberschreitbare Grenzbarriere etabliert.
Im Arabischen gilt بَحْر (baḥr) als Sammelbegriff für jedes weiträumige Gewässer – eine Semantik, die weit über die Vorstellung des offenen Ozeans hinausreicht und auch grandiose Flussmündungen wie die des Nil, des Euphrat oder gar das mäandernde Delta des Amazonas einbezieht. Demgegenüber steht بَرْزَخ (barzakh), abgeleitet von der Wurzel ب-ر-ز „zwischenliegen, abgrenzen“, für eine unsichtbare, doch eminent wirksame Grenzschicht, die zwei Wasserwelten voneinander separiert.
Die heutige Ozeanografie erkennt in dieser Vorstellung ihr Pendant in der barrier layer oder freshwater lens: eine leichtere, süßwassergetränkte Decke, die sich bei starkem Flusseintrag wie ein hauchdünner Schleier über das schwerere Salzwasser legt, den vertikalen Austausch unterbindet und so eine eigenständige Schichtung hervortreibt. Insbesondere vor gewaltigen Deltas, etwa dem des Amazonas, breitet sich diese Süßwasserlinse kilometerweit aus und kann mehr als dreißig Meter mächtig werden – ein hydrodynamisches Phänomen, das nach den Analysen von Balaguru et al. (2012) sogar die Intensivierung tropischer Wirbelstürme moduliert.
Die Quraisch waren Wüstenkaufleute; ihr begrenzter See-Kontakt beschränkte sich auf sporadische Rotmeer-Küstenfahrten. Nautische Terminologie – geschweige denn physikalische Schichtenmodelle – gehörte nicht zu ihrem Bildungskanon. Michael Cook notiert daher pointiert, der Qurʾān spreche von Seefahrt „in einer Weise, die bei einem Autor ohne nautische Erfahrung überraschen muss“, und fügt lapidar hinzu: „Der Einwand erlischt, wenn man Gott als Autor akzeptiert.“
Siehe: Reclams Universal-Bibliothek. 18652, Reclam, Ditzingen 2009
Die Poetizität des Verses liegt darin, dass er makro- und mikrohydrologische Ebenen zugleich berührt: Die „beiden Meere“ bleiben – trotz realer Berührung – in Geschmack, Dichte und Farbe distinkt; ihre marj-Vermengung endet am barzakh.
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Was sagt der Qurʾān über den Wasserkreislauf?
Bereits in der spätantiken Welt zerbrachen sich Gelehrte den Kopf darüber, woher die unerschöpflichen Quellen der Berge ihr Wasser beziehen. Aristoteles postulierte eine Kondensation der Luft in unterirdischen Kavernen, während Anaxagoras von gewaltigen Reservoirseen im Erdinneren ausging – beide Hypothesen erwiesen sich als eloquente, doch letztlich irrige Spekulationen. Erst mit den Arbeiten eines Pierre Perrault und Edme Mariotte im 17. Jahrhundert setzte sich empirisch durch, dass Regenwasser versickert, in den Poren der Lithosphäre reservoiriert und als Quelle reemergiert.
Der Qurʾān hingegen artikuliert dieses Konzept mit souveräner Selbstverständlichkeit, als bewegte er sich längst jenseits der antiken Irrtümer. „Hast du nicht gesehen, dass Gott Wasser aus dem Himmel herabsendet, dann lässt Er es als Quellen durch die Erde hindurchwandern?“ (39 : 21)
Das Verb سَلَكَ (salaka) bedeutet „einen Weg bahnen, etwas in Kanäle einführen“; im perfektiven Tempus schildert es eine vollendete, aber fortwirkende Aktion: Das Regenwasser wird regelrecht eingefädelt in ein labyrinthisches Kapillarsystem, bis es an der Oberfläche als يَنَابِيع (yanābīʿ, artesische Schüttungen) hervortritt. Damit beschreibt der Vers exakt die Prozesse der Infiltration, perkolativen Tiefenströmung und hydrostatischen Exfiltration, die heutige Hydrogeologen mithilfe von Tracern und Isotopenbalancen quantifizieren.
Die qurʾanische Hydrologie beschränkt sich jedoch nicht auf die Subsurface-Phase. Ein ganzheitliches Zyklusmodell zeigt sich über einen Korpus weiterer Verse: Aus feuchten Passatwinden lässt Er transozeanische Verdunstung ansteigen (vgl. 15 : 22: وَأَرۡسَلۡنَا ٱلرِّیَاحَ لَوَٰقِحَ – „Wir entsandten die Winde als Befruchter“), treibt diese Wasserdunstmassen zu Orographen, wo sie kondensieren (24 : 43), lässt sie „auf Abruf“ niedergehen (بِقَدَرٍ مَعۡلُومٍ, 23 : 18) und verteilt sie „nach Maß“ über die Einzugsgebiete (7 : 57). Anschließend folgt, wie 39 : 21 weiter ausführt, die Vegetationsphase: فَأَخۡرَجۡنَا بِهِۦ زَرۡعًۭا – eine klare Anspielung auf Transpiration, Photosynthese und schließlich die Rückführung von Wasser in die Atmosphäre.
Der Qurʾān operiert nicht mit mythopoetischen Chiffren, sondern mit terminologischer Präzision: مَطَر (Regen als Massenereignis), غَيْث (regenbringende Hilfe), سُحُب (Schichtwolken), رَوَاسِى (Gebirgsanker, die den orographischen Hebungsprozess initiieren).
In summa entfaltet die Schrift ein hydrologisches Modell, das vom atmosphärischen Verdunstungsvorgang über die cloud microphysics bis zur Grundwasser-Recharge reicht und dabei in jeder Phase eine linguistische Markierung setzt, die spätere Wissenschaft präzis verifizieren konnte.
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GlaubenskreuzungEN
Göttliche Wahrheiten, menschliche Wege
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Ist ein Kopftuchverbot mittlerweile gerechtfertigt?
Ein Kleidungsstück, das alle beschäftigt, außer die, die es tragen. Die muslimische Frau mit ihrem Kopftuch wird für diese Gesellschaft wohl stets ein enigmatisches Rätsel bleiben. Denn sie vereint zwei Protagonisten in einer Person, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Einerseits stellt sie eine geradezu existentielle Bedrohung für die freiheitlich-demokratische Ordnung dar – eine Gefahr, vor der man sich pflichtgemäß zu fürchten habe. Andererseits steht das Kopftuch gleichzeitig symbolisch für die patriarchale Dominanz, sprich: für vollkommene Unterdrückung und Entmündigung der Frau.
Verstehen wir das richtig? Die einen möchten die angeblich geknechtete Dame gegen ihren erklärten Willen retten und streben deshalb nach einem Kopftuchverbot. Die anderen hingegen sehen im Kopftuch die sinnbildliche Speerspitze eines vermeintlichen „Scharia-Feldzugs“ und möchten deshalb ebenfalls ein Verbot erzwingen. Also eine vermeintlich entrechtete Frau avanciert zum bedrohlichen Subjekt, das eigenhändig die Freiheit abzuschaffen droht?
Wir sagen, Frauen mit einem Stück Stoff auf dem Kopf bedrohen unsere Gesellschaft mit Sicherheit nicht. Sie tragen dieses Tuch auch keineswegs, weil es von einem sinistren Patriarchat eingefordert wird – eigentlich dürfte dies jedem vernunftbegabten Beobachter klar sein. Niemand möge uns bitte weismachen, er würde ernsthaft eine Bedrohung in Frauen mit Tüchern sehen, schon gar nicht, wenn er diese zeitgleich für unterdrückt hält.
In Deutschland besuchen rund eine halbe Million muslimische Schülerinnen die Schulen. Doch anders als bei ihren männlichen Glaubensgenossen schwebt bei diesen Mädchen stets die latente Bedrohung im Raum, dass sie eines Tages ganz unvermittelt mit einem Kopftuch im Unterricht erscheinen könnten. Das vormals unbeschwerte und sorglose Mädchen wurde gewiss von einem autoritären Familienoberhaupt unter die verhassten Tücher gezwungen. Rasch tritt sodann ein besorgter Schulpsychologe oder ein empathischer Vertrauenslehrer auf den Plan, um diskret, aber bestimmt nach dem psychischen Wohlergehen der vermeintlich entrechteten jungen Dame zu fragen und ihr versichernd beizustehen – falls auch sie, wie angeblich unzählige Leidensgenossinnen zuvor, Opfer einer patriarchal verordneten Zwangsverschleierung geworden sein sollte. Diese Interventionen, verlaufen ausnahmslos unidirektional!
Andersrum, ein Mädchen, das jahrelang Kopftuch getragen hat und plötzlich ohne zur Schule kommt, sie kann lange warten, bis jemand auf die Idee kommt und fragt, ob sie vielleicht gegen ihren Willen gezwungen wurde, dieses Kopftuch abzulegen. Tatsächlich kennen wir mittlerweile diverse Fälle, in denen das Gebaren an der Schule, sobald ein Mädchen erstmals das Kopftuch trägt, an subtilen Druck bis hin zu Nötigung erinnert. Hierbei ist nicht zwingend eine bewusste Islamfeindlichkeit zu vermuten. Vielmehr sehen wir die Ursache in dem verwurzelten gesellschaftlichen Stereotyp, wonach eine Frau niemals aus eigenem Antrieb ein Kopftuch tragen würde und folglich stets ein autoritärer Mann im Hintergrund lauern müsse, der ihr mittels Drohungen und Sanktionen diese Entscheidung aufzwingt.
Wir würden gar nicht bestreiten, dass es sowas gibt. Ebenso wenig darf jemand ernsthaft in Abrede stellen, dass auch das gegenteilige Szenario Realität sein kann – nämlich, dass ein junges Mädchen aus eigenem Antrieb und authentischer Überzeugung ein Kopftuch tragen möchte, ihr aber genau dies von der eigenen Familie, obwohl muslimisch geprägt, energisch verwehrt wird. Stellen wir uns einfach ein Grundschulmädchen vor, das schlicht der Mutter nacheifern möchte – ein Phänomen, welches durchaus altersgerecht und völlig gewöhnlich ist. Eigentlich ist das völlig albern, doch wäre es nicht klüger und gelassener, in einem solchen Fall zunächst ein vernünftiges Gespräch mit der Klassenlehrerin zu führen – gemeinsam mit der Tochter – anstatt sofort ein gesellschaftliches Drama epischen Ausmaßes zu inszenieren?
Unterdessen werden in Deutschland Stimmen laut, die vehement ein Verbot sogenannter „Kinderkopftücher“ fordern. Diese argumentieren, dass Kinder frühestens mit Erreichen der Religionsmündigkeit, also etwa im Alter von 14 Jahren, eigenständig und unbeeinflusst entscheiden dürften, ob sie ein Kopftuch tragen wollen oder nicht. Denn, und nun bitte aufmerksam folgen: Wenn muslimische Eltern ihrer zwölfjährigen Tochter Bekleidungsvorschriften auferlegen, dann handelt es sich um blanke Tyrannei. Treffen hingegen nichtmuslimische Mitbürger für dasselbe Mädchen Kleidervorschriften, ist dies Ausdruck reinster Freiheit.
Doch dreht sich diese Diskussion tatsächlich um die oft zitierte persönliche Entfaltung des Kindes? Könnte man nicht, ganz pragmatisch gedacht, gezielt jene Mädchen unterstützen, die nachweislich nicht freiwillig ein Kopftuch tragen (sofern sie denn wirklich existieren)? Und wer kümmert sich eigentlich um jene zahlreichen Kinder, deren elterliche Garderobenvorgaben sich nicht auf Kopftücher beschränken? Wenn beispielsweise ein zehnjähriger Junge sich sehnlichst grüne Haare wünscht und die Mutter daraufhin dramatische Nervenzusammenbrüche erleidet, oder ein zwölfjähriges Mädchen mit bauchfreiem Oberteil, Minirock und Highheels in die Schule möchte und ihre Eltern sich mit Händen und Füßen gegen ihre „freie Entfaltung“ stemmen – müsste dann nicht längst der schulpsychologische Krisenstab ausrücken? Würden Schulen tatsächlich bei derartiger Hingabe die Freiheit ihrer nichtmuslimischen Schüler überwachen, wie sie das derzeit bei muslimischen Schülerinnen mit Kopftuch tun, so stünde uns zweifellos ein Bildungswesen kurz vor dem Kollaps bevor.
Ein Kopftuch symbolisiert keineswegs Unterdrückung, noch steht es per se für Freiheit. Diese Wahrnehmung zu teilen, ist keineswegs verwerflich. Unsere Religion, mit all ihren Vorschriften, steht gelegentlich im Kontrast zur vorherrschenden gesellschaftlichen Norm hierzulande und es gibt durchaus Momente, in denen das Befolgen dieser Regeln eine Herausforderung darstellen kann. Doch zahlreiche Frauen empfinden es als wahrhaft befreiend, ein Kopftuch zu tragen. Für Nicht-Muslime, die in dieser Kultur aufgewachsen sind, mag es schwer nachvollziehbar sein, wie befreiend es sein kann, sich nicht ständig den neuesten modischen Trends zu unterwerfen oder stets makellos gestylt sein zu müssen. Andererseits gibt es auch Frauen, die das Kopftuch als eine Einschränkung erleben, sei es aufgrund der Blicke anderer, Problemen im Berufsleben oder einem generellen Gefühl des Unbehagens. Es gibt auch Stimmen, die bekunden, ohne religiöse Vorschrift würden sie sich gegen das Tragen eines Kopftuchs entscheiden.
Wir sagen, dass Allah (s.) uns keine Vorschriften macht, um selbst daraus Nutzen zu ziehen. Das ergibt natürlich Sinn. Wir sind es, die daraus Vorteile ziehen können. Doch das bedeutet nicht, dass es immer einfach oder angenehm ist. Und kein Muslim ist verpflichtet, dies so zu empfinden. Am Ende zählt, dass man die Vorschriften befolgt oder zumindest versucht, ihnen nachzukommen.
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Evolutionstheorie oder Religion?
Der Diskurs im vorgeblichen Spannungsfeld von Schöpfung und Evolution gehört gleichwohl zu den erstaunlichsten Beispielen menschlicher Borniertheit und Eindimensionalität, sowohl auf Seiten religiöser Realitätsverweigerer als auch auf Seiten hochnäsiger Religionskritiker. Während der Schlachtruf der einen „Schöpfung statt Evolution“ und der anderen „Evolution statt Schöpfung“ lautet, scheint keiner der beiden häufig ideologisch geradezu geblendeten Parteien aufzufallen, dass diese beiden Konzepte einander nicht im Geringsten ausschließen müssen.
Kategorische Ablehner der biologischen Evolution stehen einer erdrückenden Beweislage gegenüber. Auch wenn noch keine naturwissenschaftliche Theorie bisher in der Lage ist, das Entstehen der überwältigenden Systemkomplexität des organischen Lebens auf diesem Planeten in hinreichender Weise aus den bisher bekannten Naturgesetzen herzuleiten, ist Evolution im Sinne einer Entwicklung bzw. teilkontinuierlichen Veränderung und Anpassung von Lebewesen mittlerweile nicht nur eine irreversibel bewiesene Tatsache, sondern kann teilweise sogar direkt beobachtet werden, sei es an Mikroorganismen, Meerestieren oder Reptilien. Dies bedeutet selbstverständlich weder, dass keine Fragen mehr offen sind, noch, dass dadurch die Beweiskraft der Schöpfung für die alles durchdringende Weisheit des Allschöpfers und sein allumfassendes Wissen im Geringsten vermindert wird.
Umso mehr irritiert es, wenn Referenten oder Autoren den kompletten Zusammenbruch ihrer eigenen Glaubwürdigkeit oder zumindest wissenschaftlichen Zuverlässigkeit riskieren, indem sie, auf das Thema angesprochen, Evolution völlig ohne Differenzierung rundweg ablehnen, oder, noch desaströser, bei ihren Widerlegungsversuchen den Blick auf eklatante Wissenslücken freilegen und nebenbei zeigen, dass sie die „Evolutionstheorie“ nicht einmal in ihren Grundzügen verstanden haben. (Gerne kündigen sich derartige Selbstdemontagen durch das Festklammern an dem Terminus „Theorie“ an.) Eine häufige Form der Ablehnung ist die fast sofort erfolgende Aussage, der Mensch könne nicht vom Affen abstammen, wiewohl die Evolutionsbiologie weder behauptet, der Mensch stamme vom Affen ab, noch die Hominisation der hauptsächliche Gegenstand dieser Wissenschaft ist, sondern vergleichsweise eher ein Randthema darstellt.
Da es im Ehrwürdigen Quran - im Gegensatz zur Bibel - nicht einen einzigen Vers gibt, mit dem sich eine aufsteigende Entwicklung der Tiere und Pflanzen aus einem gemeinsamen Ursprung - nicht einmal über Artengrenzen hinweg - ausschließen lässt und allenfalls der Mensch eine Ausnahme darstellen könnte, lässt sich über den Grund derartiger undifferenzierter Reaktionen einiger Muslime auf die Evolutionsthematik höchstens spekulieren, insbesondere, da sich mit Ibn Khaldun scheinbar schon vor über 500 Jahren und spätestens seit dem frühen 20. Jahrhundert bekannte muslimische Quranexegeten und Intellektuelle, darunter der damalige Großscheich der Azhar Universität Muhammad Abduh, der Autor des Al-Manar-Qurankommentars Rashid Rida, der einflussreiche Quranexeget Sayyed Qutb, der Intellektuelle und Qurankommentator Muhammad Asad, ja in Ansätzen sogar der Rechtsgelehrte Yusuf al Qaradawiy und viele andere sich durchaus zumindest eine „programmierte“ oder „gesteuerte“ Evolution vorstellen konnten bzw. können.
Ist vielleicht in den letzten Jahrzehnten der Kolonialherrschaft oder kurz danach, in den fünfziger und sechziger Jahren, als der Sozialismus mit seinen bekannten materialistischen Implikationen in muslimischen Ländern Wurzeln zu schlagen versuchte, die Evolutionslehre in den Bildungseinrichtungen absichtlich und demonstrativ als Widerlegung eines Teils der islamischen Kerndogmatik eingeführt worden, so dass einigen Muslimen bis heute der hypnotische wie irrationale Eindruck, sie sei blanke Entkennung und Ketzerei, in den Knochen sitzt? Eine weitere Rolle könnte die heutige, mittlerweile stark angewachsene „Einschüchterung“ vonseiten atheistischer Aktivisten durch ihre provokative bis aggressive Anführung der Thematik als antireligiöses Argument spielen.
Psychologisch lässt sich die Entstehung einer Aversion gegen ein Faktum, auf das der ideologische Gegner am liebsten hinweist, relativ gut erklären. Das Ganze besitzt auch die soziokulturelle Komponente der Neigung von Überzeugungsgemeinschaften, sich von typischen kulturellen Merkmalen, zu denen subjektiv der stolze Hinweis auf eine besondere Lehre gehören kann, möglichst abzugrenzen (nicht unverbreitet ist unter Muslimen z.B. noch im Zeitalter der Vorbereitung auf bemannte Marsmissionen der Zweifel an der US-Landung auf dem viel leichter erreichbaren Mond).
Hinzukommt die Beflügelung durch neue, vermeintlich wissenschaftliche Argumente einer lautstarken christlich-fundamentalistischen „Kreationismus“-Bewegung: So manchem fällt es wohl schlichtweg leichter, sich die genussfertig verpackten, teils widerlegten, teils stumpfen Argumente evangelikaler Realitätsverweigerer zueigen zu machen, als die Mühe auf sich zu nehmen, das tatsächliche Verhältnis zwischen dem Faktum der Evolution und der Lehre des Ehrwürdigen Quran zu erforschen, und dazu noch zu riskieren, von nur oberflächlich hinsehenden Opportunisten und Übertreibern des Abfalls vom Glauben bezichtigt zu werden, was mindestens den Verlust eines Großteils der Anhängerschaft zur Folge hätte.
Evolution - FAKT oder FAKE? - Marcel Krass
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Ist eine muslimische Mehrheit eine Bedrohung?
Gewiss, ihr habt bereits von der demonstrativen Toleranz vernommen, die Muslime im Westen augenfällig zur Schau stellen? Unter dieser polierten Fassade verbergen sich jedoch Andeutungen einer divergenten Realität. Im gesellschaftlichen Diskurs wird der Islam oft als Inbegriff der Intoleranz und als latente Bedrohung charakterisiert. Doch im Exil der westlichen Hemisphäre inszenieren wir Muslime meisterhaft das Bild der Friedfertigkeit, ohne jemals die proverbialle Katze aus dem Sack zu lassen.
Aber ja, wir kennen doch diese altbewährte Masche. Solange sie in der Minderheit sind, schwingt der Zepter der Toleranz mit einer gewissen Leichtigkeit. Reflektieren wir über die Epochen, in denen Christen Jerusalem beherrschten und stellen diese den Zeiten gegenüber, als Andalusien unter der Ägide der sogenannten intoleranten Muslime stand, vor der Reconquista. Berücksichtigen wir die Diversität der Glaubensgemeinschaften, die im einstigen muslimischen Herrschaftsgebiet bis heute fortbestehen, einige sogar wieder in der Mehrheit sind oder es stetig waren.
Doch dieses Klischee des bösen Islams, der jede andersgläubige Minderheit auslöscht, ist genau das. Ein Klischee. Wir hätten nicht einmal die Annalen der Geschichtswissenschaften durchforsten müssen, um dies zu erkennen.
Es ist keineswegs unsere Intention, ein idyllisches Bild der islamischen Historie zu malen. Über 1400 Jahre, die sich über diverse Kontinente erstreckten, umfassten eine Vielzahl von Herrschern, deren Regierungsgeschick oft nur euphemistisch als tyrannisch beschrieben werden kann. Praktiken, die in den Geschichtsbüchern eher als dunkle Kapitel geführt werden, sind zweifellos vorhanden gewesen. Wie auch in jeder anderen Kultur. Muslime bilden da keine Ausnahme.
Doch die Vorstellung, der Islam erziehe seine Anhänger dazu, nur andere Muslime zu tolerieren, ist schlichtweg absurd. Gewiss, es mag heute Muslime geben, die eine engere Interpretation bevorzugen, doch sind sie nur die berühmte Ausnahme, die die Regel bestätigt. Doch was wäre ein Islamhasser ohne sein Arsenal an altbewährten Feindbildern, um seinem irrationalen Hass den Anschein von Rationalität zu verleihen? Die Tatsache, dass die Realität oft eine andere Sprache spricht, scheint dabei nur eine untergeordnete Rolle zu spielen.
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Ist LGBTQ+ mit dem Islam vereinbar?
Vor wenigen Tagen erhielt ich eine pedantisch formulierte E-Mail, in der ein äußerst engagierter Zeitgenosse die „ökonomische Unzumutbarkeit“ unserer fünf täglichen Ṣalāh–Intervalle beklagte: Schlafdeprivation, Arbeitsrecht, circadiane Dysbalance – das ganze Register säkularer Besorgnis. Ich erläuterte nüchtern die spirituelle Chronobiologie des Gebets und verwies auf Flexibilitätsklauseln der Scharia. Erst am Ende gestand der Autor, er sei gar kein Muslim; das Phänomen berühre ihn lediglich „kulturell“.
Seltsam oder? Ich habe natürlich keine E-Mail erhalten, solche außenstehende Anteilnahme an genuin innerislamischen Obliegenheiten sind, wenn überhaupt, sehr selten. Mit einer singulären Ausnahme: Sobald es um Sexualethik geht, erklingt das inquisitorische Interesse ungleich lauter – gerade von denen, die den normativen Anspruch des Islam überhaupt nicht teilen. Also vorweg: Dieser Beitrag richtet sich an unsere Brüder und Schwestern im Islam!
Nun, fangen wir mit der Frage an, ob ein Muslim „homosexuell sein dürfe“. Bereits diese Formulierung verlangt Präzision: Homosexualität – ebenso wie Heterosexualität – beschreibt zunächst nur ein inneres Affektgeschehen. Solche Neigungen sind im islamischen Vokabular ḫawāṭir – flüchtige Eingebungen, für die der Mensch erst dann haftbar wird, wenn er sie in manifestes Handeln überführt (ʿamal).
Ist die sexuelle Auslebung erlaubt?
Für das islamische Ethos gilt indes seit jeher ein klarer Grundsatz: jegliche sexuelle Betätigung – hetero-, homo- oder anderweitig – ist ausschließlich im Rahmen einer nikāḥ, also der sakral-rechtlichen Verbindung von Mann und Frau, erlaubt. Die Ehe ist dabei kein bloß romantisches Arrangement zweier Liebender; sie ist – sozial-ökonomisch betrachtet – das institutionelle Gefäß für Fortpflanzung, Verantwortungsübernahme und intergenerationelle Kontinuität, weshalb auch unser säkularer Staat den Eheverbund fiskalisch subventioniert; Steuerliche Privilegien honorieren nicht das Privatvergnügen zweier Menschen, sondern den öffentlichen Mehrwert der Familiengründung. Liebe, Haushaltsgemeinschaft oder bloße Koitusfreude mögen schön sein, rechtfertigen aber keine gesellschaftliche Sonderstellung – sie existieren in unzähligen Konstellationen!
Das ist Intolerant?
Ab heute bin ich kein Mann mehr ... Die Sache ließe sich als Kuriosität abtun, beträfe sie nur sportliche Fairness, doch wenn ein biologischer Mann in den Damentoilettenbereich eintritt, empfinden zahlreiche Frauen Unbehagen. Warum muss ausschließlich sein subjektives Wohlgefühl respektiert werden, nicht das der anwesenden Damen? Wer legt fest, wessen Emotionen normativen Vorrang erhalten?
Wer also aus dieser Wertung bereits „Intoleranz“ destilliert, setzt Toleranz mit Applauspflicht gleich. Der Begriff Toleranz wird im öffentlichen Diskurs geradezu inflationär appliziert, oft ohne jede begriffliche Schärfe. Toleranz bedeutet wörtlich: etwas dulden, das man missbilligt. Ein Phänomen, das mich erfreut, muss ich nicht „tolerieren“, ich genieße es; erst dort, wo meine normative Ablehnung auf ein Faktum stößt, beginnt Toleranz. Folgerecht kann das Etikett intolerant nur gegen jemanden erhoben werden, der die bloße Existenz einer abweichenden Praxis unterdrücken möchte.
Manch einer besitzt profundes Fachwissen und fühlte sich „innerlich“ zum Doktor berufen. Reicht dieses Selbstempfinden, um die akademische Titelführung einzuklagen? Analoge Sachlichkeit sollte auch im Geschlechtsdiskurs gelten: Subjektives Empfinden allein kann keine biologischen Konstanten suspendieren.
Aber es schadet doch niemanden?
Ist das wirklich so? Ok, wir gehen davon aus. Dies wäre aus islamischer Sicht notwendig, aber nicht hinreichend. Eine folgenlose Lüge, heimlicher Ehebruch oder Inzest ohne Fortpflanzung können ebenso „opferlos“ erscheinen und bleiben dennoch moralisch deformiert. Ethik reduziert sich nicht auf Schadensprävention; sie orientiert sich an einer transzendenten Ordnung (ḥukm Allāh), die das Gute auch jenseits unmittelbarer Nutzen-Kalküle definiert.
Ich bin so geboren?
Das bleibt erstmal empirisch umstritten. Es lässt sich bislang keine deterministische, rein biologische Ursache für gleichgeschlechtliches Begehren nachweisen. Wären Gene allein ausschlaggebend, müssten monozygote Zwillinge (100 % identisches Erbgut) stets dieselbe Orientierung teilen. Das Gegenteil ist der Fall: Eine Meta-Analyse sämtlicher bevölkerungsrepräsentativer Zwillingsstudien meldet eine weit von 100 % entfernten Konkordanz-Unterschied, der zwingend auf nicht-genetische Einflüsse verweist.
Aber egal ... Es wäre ethisch sowieso unerheblich. Ein immenses Begehren ist kein Freibrief zur Grenzüberschreitung. Auch Zorn, Habgier oder das Verlangen nach Alkohol mögen angeboren sein; das moralische Subjekt zeichnet sich dadurch aus, dass es Impulse kultiviert oder zügelt. Der Mensch erhält Würde gerade dadurch, dass er ALLE seine Impulse im Lichte göttlicher Norm bändigt. Wer einen Sportwagen so sehr begehrt, dass er bereit wäre, ihn zu stehlen, bleibt Dieb – ungeachtet der Inbrunst seines Verlangens.
Ebenso wenig rechtfertigt der brennende Wunsch nach partnerschaftlicher Intimität ein sexuelles Verhältnis, das der Scharīʿa widerspricht. Dieses Prinzip betrifft im übrigen auch geschiedene Mütter mit Kindern oder ledige Brüder über 40 stehen in unserer Community oft ebenfalls vor verschlossenen Türen. Träume platzen, Wünsche bleiben unerfüllt – für Singles, Verwitwete, Kranke wie für Homosexuelle. Unser endgültiges Genießensrecht liegt jenseits dieser Welt; das Paradies ist die Bühne der ungetrübten Erfüllung. Bis dahin gilt: as-ṣabr wa-t-taqwā – Standhaftigkeit und Gottesbewusstsein.
Warum erlauben wir dann nicht auch Inzest?
Fast alle Kulturen verbieten intime Beziehungen zwischen Geschwistern, Eltern und Kindern. Die gängige Behauptung, dieses Tabu sei rein utilitaristisch – also wegen möglicher Erbkrankheiten – entstanden, hält einer intellektuellen Prüfung kaum stand. Aber ok, wer das Schadensargument konsequent zu Ende denkt, müsste koitale Kontakte zwischen sterilisierten oder postmenopausalen Verwandten moralisch freigeben und sich sogar empören, wenn man sie kritisiert.
Eine postmenopausale Mutter und ihr erwachsener Sohn? Kein reproduktives Risiko, also moralisch einwandfrei? Zwei sterilisierten Geschwister? Genetisch folgenlos, folglich kein Tabu? Konsequenter noch: Menschen mit schweren Erbkrankheiten oder geistigen Einschränkungen müsste man—nach derselben Logik—die Fortpflanzung verbieten, weil die Wahrscheinlichkeit genetischer Belastungen signifikant erhöht ist. Tatsächlich jedoch gewährt jede humane Rechtsordnung auch ihnen das Recht auf Ehe und Nachkommenschaft; andernfalls näherten wir uns eugenischem Totalitarismus.
Also nein, Inzestverbote fungierten als zivilisatorischer Schutzmechanismus für Rollenstabilität, Würde und sakrale Ordnung innerhalb der Sippe. Um eine erhöhte Mutationslast empirisch wirklich zu greifen, müsste man über Instrumente verfügen, die vormoderne Gesellschaften schlicht nicht besaßen: Populationsstatistik, um hunderte Vergleichsfälle auszuwerten; ein mendelsches Vererbungskonzept (erst 1900 rezipiert) zur Modellierung rezessiver Allele; und molekularbiologische Diagnostik, die Chromosomenanomalien oder Sequenzmutationen sichtbar macht. Inzestfälle liefern sonst keine verlässliche Evidenz, weil genetische Schädigungen heterogen auftreten—mal erst nach mehreren Generationen enger Inzucht, mal lediglich als subtiles Stoffwechsel- oder Immundefizit.
Wer Kriege als Beweis gegen die Prophetie Muhammads ﷺ anführt, aber Mose lobt, bringt uns tatsächlich zum lächeln. Wer das Inzestverbot verteidigt, jedoch homosexuelle Praxis mit der Formel „zwei Erwachsene, die niemandem schaden“ rechtfertigt, misst mit zweierlei Maß. Intellektuelle Redlichkeit verlangt, dass wir eigene Maßstäbe auf alle Fälle anwenden, nicht nur selektiv.
Tiere sind auch homosexuell?
Das verfehlt den Kern jeder ernsthaften Ethik. Die natürliche Präsenz eines Phänomens legitimiert es noch lange nicht normativ. Löwen töten bei der Rudelübernahme alle fremden Jungtiere, Katzen verpaaren sich unbefangen mit Geschwistern und manche Insektenweibchen verspeisen ihr Männchen nach der Kopulation – alles „natürlich“, aber doch kein moralisches Modell für uns Muslime. Selbst wenn ein Trieb genuin biologisch wäre, bliebe sein Ausleben regulierbar; auch das legitime Streben nach Selbsterhalt wird etwa durch das Diebstahls-Verbot begrenzt.
Islam verbietet Liebe?
Liebe ist weder verboten noch geboten, sondern eine emotionale Qualität, die sich jeder juristischen Normierung entzieht – wie Blau oder die Zahl 22. Was die Scharīʿa regelt, ist (wie zuvor erwähnt) nicht das Gefühl. Der rhetorische Kunstgriff, Liebe mit sexuellem Vollzug zu identifizieren („Wenn ihr das verbietet, verbietet ihr die Liebe“), ist so unsauber wie die Gleichsetzung von „Mithilfe im Haushalt“ und „Sklaverei“. Er soll das Gegenüber in ein Dilemma zwingen, ohne das Argument sachlich zu tragen.
Der Islam ist nicht zeitgemäß?
Deskriptiv korrekt, aber formal trivial: Es hat sich lediglich die westliche Mehrheitsmeinung in den letzten Jahrzehnten verschoben. Nirgendwo folgt daraus, dass das Zeitgemäße ipso facto moralisch richtig wäre. Verlassen wir uns hierauf als letztbegründendes Kriterium, müssten wir die im Islam zuvor untersagte Sklavenhaltung im 18. Jahrhundert, Hexenverbrennung oder Rassentrennung im 20. als legitime „Zeitphänomene“ absegnen.
Unser letztes Wort
Muslime haben die Pflicht, zwischen Person und Praxis zu unterscheiden. LGBTQ+ Gläubige benötigen empathische Begleitung, keinen inquisitorischen Eifer. Gleichzeitig bleibt die Norm unverrückbar: Sexualität gehört in die Ehe zwischen Mann und Frau, weil nur dieser Bund die biologische und zivilisatorische Grundlage sichert – und vor allem, weil der Schöpfer allen Seins es so bestimmt hat. Die islamische Sexualethik beruht auf einer Synthese von metaphysischer Teleologie, anthropologischer Einsicht und gesellschaftlicher Nachhaltigkeit. Sie verweigert sich der Doktrin „Anything goes, solange niemand leidet“ und plädiert für eine Ethik der Barmherzigkeit bei klarer Normtreue. Wer das Spannungsfeld zwischen individueller Neigung und göttlicher Ordnung annimmt, darf auf das qurʾanische Versprechen hoffen.
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Brauchen wir einen Gott?
Die Frage, ob der Mensch eines Gottes bedarf, ist der archimedische Punkt nahezu aller ethischen, metaphysischen und zivilisatorischen Diskurse. Betrachten wir sie unter der Lupe nüchterner Vernunft, so tritt ein Befund zutage, den kein intellektueller Redlichkeitstest übersteht: Ohne eine transzendente Referenz droht jede Moral in den Sumpf des Relativismus abzusinken.
Denn die menschliche Ratio ist fragmentarisch, perspektivisch und gefärbt von Affekten. Erhebt man individuelle Präferenzen zum obersten Wertmaßstab, verflüssigt sich die Kategorie des Verbindlichen: Alles gilt – und damit nichts. Gott jedoch, der per definitionem jenseits unserer Unvollkommenheit waltet, fungiert als Fixstern moralischer Koordinaten.
Ein kurzer Blick in die Vormoderne genügt, um dies zu illustrieren. Die vorislamischen Araber pflegten einerseits die Abscheulichkeit, neugeborene Mädchen lebendig zu verscharren und verboten andererseits bestimmte Früchte aus purem Aberglauben. Solch groteske Inversionen moralischer Prioritäten belegen, wie leicht eine Gesellschaft ohne objektiven Anker in Willkür abgleitet.
Auch das 20. Jahrhundert liefert ein beredtes Contra factum gegen die Annahme, säkulare Ideologien könnten Gott mühelos ersetzen. Die stalinistischen Vernichtungslager und der industriell perfektionierte Mord nationalsozialistischer Provenienz zeigen, wohin rein menschliche Konstruktionen von „Ethik“ taumeln können, wenn sie sich absolut setzen. Religion durch Ideologie zu substituieren erwies sich als Pyrrhussieg – erkauft mit Abermillionen Leben.
Voltaire spitzte es zu: „Gäbe es Gott nicht, man müsste ihn erfinden.“ Selbst als hypothetischer Gedanke legt sich damit nahe, dass eine höchststehende, transzendente Instanz unverzichtbar ist, will man moralische Stabilität gewährleisten. Für uns Muslime ist dies kein Gedankenexperiment, sondern Lebensrealität: Allah ﷻ ist weder gedankliches Postulat noch mythologische Krücke, sondern absolute, lebendige Wirklichkeit.
Gerade Seine Transzendenz immunisiert Ihn gegen jede Parteilichkeit. Allah ist jenseits von Geschlecht, Physis oder ethnischer Zuschreibung; daher bildet Er die einzige unverfälschte Instanz universeller Gerechtigkeit. Indem der Islam uns die Perspektive auf diesen transkosmischen Fixpunkt öffnet, befreit er uns von der Enge relativistischer Wertsysteme und schenkt eine Ethik, die objektiv, unveränderlich und letztgültig bleibt – unabhängig von Zeitgeist, Kultur oder politischer Konjunktur.
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Warum ist der Atheismus kein moralischer Kompass?
Der Terminus Atheismus bezeichnet lediglich die Negation göttlicher Existenzbehauptungen; er sagt indes nichts darüber, woher seine Protagonisten ihre Werturteile beziehen. Viele Atheisten reklamieren ein ausgeprägtes Ethos, obwohl sie jede transzendente Instanz verwerfen – ein Umstand, der erklärungsbedürftig bleibt.
Was bleibt Atheisten nun? Die Wissenschaft. Die Wissenschaft dekonstruiert mit bewundernswerter Präzision die Gesetzmäßigkeiten der Materie: von neuronalen Aktionspotenzialen bis zu gravitativ fallenden Äpfeln. Sie beschreibt die Dopaminkaskade, wenn wir Altruismus üben, und das Adrenalinbeben in der Konfrontation. Doch diese biochemischen Abläufe sind wertneutral; sie enthalten kein „Soll“, lediglich ein „So ist es“. Die Frage, ob eine Handlung gut, böse oder indifferent sei, bleibt prinzipiell außerhalb des naturwissenschaftlichen Radars.
Manche Atheisten weichen auf „universelle menschliche Werte“ oder „Vernunftprinzipien“ aus. Doch der kritische Rückverweis bleibt: Woher stammen diese Werte? Warum sollten sie für alle gelten? Ohne eine objektive Instanz droht ein moralischer Relativismus, in dem Enthauptung oder Fürsorge gleichermaßen als bloße Reorganisation von Kohlenstoffatomen gedeutet werden könnten. Gibt es also überhaupt einen „authentischen“ Atheisten, der jedes moralische Urteil für bloße Geschmackssache hält? Oder greifen selbst erklärte Materialisten implizit auf transzendente Maximen zurück, sobald sie Grausamkeit verurteilen?
Akzeptieren wir, dass Naturwissenschaft allein die letzten Warum-Fragen nicht beantwortet und dass die menschliche Ratio endlich bleibt, erweist sich die Notwendigkeit einer verlässlichen, übermenschlichen Referenz. Für uns Muslime ist diese Quelle klar benannt: Allah, dessen Offenbarung ein unerschütterliches Koordinatensystem bereitstellt, das jenseits aller subjektiven Schwankungen Bestand hat. So wird der moralische Kompass nicht zur Laune des Zeitgeists, sondern verankert im Absoluten, unverhandelbar und für jeden Menschen gleichermaßen verbindlich.
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Gibt es immer mehr Atheisten?
Die Beobachtung, dass sich atheistische Weltanschauungen inzwischen auch in mehrheitlich muslimischen Gesellschaften manifestieren, bildet lediglich einen Mosaikstein innerhalb einer vielgestaltigen Szenerie geistiger Verschiebungen. In einer Ära, in der digitale Kommunikationsströme kulturelle Membranen porös werden lassen, zirkulieren Ideologien nahezu reibungslos, kollidieren, konvergieren oder koexistieren – mit der Folge, dass Glaubensüberzeugungen in stetigem Fluss begriffen sind.
Parallel zum Atheismus erstarken innerislamische Strömungen wie Sufismus, Salafiyya oder Schia, die – ähnlich wie die Konfessionslosigkeit – fundamentale Fragen nach Sinn, Transzendenz und gesellschaftlicher Ordnung neu akzentuieren. Jede dieser Richtungen offeriert eigenständige hermeneutische Raster, durch die das muslimische Selbstverständnis verhandelt wird.
Gleichwohl halten wir Muslime unverrückbar an der doktrinären Prämisse der Fiṭra fest: Jeder Mensch sei mit einer inhärenten Gottesdisposition ausgestattet. Kognitionspsychologische Arbeiten – exemplarisch Justin Barretts Konzept der „natural religion“ oder Olivera Petrovićs interkulturelle Kinderstudien – bekräftigen, dass Glaubensvorstellungen eine anthropologische Konstantgröße darstellen, wohingegen der Atheismus eine angelernte Weltanschauung darstellt.
In allen Sprachen der Erde existiert ein lexikalisches Pendant für „Gott“ oder eine transzendente Ursprungskraft – ein Indiz, dass die Idee des Göttlichen universale Anerkennung besitzt. Überdies gibt es keine gesellschaftliche Formation in den Annalen der Geschichte, die einstimmig den Entschluss gefasst hat, den Glauben an das Göttliche gänzlich zu verwerfen.
Ferner lässt sich kaum leugnen, dass selbst säkulare Bewegungen wie der moderne Humanismus kognitiv von den abrahamitischen Offenbarungen imprägniert sind: Begriffe wie Menschenwürde, Gewissensfreiheit oder Barmherzigkeit speisen sich aus dem jüdisch-christlichen und – mittelbar – auch aus dem islamischen Wertearsenal, das auf die Propheten Mūsā und ʿĪsā (ʿalayhimā s-salām) zurückgeht. Diese genealogische Verschränkung wird von den Proponenten ateistischer oder rein rationalistischer Systeme oftmals übersehen, markiert aber gleichwohl die unauslöschliche Spur göttlicher Rede im Gewebe der globalen Ideengeschichte.
Folglich signalisiert der vermeintliche Zuwachs an Atheisten keinen endgültigen Triumph des Immanentismus, sondern vielmehr eine Phase intellektueller Neujustierung, in der das in der Fiṭra verankerte Gottbewusstsein mit alternativen Deutungsangeboten ringt. Dass dieses Ringen überhaupt stattfindet, bestätigt letztlich nur die tiefe Verankerung des Transzendenten im menschlichen Wesen.
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Sind alle religiösen Wahrheiten gleich gültig?
Seit Urzeiten ringt die Menschheit mit dem Rätsel des Göttlichen und hat dabei ein farbenprächtiges Panoptikum mythopoetischer Narrative hervorgebracht – von Göttern, die Brücken binnen zwölf Jahren nach Sri Lanka schlagen, um seine Gemahlin aus den Klauen eines Dämons zu befreien, bis zum Gott-Menschen, der am Kreuz für fremde Schuld stirbt. Diese Erzählungen stillen das menschliche Bedürfnis, Sinn zu stiften, Trost zu finden und kosmische Ordnung zu erahnen.
Doch können sie die ultimative Wahrheit verkörpern? Sobald wir den Bezirk reiner Rationalität verlassen, öffnet sich ein Möglichkeitsraum, in dem theoretisch jede Konzeption Anspruch auf Gültigkeit erheben könnte. Hier stellt sich die Gretchenfrage: Woran misst sich Authentizität?
Denken wir an das Gedankenexperiment eines gottesfürchtigen Muslims, der im Jenseits dem christlichen Gott gegenüberstünde. Auf die Frage „Warum hast du meine Inkarnation geleugnet?“ entgegnete er: „Du bist der Unvergleichliche, den keine Kette zu binden vermag – ewig, unerschaffen, ohne Anfang und Ende.“ Könnte eine Allmacht, deren Wesen Liebe und Gerechtigkeit ist, einen Menschen tadeln, der aus ehrlicher Gotteserkenntnis heraus schlussfolgerte?
Spiegelbildlich stelle man sich einen frommen Christen vor, den Gott befragt: „Wie konntest du glauben, dass der Grenzenlose sich in sterbliche Hülle zwängt?“ Auch hier wären Herzaufrichtigkeit, Lauterkeit der Absicht und der Ernst des Suchens entscheidende Parameter.
Authentische Wahrheiten ruhen nicht auf bloßer Folklore, sondern auf tragfähigen Pfeilern: stringenter Logik, belastbarer Empirie oder sorgfältig gewobener Argumentation. Nur so vermeiden wir, dass Glaube zu unreflektierter Überlieferung gerinnt, und sichern unserem spirituellen Gebäude intellektuelle Tragfähigkeit.
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Sind persönliche Glaubenserfahrungen immer verlässlich?
Die facettenreiche Palette religiöser Traditionen zeugt von der mehrdimensionalen Sehnsucht des Menschen nach Sinn. Seit dem Anbeginn unserer Erinnerung dienten sakrale Lehren als Leuchtfeuer auf dem verschlungenen Pfad durchs Dasein und proklamierten – ob im Judentum, Christentum oder Islam – eine Heilsbotschaft von Frieden, Liebe und spiritueller Genügsamkeit.
Im Zeitalter subjektiver Deutung erhebt nun beinahe jede Glaubensgemeinschaft den Anspruch exklusiver Gültigkeit. Doch wenn unsere diesseitigen Entscheidungen das jenseitige Schicksal prägen, drängt sich die kardinale Frage auf: Wie erlangen wir Gewissheit, den rechten Kurs zu wählen?
Logisch erscheint, dass ein gerechter Schöpfer der Menschheit präzise Wegmarken, intellektuelle Werkzeuge und moralische Sensorien verliehen hat, um Wahrheit zu erkennen. Auf dieser langen Odyssee stützen sich viele Menschen allerdings auf spektakuläre Zeichen – Träume, wundersame Zufälle, weinende Statuen, in Früchten erscheinende Schriftzüge. Solche Phänomene werden von Gläubigen sämtlicher Religionen reklamiert; eben darum taugen sie kaum als exklusiver Beleg für endgültige Wahrheit. Vielmehr drohen sie, durch subjektive Selektion, vom Wesentlichen abzulenken.
Der Qurʾān fordert nicht, unsere kritische Vernunft zu suspendieren. Wahre Erkenntnis widerspricht nie der fitrischen Logik, sondern bestätigt sie durch deduktive Konsistenz und intellektuelle Redlichkeit. Wer eine Behauptung erst mittels Abschaltung des Rationalvermögens plausibel machen muss, bewegt sich außerhalb seriöser Epistemik.
Wir befinden uns in einem Labyrinth mit nur einem rettenden Ausgang. Es ist vernünftig anzunehmen, dass uns – außer dem Instinkt, dass dieser Ausgang existiert – auch ein göttlicher Kompass überantwortet wurde: die Fiṭra als inneres Navigationssystem und die offenbarten Schriften als verlässliche Landkarte. Aufgabe des Menschen bleibt, oberflächliche Sensationen zu relativieren, den inneren Kompass neu auszurichten und die Zeichen der Offenbarung mit klarem Verstand zu prüfen. Nur so entgeht man trügerischen Irrlichtern und betritt den Pfad der dauerhaften Seligkeit.
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Wie erkennen wir Wahrheit?
1. Neugier
Im Herzen jedes Menschen lodert ein unstillbarer Entdeckergeist, der uns über das Sichtbare hinaus in unbekannte Reiche treibt. Dieser Impuls brachte uns vom Meeresgrund bis zu fernen Galaxien und prägt, was „menschlich“ heißt. Schon eine alltägliche Szene – ein dampfender Morgenkaffee – ruft Fragen hervor: Wer hat ihn bereitet, warum, mit welcher Intention? Dieselbe fragende Haltung wenden wir auf das All an: Woher stammen wir, wozu existieren wir? Philosophie, Wissenschaft, Kunst und Religion sind Zeugnisse dieser ewigen Expedition nach kosmischer Verortung.
2. Selbstbewusstsein
Spiegelst du dich, erkennst du mehr als Konturen: Du siehst eine sich entfaltende Lebensgeschichte. Diese Selbsterkenntnis entzündet ein Verlangen nach Sinn. Zwei Tage ragen hervor: der Tag deiner Geburt – und der Tag, an dem du fragst „Warum?“. Wer bin ich, woher stamme ich, wohin führt der geheimnisvolle Pfad des Lebens? Diese Fragen treiben eine doppelte Suche voran – nach innen in die Tiefen des eigenen Bewusstseins und nach außen in den grenzenlosen Kosmos.
3. Logisches Denken
Über all den Fähigkeiten des Geistes glänzt Logik. Sie lässt dich sofort erkennen, dass kein Elefant in einen gewöhnlichen Kühlschrank passt, ohne experimentieren zu müssen; ebenso deduzierst du aus deiner Existenz die Existenz unzähliger Ahnen. Logik ist nicht bloß ein Werkzeug gegen Absurditäten – sie ist der Schlüssel, der Mysterien scheidet von Illusion und das Machbare vom Unmöglichen trennt. Wer sie beständig schärft, navigiert sicher durch das Labyrinth des Daseins, trifft solide Entscheidungen und begreift die Welt mit Klarheit.
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Wie radikal ist die heutige Geschlechtertrennung?
Trotz aller verharmlosenden Erklärungen und Beteuerungen kann die Wahrheit nicht verschleiert werden: Die radikale Geschlechtertrennung in den meisten unserer Moscheen heutzutage, die über das hinausgeht, was der Islam vorschreibt, ist ein bezeichnendes Zeichen für die Vernachlässigung und Unterschätzung der Frau in unserer Gesellschaft.
Frauen werden oft in minderwertig ausgestattete Nebenräume verbannt, abseits der Hauptgebetsräume. Manchmal existieren solche Nebenräume nicht einmal. Selbst wenn sie vorhanden sind, hat die intensive Segregation über die Jahrzehnte dazu geführt, dass das Zugehörigkeitsgefühl der muslimischen Frauen zur islamischen Gemeinschaft stark gesunken ist und diese Nebenräume daher seltener genutzt werden. Ironischerweise ist es nicht selten, dass Prediger in den Moscheen diese Situation beklagen, obwohl oftmals keine Frauen anwesend sind, um ihre Worte zu hören. Es ist nahezu unmöglich, eine Nation mit Hunderten von Millionen Menschen zu erziehen, wenn die Hälfte dieser Bevölkerung praktisch unsichtbar ist. Unbestreitbar ist die Tatsache, dass Frauen durch fragwürdige islamjuristische Argumente in Bezug auf den Moscheebesuch entmutigt wurden.
Offensichtlich wurde dadurch auch ein enormes Bildungspotential bei der Erziehung der Kinder dieser Mütter blockiert. Es ist daher nicht verwunderlich, dass das religiöse Unwissen und die moralische Dekadenz vieler Söhne und damit auch vieler Männer heute zum Teil auf diesen Umstand zurückzuführen ist. Es gibt viele überzeugende Beispiele, die zeigen, wie unzureichendes religiöses Wissen und Verständnis zu Missverständnissen führen können. Ein Beispiel ist das Erschrecken vieler muslimischer Männer, die zu Beginn ihrer Ehe erkennen, dass ihre neuen Ehefrauen, grundlegende Aspekte ihrer Religion, wie die rituelle Gebetswaschung oder das Glaubensbekenntnis nicht beherrschen.
Gemäß renommierter Studien besteht ein direkter Zusammenhang zwischen dem Bildungsniveau der Mutter und den schulischen Leistungen ihrer Kinder. Es zeigt, dass Kinder tendenziell schlechtere schulische Leistungen erbringen, wenn ihre Mütter über eine geringere Schulbildung verfügen. Es ist daher durchaus plausibel, in dieser Dynamik einen der Gründe für den bekannten Bildungsrückstand der arabisch-orientalischen Welt zu sehen. Die Ausgrenzung der muslimischen Frau aus dem Zentrum des religiösen Lebens hat insbesondere bei den Frauen des ländlichen Orients zu weit verbreiteter Unwissenheit, zu Aberglauben, der fälschlicherweise für religiöse Praktiken gehalten wird und zu eigenartigen Vorstellungen geführt. So glauben beispielsweise nordafrikanische Frauen bis heute, dass sie ihre Gebete am Hochzeitstag und in den folgenden Tagen nicht verrichten dürfen.
Die seit Jahrzehnten anhaltende faktische Desintegration hat zuweilen zu verheerenden Konsequenzen geführt. Eine dieser Folgen zeigt sich in der im Vergleich zu Männern größeren Bildungs- und Wissensdefizite bei vielen Frauen bezüglich des Inhalts ihrer eigenen Religion. Dies liegt unter anderem daran, dass Frauen traditionell nicht mit derselben Selbstverständlichkeit an den kollektiven Wissens- und Gedächtnissitzungen in den Moscheen teilnehmen können. Sie haben nicht die gleiche Möglichkeit, Fragen an den Imam zu stellen oder an Diskussionen teilzunehmen, wie es die Männer können.
Wir müssen fragen: Wo genau im ehrwürdigen Quran oder in der Sunnah gibt es ein ausdrückliches und allgemeingültiges Verbot der Vermischung der Geschlechter? Die Wahrheit ist, dass es ein solches Verbot nicht existiert. Sowohl architektonische Untersuchungen als auch ältere Filmaufnahmen zeigen deutlich, dass dieses Phänomen trotz seiner weit verbreiteten Akzeptanz in gewisser Weise neu ist.
Eine gewisse Trennung der Geschlechter ist sicherlich wünschenswert und ist auch in vielen Kulturen üblich, einschließlich der westlichen Gesellschaft, in der wir Frauenparkplätze, Damen-WCs und natürlich entstehende Gruppen von Männern und Frauen auf dem Universitätscampus sehen. Im Islam mag diese Trennung aus verschiedenen Gründen stärker ausgeprägt sein als in westlichen Kulturen. Doch eine absolute und universelle Ablehnung der Vermischung der Geschlechter hat keinen soliden Grund.
Es gibt einige Hinweise darauf, dass das gemeinsame Verweilen von Frauen und Männern in den Gotteshäusern nicht nur legitim und darüber hinaus empfohlen ist, sondern auch eine Pflicht mindestens im Sinne des Fard Kifâyah ist und dass die Aufrechterhaltung der Geschlechtertrennung in den Gotteshäusern in der bisher meist praktizierten Form strengstens verboten ist. Das Ziel ist es jedoch nicht, dieses Urteil zu fällen, da dies eine eigene, spezielle Untersuchung erfordert.
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Gibt es Argumente gegen die radikale Geschlechtertrennung?
Die Frage stellt sich, wie es trotz des Bewusstseins vieler Muslime möglich ist, dass der Status quo unbekümmert aufrechterhalten wird. Neben dem Gewicht verschiedener kultureller Traditionen besteht ein Teil der Antwort leider darin, dass irrtümliche Ansichten und Argumentationen über das von Gott offenbarte Gesellschaftsrecht unangefochten propagiert werden. Dies geschieht vor allem von Seiten derjenigen Muslime, die zu religiösem Extremismus neigen, aber auch von einigen Gelehrten, die es schwierig finden, sich von kulturgeladenem Denken zu lösen oder die sich sogar von radikalen Extremisten eingeschüchtert fühlen.
Im Folgenden präsentieren wir eine Reihe von Argumenten zu häufig vorgebrachten Aussagen ....
1. Die romantisierte Vorstellung, dass zur Zeit des Propheten ﷺ ausschließlich vollständig korrekt gekleidete Frauen die Moscheen besuchten, ist unrealistisch. In jenen Moscheen des Propheten ﷺ waren zuweilen auch Nichtmuslime anwesend waren. Wo sonst, wenn nicht in der Moschee, sollten neu konvertierte Frauen damals lernen, wie sie sich angemessen in der Moschee zu kleiden haben? Es besteht also kein Zweifel, dass insbesondere in den letzten Jahren der Zeit unseres Propheten ﷺ regelmäßig Frauen die Moschee betreten haben, die nicht korrekt gekleidet waren, sei es aus Unwissenheit oder anderen Gründen. Darüber hinaus gibt es authentisch dokumentierte Überlieferungen von Muslimen, die schwerwiegendere Sünden begangen.
Siehe: Von Tabarâniyy in seinem mujam und Ibn Ħibbân in seinemSaħîħ b. Ħibbân, kitâbu t-târîkh, Hadith Nr. 6730, von Albâniyy als authentisch eingestuft. Siehe auch: von Abû Dâwûd, kitâbu l-°adab, Hadith Nr. 5038 und Tirmidhiyy, kitâbu l-°adab, Hadith Nr. 2739, laut Tirmidhiyy ħasan Saħîħ
2. Unbeabsichtigte Entblößungen von Bereichen, die islamisch bedeckt sein sollten, waren in der Vergangenheit nicht ungewöhnlich. Die Kleidung und Schleier der Zeit waren nicht so eng geschnitten oder mit modernen Befestigungen wie Knöpfen, Nadeln oder Reißverschlüssen versehen, wie wir sie heute kennen. Zahlreiche authentische Überlieferungen legen nahe, dass unbeabsichtigte Entblößungen fast unvermeidlich waren, gegeben die damaligen Kleidungsstile. Zum Beispiel gibt es einen Hadith, in dem der Prophetﷺ Fâtimah bint Qays davon abriete, ihre Witwenzeit in dem oft besuchten Haus von Umm Sharîk zu verbringen, aus Angst, ihr Schleier könnte versehentlich fallen und ihre Beine entblößen, wodurch sie gegen ihren Willen gesehen werden könnte. In einer anderen Überlieferung wird berichtet, dass sogar ein Teil des Prophetenﷺ selbst versehentlich während des Reitens freigelegt wurde.
Siehe: Saħîħ Muslim, Kitabu l-fitan, Hadîth Nr. 2942, Saħîħ al-Bukhâriyy, Kitabu s-Salâh, Nr. 364
3. Wenn wir der oben dargelegten Argumentation folgen, würde das implizieren, dass der „Veranstalter” ebenfalls gezwungen wäre, Trennwände zwischen ordnungsgemäß und weniger ordnungsgemäß gekleideten Männern zu errichten. Immerhin ist es Männern ebenso untersagt, die entblößten Bereiche anderer Männer zu sehen.
Saħîħ Muslim, kitâbu l-ħaiD, Hadith Nr. 338
4. Im Lichte einiger Überlieferungen über die gemeinsame rituelle Reinigung, in deren Verlauf die Frau spätestens beim Waschen der Arme einen Teil ihrer islamisch definierten Blöße entblößt, müssen wir uns auch in diesem Zusammenhang fragen, ob wir hier nicht - im Gegensatz zur Praxis des Prophetenﷺ - ein großes Problem aus etwas machen, das bereits zur Zeit des Prophetenﷺ eine kleine Angelegenheit war.
Saħîħ al-Bukhâriyy, kitâbu l-wuDô, Hadith Nr. 190
Abdullah b. Umar sagte: „Männer und Frauen pflegten die Gebetswaschung in der Zeit des Gesandten Gottesﷺ gemeinsam vorzunehmen.” Laut Musaddad (sagte Ibn Umar): „(...) aus ein und demselben Gefäß.”
Überliefert bei Bukhâriyy, Abû Dâwûd u.a.
5. Kann es sein, dass ein Verantwortlicher für eine Moschee, eine Frau ohne Kopftuch in seinem persönlichen Geschäftsbetrieb anders behandeln würde, als er es in einer Moschee tut? Dass er sie nicht in separate Bereiche verweisen oder eine distanzierte Atmosphäre für sie schaffen würde, selbst wenn sie nach islamischen Standards angemessen gekleidet ist? Ist ihm das Interesse der Menschen an seinen persönlichen, flüchtigen Waren mehr wert als ihr Interesse an den spirituellen Geschenken, die Gott bietet?
6. Jeder Mensch trägt individuelle Verantwortung in Bezug auf sein Verhalten. Es ist gut dokumentiert, dass während der Zeit des Prophetenﷺ Männer in seiner Moschee beteten, die nicht in der Lage waren, ihre körperliche Blöße komplett zu bedecken, obwohl Frauen anwesend waren. Trotz dieser Tatsache fühlten sich weder der Prophetﷺ noch seine Anhänger verpflichtet, das Sehfeld durch das Aufstellen von Trennwänden oder ähnlichen Vorrichtungen einzuschränken.
Zu Lebzeiten des Gesandten Gottes ﷺ nahmen Frauen in den Reihen hinter den Männern an den Gemeinschaftsgebeten teil. In den letzten Reihen der Männer, direkt vor den Frauen, beteten jedoch auch Männer, die so arm waren, dass ihre Kleidung viele Teile ihrer Blöße (awrah) nicht bedeckte. Nach übereinstimmender Meinung der Gelehrten ist es verboten, die Blöße einer fremden Person zu betrachten. Wenn die Anwesenheit und das Gebet der Frauen im Hauptgebetssaal nicht islamisch dringend empfohlen wäre, könnte man erwarten, dass den Frauen aufgrund des genannten Verbots empfohlen würde, zu Hause zu bleiben, oder dass eine Trennwand oder Ähnliches errichtet würde. Stattdessen wurde den Frauen jedoch nur gesagt: „Erhebt eure Köpfe nicht (aus der Verbeugung oder Niederwerfung), bis die Männer ihre Köpfe erhoben haben.” Es besteht also kein Zweifel daran, dass die Anwesenheit der Frauen beim Gebet im Hauptgebetssaal islamisch wichtiger ist als die Gefahr, dass das oben genannte Verbot verletzt wird. Hier scheint also mindestens eine dringende Empfehlung für diese Anwesenheit oder eine starke Missbilligung der Trennung vorzuliegen.
Einige Frauen argumentieren, dass sie die Veranstaltung mit der reinen Absicht besuchen wollen, spirituellen Nutzen zu erzielen:
7. Es ist keineswegs verwerflich, wenn eine unverheiratete Frau Heiratsabsichten hegt. Tatsächlich sind Handlungen, die dazu dienen, sich durch Heirat vor einem Leben in Unzucht und gegen die Lehren des heiligen Qurans zu schützen, ebenso als gute Taten zu bewerten. Sogar die Gefährten des Prophetenﷺ waren mit dem Konzept vertraut, Heiratsbeziehungen in der Moschee zu etablieren.
Saħîħ al-Bukhâriyy, Hadith Nr. 5029 & 5132; Saħîħ Muslim Nr. 1425
8. In dem vielleicht bekanntesten Hadith über die Erinnerungszirkel wird sogar jenen Teilnehmern Vergebung zuteil, deren Absicht völlig von etwas anderem als der aktiven Teilnahme an der Gotteserinnerung geleitet wird.
Saħîħ al-Bukhâriyy, kitâb ad-daawât, Hadith Nr. 6408 (fatħ-al-bârî-Nummerierung) & Saħîħ Muslim Nr. 2689
9. Das Argument der „Absicht” konsequent angewandt würde dazu führen, dass jegliche islamischen Veranstaltungen und sogar Videovorträge vermieden werden müssten, wenn sie irgendetwas Sinnesbetörendes beinhalten: Leckeren Tee, ein Abendessen, einen attraktiven, bekannten Prediger und so weiter. Selbst das Zuhören einer Quran-Rezitation könnte problematisch werden, da die Unterscheidung schwierig ist, ob man wegen der angenehmen Stimme oder Melodie zuhört oder wegen des tatsächlichen Inhalts.
10. Manchmal zeigen sich Frauen abschätzig oder möglicherweise neidisch auf andere Frauen, die es wagen, während eines Vortrags oder einer Moscheeveranstaltung im Hauptraum zu bleiben, trotz der Anwesenheit von Männern. Sie unterstellen diesen Frauen, potentielle Ehepartner zu suchen. Hierzu sind drei Punkte zu beachten: Erstens, wäre es üblich und akzeptiert, gemeinsam in einem Raum zu sein, gäbe es solche Unterstellungen nicht. Zweitens, tritt hier eine bedenkliche Selbstgerechtigkeit zutage. Drittens, eine Muslima, die ihren Lebenspartner in der Moschee sucht, handelt weitaus besser als diejenige, die ihn in einer Diskothek sucht. Es ist ebenso unangenehm, wenn man nach der Heirat gefragt wird, wie man sich kennengelernt hat und antworten muss: „Wir haben uns beim Chatten kennengelernt” oder „Ich habe eine Kontaktanzeige aufgegeben”. Wie viel würdevoller klingt es jedoch, wenn man antworten kann: „Wir kannten uns aus der Moschee.”
11. Zweifellos war der Glaube der Gefährten des Prophetenﷺ erheblich stärker als der der heutigen gläubigen Muslime, aber diese Aussage bezieht sich zunächst auf die ursprünglichen Gefährten des Prophetenﷺ, also jene, die den Gesandten Gottes schon vor der Eroberung von Mekka begleiteten. Siehe: Quran, Sure 57:10
Allerdings traten gegen Ende des Lebens des Prophetenﷺ Zehntausende neue Menschen zum Islam über, viele von ihnen waren die sogenannten „Wüstenaraber” aus ländlichen Gebieten. Im ehrwürdigen Quran wird dazu gesagt: „Die Wüstenaraber behaupten: Wir haben den Glauben angenommen. Sag: Ihr habt noch nicht den Glauben angenommen. Aber sagt: „Wir haben uns dem Islam unterworfen, denn der Glaube ist noch nicht in eure Herzen eingedrungen.” (49:14) Tatsächlich war ihr Glaube so schwankend, dass nach dem Tod des Gesandten Gottes zahlreiche Stämme die Zakat verweigerten und viele vollständig vom Islam abfielen.
12. Selbst einige fromme Gefährten des Prophetenﷺ in Medina waren noch von den Bräuchen der Zeit vor dem Islam geprägt. Beispielsweise gibt es Berichte, wonach einer von ihnen dem Prophetenﷺ gestand, eine nicht-verwandte Frau unsittlich berührt oder geküsst zu haben - etwas, was in traditionellen islamischen Gesellschaften heutzutage nahezu undenkbar ist, zumindest unter den gläubigen Menschen. In dieser Hinsicht scheint es, dass die durch eine islamische Erziehung vermittelten Werte das fehlende Maß an Glaubensstärke bei denen, die in einer islamischen Umgebung aufgewachsen sind, ausgleichen können.
Siehe: Saħîħ al-Bukhâriyy Hadithe Nr. 495 & 4319 (fatħ-al-bârî-Nummerierung), Saħîħ Muslim Hadithe Nr. 4963 & 4964
13. Schon in jener Epoche gab es zweifelsfrei Fälle von sexueller Belästigung.
Saħîħ Muslim, kitâb at-tawbah, Hadith Nr. 2763, Siehe auch: Abû Dâwûd, Hadith Nr. 1756 u. A.
Ein weiterer vorgebrachter Punkt ist, dass die Glaubensstärke der Menschen zur Zeit des Propheten ﷺ ausgeprägter war, was ihnen ermöglichte, ihre Impulse besser zu kontrollieren:
14. Dies unterstreicht vielmehr die Notwendigkeit der gemeinsamen Teilnahme, denn wenn der Glaube heute schwächer ist, brauchen heutige Frauen noch mehr als ihre Vorgängerinnen den gleichen ungehinderten Zugang wie Männer. Man kann davon ausgehen, dass der Glaube der Frauen heutzutage wahrscheinlich viel stärker wäre und die Erziehung ihrer Kinder und zukünftigen Männer viel islamischer und somit der Glaube der gesamten Gesellschaft stärker wäre, wenn man die Frauen nicht jahrzehntelang von den Moscheen ferngehalten hätte.
15. Nicht nur die Gefährten des Prophetenﷺ während seiner Ära, sondern auch Muslime in den Jahrhunderten danach hielten ihre Gebete weiterhin in gemeinschaftlichen Moscheen ab.
Es wird manchmal argumentiert, dass eine gemeinsame Anwesenheit schwierig zu handhaben sei, da die religiöse Anforderung, den Blick zu senken, ständig befolgt werden müsste:
16. Es ist allgemein anerkannt, dass der erste Blick stets erlaubt ist. Es erscheint auch logisch, dass selbst wenn der Blick sich unbeabsichtigt wiederholt, dieser als ein weiterer „erster Blick” betrachtet wird. Hierbei wird in erster Linie das Anschauen mit unpassenden Absichten und das Anschauen der islamischen Awrah (Bereiche, die bedeckt sein sollten) angesprochen. Nach der dominierenden und mehrheitlichen Meinung gehören weder das Gesicht noch die Hände dazu. Ein diskretes und gemäßigtes Anblicken des Gesichts einer Person des anderen Geschlechts während einer Konversation ist weitgehend unproblematisch, da die Mimik ein wesentlicher Teil der Kommunikation ist - warum sonst hätte Gott die Mimik geschaffen?
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Es ist sicher, dass die Moschee des Propheten Muhammad ﷺ zu seinen Lebzeiten stets ein gemeinsamer Ort für Männer und Frauen war, ohne Vorhänge oder Trennwände zur Teilung des Raums. Die Authentizität dieser impliziten Überlieferungen ist auf dem Niveau der inhaltlichen Kontinuität (tawâtur). Und was der Prophet ﷺ in seiner Umgebung sah und nicht missbilligte, gilt nach den Prinzipien des islamischen Rechts als stillschweigend gebilligter prophetischer Brauch (sunnah taqrîriyyah). Dieser Brauch wird durch sein ständiges und regelmäßiges Bestehen noch verstärkt und erlangt noch mehr Gewicht, da der Prophet Muhammad ﷺ bis zu seinem Lebensende regelmäßig an dieser Praxis teilnahm, was den Brauch auf das Niveau des aktiven Brauchs (sunnah filiyyah) erhöht.
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Wie traf Musa (a.s.) seine Ehefrau und was lernen wir daraus?
Die Qurʾānische Episode, in der Mūsa ʿalayhi s-salām seine künftige Gattin kennenlernt, ist weit mehr als eine rührende Anekdote.
Wir begegnen Mūsā zunächst als Findelkind, das – ironischerweise – im Hause des Tyrannen großgezogen wird, vor dessen Dekret seine Mutter ihn ausgeliefert hatte. Die steile Karriere des Palastzöglings endet abrupt, als er in Notwehr einen Ägypter tötet. Flüchtend durchquert er Sinai und landet mittellos im Gebiet Madyan. Hier beginnen die Verse, die seine Eheschließung einleiten (Sūra 28, 23 ff.).
An einer Wasserstelle beobachtet Mūsā zwei junge Frauen, deren Schafe nicht trinken können, weil ruppige Hirten den Zugang blockieren. Spontan vermittelt er – wortlos, ohne Erwartung einer Gegenleistung. Diese unscheinbare Hilfsbereitschaft wird zum Katalysator seiner künftigen Lebenswende.
Zu Hause schildern die Töchter dem Vater (traditionell mit Šuʿayb identifiziert) den Vorfall. Eine von ihnen wagt einen bemerkenswert direkten Vorschlag: „Vater, heuere ihn an“ (Q 28:26). In der kulturellen Semantik damaliger Zeit schwang hier bereits ein Heiratssubtext mit, denn Anstellung bedeutete Nähe zum Hause. Ihr Argument lautet nicht Besitz oder Stammbaum, sondern zwei Charakterachsen: qawwiyy (tatkräftig) und amīn (vertrauenswürdig).
Der Vater reagiert höchst unorthodox: Er bietet Mūsā eine Tochter zur Ehe an – gegen das „Brautgeld“ von acht bis zehn Jahren Arbeit auf seinem Hof. Somit ersetzt Leistung das sonst übliche materielle mahr. Mūsā nimmt an; Transparenz prägt die Unterredung: Er verschweigt weder seine Flucht noch den Mordverdacht. Genau diese Offenheit, gepaart mit Arbeitsmoral, überstrahlt alle Defizite an Vermögen, Stamm oder Status.
Überträgt man den Befund ins 21. Jahrhundert:
Nationalität – Mūsā ist Ausländer, mit fremder Kultur und Sprache.
Vermögen – er besitzt buchstäblich nichts außer dem, was er trägt.
Ruf – er ist ein polizeilich gesuchter Flüchtling.
Akademische Laufbahn – nicht vorhanden.
War er bereits ein Prophet? Nein. Das kam erst später.
Würde ein heutiger Vater seine Tochter einem solchen Bewerber anvertrauen? Eher würde man ihn als „obdachlos, mittellos, prekäres Sicherheitsrisiko“ etikettieren. Doch der Qurʾān verankert die Entscheidung auf immateriellen Koordinaten: Charakter, Fleiß, Gottesfurcht. Alles andere wird sekundär.
Pädagogische Implikationen
1. Priorität des Ethos – Materielle Parameter sind verhandelbar; Integrität und Tatkraft nicht.
2. Handlung vor Herkunft – Ein einzelner Akt der Barmherzigkeit kann Lebenswege öffnen.
3. Elterliche Flexibilität – Der Vater liest zwischen den Zeilen der Tochter, statt kulturpatriarchalisch zu blockieren.
4. Transparenz des Bewerbers – Mūsā versteckt seine problematische Vita nicht; Wahrhaftigkeit siegt.
5. Göttliche Ökonomie – Wer aufrichtig handelt, wird selbst in äußerster Mittellosigkeit von Allāh versorgt (vgl. Q 65:2-3).
Diese über dreitausend Jahre alte Erzählung hält uns einen Spiegel vor: Zwischen kulturellen Heiratsfiltern und qurʾānischer Wertlogik klafft eine Lücke. Wer sie schließt, entdeckt, dass wahrer Ehesegen weniger in Passfarbe oder Kontostand liegt als in amāna und quwwa – in Charakterstärke und Zuverlässigkeit, den beiden Qualitäten, die Šuʿaybs Tochter an Mūsā erkannte.
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Nationalität bei der Ehe: Eine Herausforderung?
Die gegenwärtige muslimische Jugend im Westen steht vor dem scheinbaren Paradox, dass gerade der zutiefst natürliche – man möchte sagen: gottgewollte – Wunsch nach Ehe sich zur herkulischen Aufgabe auswächst. Während kulinarische Gelüste an jeder Straßenecke gestillt werden können, mutiert die Partnersuche zu einem Labyrinth aus kulturellen Erwartungshaltungen, nationalen Vorbehalten und familiären Wunschbildern.
Ironischerweise halten Eltern häufig an der Nationalität als erstem K.-o.-Kriterium fest. Hätten jene Maßstäbe schon zur Zeit Mūsās (a.s.) gegolten, wäre ihm wohl jede Chance verwehrt geblieben. Dabei ist das eigentliche Axiom jeder Ehe schlicht die Harmonie zwischen den beiden, die ein Leben lang Tisch, Bett und Seele teilen. Endgültig desaströs wird die Verbindung erst, wenn diese innere Symphonie ausbleibt – nicht, wenn Onkel X oder Tante Y Kulturkollisionen heraufbeschwören.
Unsere Kinder sind hier sozialisiert, sprechen, denken und fühlen in einem hybriden Koordinatensystem – ähnlich den einstigen Differenzen zwischen Makka und Madīna, die schon den Prophetengefährten manche eheliche Spannung bescherten. Zu glauben, ein Partner aus dem Herkunftsland der Eltern passe automatisch besser, ist eine wohlmeinende, aber realitätsferne Fiktion.
Beständige Ehen gründen oft auf einer fast prosaischen Feststellung: Es passt einfach. Kein metaphysisches Mysterium, sondern kongruente Temperamente, vergleichbare Lebensziele, kompatible Bildungswege. Ein Juraprofessor und eine Analphabetin können noch so fromm sein – die Inkompatibilität bleibt grundlegender Natur. Eltern dürfen raten, mahnen, beten; entscheiden müssen schlussendlich die erwachsenen Kinder selbst, auch wenn dabei tradierte Matrizen zerbrechen.
Zudem müssen wir akzeptieren, dass unsere Söhne und Töchter hier tagtäglich in koedukativen Räumen agieren. Freundschaften, Neigungen und vielleicht Liebe entstehen dort – ob dies unseren Vorstellungen entspricht oder nicht. Die Aufgabe der Eltern besteht darin, diese Realitäten weise zu begleiten, nicht sie in ein kulturelles Korsett zu zwingen. Denn elterliche Fürsorge kulminiert nicht in ethnischer Homogenität, sondern im aufrichtigen Glück jener, deren Schlaf wir einst behüteten.
Kurzum: Nationale Herkunft mag folkloristische Farbe hinzufügen, doch das Fundament einer Ehe bleibt die seelische Resonanz zweier Menschen. Wer diese schlichte Wahrheit ignoriert, riskiert emotionalen Bankrott – unabhängig davon, ob der Ehebund mit Pashtun, Punjabi oder Palästinenser besiegelt wird.
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Wie reagieren, wenn dein Kind seinen Partner kennenlernt?
Die erste Einsicht lautet: Die Kinder haben sich mit hoher Wahrscheinlichkeit längst über soziale Medien ausgetauscht, Photostrecken sowie Stimmungsfetzen geteilt und ein subtiles emotional-intellektuelles Profil voneinander gewonnen. Gleichgültig, ob uns diese Vorgehensweise behagt – sie ist eine soziologische Faktizität; wir wären töricht, sie ignorieren zu wollen. Unsere Rolle verlagert sich damit von der Hüterrolle, die einst jeden Erstkontakt kontrollieren konnte, hin zur Mentorenschaft, die begleitet, sortiert und islamisch rahmt.
Damit einher geht die Erkenntnis, dass die klassische Heiratsmatrize – ein sporadisches »Kennenlernen« im Salon, gefolgt von der frommen Hoffnung, dass Liebe schon nach der Nikāḥ erblühen werde – keineswegs eine allgemeingültige Erfolgsformel darstellt. Zu zahlreich sind die episodisch scheiternden Ehen, die belegen, dass sentimentale Zuneigung nicht automatisch »nachwächst«, wenn fundamentale Affinitäten fehlen. Gleichzeitig führt ein autoritäres Nein-Sagen der Eltern häufig nur dazu, dass die Kinder zwei voneinander abgekoppelte Identitäten kultivieren: ein häuslich-religiöses Tarngewand und ein extern gelebtes Parallelleben, das alle moralischen Risiken einer heimlichen Beziehung in sich birgt.
Vor diesem Hintergrund lautet die einzig pragmatisch-islamische Strategie: den Weg zum Halāl so niederschwellig, würdig und attraktiv zu gestalten, dass er den vermeintlich unkomplizierten, aber spirituell ruinösen Haram-Weg übertrifft. Wenn Eltern durch ethnische Vorbehalte, exorbitante Mitgiftforderungen oder rigide Erwartungskataloge unüberwindbare Hürden aufbauen, tragen sie Mitverantwortung, sollte der Nachwuchs eine illegitime Alternative wählen. Denn unsere Kinder bewegen sich in einem kulturell hybriden Koordinatensystem: Sie sprechen, denken und interagieren in einem sozialen Kosmos, der sich signifikant von dem ihrer Herkunftsländer unterscheidet. Zu behaupten, allein die Nationalität eines Kandidaten sei Kompatibilitätsgarant, ist eine bequeme, aber realitätsfremde Fiktion.
Der entscheidende Prüfstein bleibt der Charakter – jene Kombination aus Integrität, Gottesfurcht, Verantwortungsbewusstsein und Alltagstauglichkeit, die der Prophet ﷺ in seiner berühmten Ḥadīṯ-Maxime als zentrales Heiratskriterium hervorhebt. Wenn diese Eigenschaften erkennbar sind und die gegenseitige Harmonie sich als belastbar erweist, darf ein fehlendes Vermögen, ein anderer Stamm oder ungewohnte Dialekte kein Hinderungsgrund sein. Gleichzeitig müssen Eltern einräumen, dass menschliche Reife sich oft erst durch das Machen – und notfalls Scheitern – eigener Entscheidungen manifestiert. Ein Fehlschlag innerhalb des legitimen Rahmens bleibt eine Lernerfahrung; wer indes alle Türen verriegelt, öffnet womöglich Fenster zum moralischen Abgrund.
Kinder, die das Vertrauen aufbringen, ihre Zuneigungen offenzulegen, verdienen Verständnis, Seelsorge und strukturierten Rat – nicht das Damoklesschwert der kollektiven Familienehre. So zeigen wir praktisch, dass Islām kein Korsett erstarrter Bräuche ist, sondern eine lebendige Zivilisationsform, die zeitlose Prinzipien – Taqwā, Anstand, Barmherzigkeit – in jede Epoche zu übersetzen vermag. Erst wenn wir diesen Spagat zwischen Fürsorglichkeit und Freigebung meistern, wird deutlich, dass elterliche Liebe nicht darin kulminiert, die Kinder nach eigenen Wunschbildern zu verheiraten, sondern darin, sie in einen rechtschaffenen, emotional tragfähigen Bund zu geleiten, der sie Allāh und einander näherbringt.
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Sollten Eltern Ärzte oder Juristen als Schwiegerkinder bevorzugen?
In unserer aktuellen gesellschaftlichen Konstellation müssen wir uns mit der Erkenntnis auseinandersetzen, dass die herkömmlichen Maßstäbe zur Bestimmung der Fähigkeit, eine Familie zu unterhalten, einer kritischen Reevaluierung bedürfen.
Das Abschlusszeugnis eines Medizinstudiums hierzu, ist nicht das alleinige Gütesiegel, sondern vielmehr eine reduktionistische und überholte Perspektive. Stattdessen ist es wichtig, dass eine Person – unabhängig von ihrem Bildungsweg – die erforderliche Kompetenz und das Engagement aufbringt, um das Wohlergehen einer Familie zu garantieren, sei es durch diverse berufliche Unterfangen oder parallel laufende akademische Bestrebungen. Es geht dabei nicht darum, leichtfertig oder unüberlegt eine Verbindung einzugehen, sondern um die pragmatische und realistische Fähigkeit, ein familiäres Umfeld zu unterstützen und zu nähren.
Wir sehen Beispiele von internationalen Studierenden, die Familien mit Kindern gründeten und diese Herausforderung bewältigten, selbst wenn dies eine Verlängerung ihrer Studienzeit bedeutete. Diese Entscheidungen zeigen, dass eine Tür zum Halal geöffnet wurde, während traditionellere Pfade vielleicht geschlossen blieben. In Bezug auf die Partnersuche unserer Töchter sollte weder ein übertrieben hoher noch ein minimaler Anspruch gestellt werden. Es existiert eine praktikable Mitte. Es ist vernünftig und realistisch, von einem potenziellen Schwiegersohn zu verlangen, dass er durch kontinuierliche berufliche Anstrengungen und finanzielle Planung seine Ernsthaftigkeit und Verantwortungsbereitschaft unter Beweis stellt.
Wir sollten uns auch nicht von den Urteilen anderer beeinflussen lassen. Auch wenn Beziehungen, die Länder-, Dorf- oder Sprachgrenzen überschreiten, in manchen Familien für Unruhe sorgen mögen, ist es ratsam, solche Kommentare zu überhören. Das Glück unserer Kinder hängt nicht von den Meinungen Dritter ab. Selbst wenn jemand eine geschiedene Person mit Kindern heimbringt – was werden die Leute sagen? Lassen wir sie reden. Das Wohlbefinden und die Zufriedenheit unserer Kinder stehen im Vordergrund und hängt nicht davon ab, was andere denken. Es ist nicht erforderlich, kostspielige Feierlichkeiten zu veranstalten, um sozialen Erwartungen gerecht zu werden. Das zentrale Ziel sollte es sein, ein Umfeld zu schaffen, in dem unsere Kinder ein erfülltes und glückliches Leben führen können.
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Prägen Quran-Übersetzungen die Rolle der Ehefrau im Islam?
Die Debatte um die Stellung der Ehefrau im heutigen Islām ist von einer bemerkenswert vielschichtigen Text- und Traditionsgeschichte durchzogen. Ihr neuralgischer Punkt liegt häufig in den Deutungen einzelner Qurʾān-Verse – allen voran Sūrat an-Nisāʾ. Nicht selten postulieren bestimmte Exegeten, dieser Āyah bestätige ein patriarchales Primat und räume dem Ehemann gar ein kontingentes Recht zur physischen Züchtigung ein. Solche hermeneutischen Kurzschlüsse nähren bis heute polarisierende Narrative, obwohl sie auf fragilen Übersetzungsfundamenten ruhen.
Eine nähere philologische Sondierung legt offen, wie sehr die deutschsprachige Rezeptionsgeschichte durch terminologische Ungenauigkeiten geprägt wurde. Namentlich in den Versionen von Henning sowie Goldschmidt finden sich zahlreiche semantische Verengungen, die unverkennbar die Brille persönlicher Vorannahmen und einzelner klassischer Kommentare tragen. Besonders augenfällig ist dies bei Paret: Trotz seiner reputierten Fachautorität ist seine inzwischen über fünfzig Jahre alte Fassung in zentralen Passagen von einer terminologischen Schieflage gekennzeichnet, die weniger einer legitimen alternativen Lesart als vielmehr einem unreifen Stadium der damaligen Qurʾānforschung geschuldet scheint.
Setzt man sich wissenschaftlich mit solchen Übersetzungsartefakten auseinander, zeigt sich schnell, dass nicht primär ideologische Agenda-Setting der Motor war, sondern methodische Limitationen – etwa der beschränkte Zugang zu Handschriften, die noch junge arabistische Linguistik des 20. Jahrhunderts oder schlicht zeitlicher Publikationsdruck. Gleichwohl wirken diese frühen Fehler bis in die Gegenwart fort und konstruieren ein Bild, das dem ganzheitlichen Ethos des Islām widerspricht.
Denn in der normativen Primärliteratur wird Ehe als mīthāq ghalīẓ – als erhabener Bund – verstanden, den Allāh auf den Säulen von Gerechtigkeit, Raḥma (Barmherzigkeit) und Ṣabr (geduldiger Nachsicht) gründet. Konfliktbewältigung hat nach prophetischem Vorbild über Dialog, Empathie und Versöhnung zu erfolgen, nicht über Zwang oder Aggression; Gewalt ist ethisch wie rechtlich nur als allerletztes, streng reglementiertes Mittel denkbar und wird in der Frühpraxis nahezu inexistente Realität. Die vermeintlich „patriarchalische“ Lesart ist daher eher das Resultat selektiver Übersetzungsentscheidungen als eine genuine qurʾānische Intention.
Wer die Rolle der Frau im Islām seriös erfassen will, muss über vage Übersetzungsformeln hinaus zur Quellenphilologie zurückkehren und die prämoderne juristische sowie spirituelle Diskurslandschaft einbeziehen.
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Sind Männer den Frauen in der Ehe überlegen?
„Die Männer sind den Weibern überlegen wegen dessen, was Allah den einen vor den anderen gegeben hat, und weil sie von ihrem Geld (für die Weiber) auslegen.” Sure 4: 34 - Übersetzung von Max Henning
Besonders hervorzuheben ist die häufig missinterpretierte Wendung „qawwamun ‘ala“. Entgegen der gängigen Auffassung, die in dieser Phrase eine Implikation männlicher Dominanz oder Überlegenheit sieht, demonstriert eine sorgfältige linguistische und milieuabhängige Analyse, dass der Ausdruck keinerlei solche Konnotationen trägt. Selbst die weit verbreitete Übersetzung „stehen den Frauen in Verantwortung vor“ erweist sich als sprachlich und situativ problematisch, insbesondere da „qawwamun ‘ala“ nicht einmal adäquat auf den Leiter einer Gebetsgemeinschaft anwendbar ist.
Der wahre Kern des Ausdrucks entspringt seiner Funktion als Intensivierung und Rollentypisierung von „qâ°im €alâ”. Das zugrunde liegende Verbkonstrukt „qâma €alâ” bedeutet wörtlich „(auf-)stehen ob” und kann mehrere Schlüsselbedeutungen im klassischen Arabisch annehmen: Siehe hier (von lichtwort.de)
Eine mutige, doch wohlüberlegte These könnte postulieren, dass dieser Vers, in seiner präzisen literarischen Gestalt betrachtet, gar keine eine Zustimmung andeutet, sondern als ein emphatischer Leitfaden oder sogar als ethisches Gebot interpretiert werden sollte. Diese Einsicht eröffnet uns zwei fundamentale Erkenntnisse: Zum einen zeigt sie auf, dass etliche Kritiker den Vers faktisch missverstehen. Zum anderen legt sie die Hypothese nahe, dass die dem Mann attribuierte Autorität in diesem Kontext nicht so weitreichend ist, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag.
Im gesamten Text des verehrten Qurans findet sich keine explizite Aussage, die den Mann grundsätzlich oder naturgegeben als höherrangig gegenüber der Frau definiert. Selbst wenn wir den besagten Vers als eine Hervorhebung der Männer interpretieren wollten, wäre diese hervorgehobene Position auf ihre finanziellen Beiträge zurückzuführen, was nahelegt, dass eine vermeintliche Überlegenheit nicht intrinsisch aus der Männlichkeit selbst erwächst.
„Männer sind die Bediener/Bewahrer von Frauen dadurch, wie sehr Allah sie voreinander bevorzugt hat und dadurch, wie sehr sie von ihrem Vermögen ausgegeben haben.” Sure 4: 34
In diesen Übersetzungen wird das Wort „einander“ betont und somit auf eine inhärente Wechselseitigkeit hingewiesen. Dies impliziert eine reziproke Beziehung, die nicht nur Männern in bestimmten Aspekten Vorrechte gewährt, sondern auch den Frauen in anderen Bereichen Vorteile gegenüber den Männern einräumt.
Die Erörterung einer potenziellen männlichen Überlegenheit in ausgewählten Domänen findet durchaus ihre Legitimation, solange diese Betrachtungsweise die domänenspezifischen Superioritäten der Frauen gegenüber den Männern nicht negiert. Diese Form der wechselseitigen Superiorität in unterschiedlichen Bereichen reflektiert eher die komplexe Beschaffenheit unseres Daseins und steht in Kongruenz mit unserem modernen Verständnis der Geschlechterdynamik.
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Was sind widerspenstige Ehefrauen im Quran?
„Und wenn ihr fürchtet, dass diejenigen Ehefrauen sich widerspenstig (nushûz) verhalten, (...)” Sure 4:34
Die Herausforderung, das arabische Wort „nushûz“ korrekt und authentisch zu übersetzen, bleibt leider in vielen Übersetzungsbemühungen unerfüllt. Die häufig verwendeten Übersetzungen wie „Widerspenstigkeit“ und „Auflehnung“ sind in diesem Zusammenhang unzulänglich und irreführend. In Wirklichkeit bezieht sich „nushûz“ auf ein Verhalten, das grundlegend gegen die ehelichen Vertragspflichten verstößt, insbesondere auf Fälle von ehelicher Untreue.
Im arabischen Original von Sure 4:34 wird ersichtlich, dass der Fokus des Verses nicht generell auf allen Ehefrauen liegt und vor allem nicht auf jenen, die möglicherweise als „widerspenstig“ eingestuft werden könnten. Der Vers adressiert vielmehr eine bestimmte, kleine Gruppe von Individuen, die sich durch außergewöhnlich zerstörerisches Verhalten hervorheben.
Die semantische Analyse des Begriffs „nushûz“, dessen wörtliche Übersetzung „Erhebung vom Boden“ lautet, findet eine bedeutungsvolle Anwendung in Sure 58:11 des edlen Qurans. Diese metaphorische Interpretation kann auf den „Boden“ eines Ehevertrages bezogen werden, den eine Person zu überschreiten im Begriff steht, was die Unvoreingenommenheit des Ausdrucks hervorhebt.
Eine zusätzliche Dimension der Bedeutung von „nushûz“ wird durch einen authentisch klassifizierten Hadith unseres Propheten Muhammad ﷺ, dokumentiert in Sunan at-Tirmidhiyy, Kitâb Tafsîr al-Qurân, Nr. 3087, beleuchtet. In dieser Überlieferung wird auf Formulierungen des betreffenden Verses Bezug genommen und erläutert, wodurch das Verständnis von „nushûz“ im Sinne schwerwiegender Verfehlungen präzisiert wird. Besonders auffällig ist die Verwendung des Ausdrucks „deutliche obszöne Abscheulichkeit“, der hier als eine Art Synonym für Unzucht oder zumindest für Verhaltensweisen, die dieser sehr nahestehen, fungiert.
Diese Auslegungen bieten einen ersten Einblick in die reichhaltige Natur dieses Ausdrucks und seine Bedeutung in Verbindung mit der islamischen Lehre.
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Darf der Mann seine Ehefrau schlagen?
Unser Prophet Muhammad ﷺ, als leuchtendes Vorbild, übte niemals Gewalt gegen seine Ehefrauen aus und lebte ein Ethos der Achtung und des Mitgefühls vor – eine Haltung, die sich nicht nur auf menschliche Beziehungen erstreckte, sondern auch auf den Umgang mit der gesamten Schöpfung. Zum Beispiel zeigte er Fürsorge und Milde im Umgang mit Tieren und setzte sich vehement für den Erhalt der Umwelt ein.
Darüber hinaus illustrieren zahlreiche Episoden aus Seinem Leben sein Engagement für soziale Gerechtigkeit. Er trat für die Rechte von Frauen und Kindern ein, förderte aktiv die Beseitigung sozialer Ungleichheiten und betonte mehrmalig die Bedeutung von Bildung und Wissenserwerb für alle Menschen, unabhängig von Geschlecht. Im Kern der islamischen Lehre steht die Vorstellung der Ehe als Hort der Liebe, des Friedens und des wechselseitigen Verständnisses.
Das arabische Wort „Daraba“, das in Sure 4, Vers 34 oft mit „schlagen“ übersetzt wird, besitzt nicht zwangsläufig die harte Konnotation, die im Deutschen suggeriert wird. In seiner breiteren Bedeutung kann „Daraba“ auch eine harmlose Geste wie ein freundschaftliches Schulterklopfen oder ein anerkennendes Tätscheln beinhalten. Zudem stellt diese Handlungsanweisung den abschließenden Teil einer Dreiersequenz dar, die zunächst zu einer eindringlichen Ermahnung und dann zur Vermeidung des gemeinsamen Bettes auffordert.
Obschon der Vers in seinem umfassenderen Rahmen sicher mehr impliziert als ein bloßes Schulterklopfen oder freundliches Tätscheln, illustrieren diese Interpretationen des Begriffs „Darb“ primär, dass das arabische Wort nicht notwendigerweise die Strenge mit sich bringt, die im deutschen Ausdruck „schlagen“ mitschwingt. In Bezug auf den Umgang mit alltäglichen Ehekonflikten oder sogenannten „Widerspenstigkeiten“ in 4:34 verweist der verehrte Quran ausdrücklich nicht auf rigide Maßnahmen. Er, ebenso wie die Überlieferungen unseres Propheten Muhammad ﷺ, akzentuieren stattdessen die Bedeutung einer gewaltlosen, duldsamen und vergebenden Partnerschaft, wie es auch in den Versen 4:19, 30:21 und 64:14 zum Ausdruck kommt.
Weiterhin verlangt Sure 4:34 keineswegs eine Forderung nach blindem Gehorsam der Ehefrau gegenüber ihrem Ehemann und gemäß den zentralen Prinzipien des ehrwürdigen Quran ist es dem Ehemann nicht erlaubt, einen derartigen Gehorsam von seiner Ehefrau zu erwarten. Vor diesem Hintergrund erscheint es als geboten, einen nicht schädigenden, nicht qualvollen, einmaligen Akt, der als letzte Instanz zur Rettung einer in Gefahr befindlichen Ehe gedacht ist, nicht übereilt zu verurteilen.
Es mag durchaus berechtigte Fragen aufwerfen, weshalb keine äquivalente Regelung für Frauen im erhabenen Quran vorgesehen ist. Viele Frauen bevorzugen eine Beziehung, in der Gleichheit und gegenseitiger Respekt vorherrschen, statt einer, die durch hierarchische Regelungen geprägt ist. Darüber hinaus birgt eine derartige Regelung das Risiko einer gefährlichen, sich aufschaukelnden Eskalation von Konflikten. In einer Beziehung, in der Frauen ähnliche Handlungsbefugnisse wie Männer hätten, um auf „Widerspenstigkeiten“ zu reagieren, könnte dies zu einer Zunahme von häuslicher Gewalt und Missbrauch führen, insbesondere in Milieus, in denen Frauen bereits strukturell benachteiligt sind. Eine solche Dynamik könnte in vielen Fällen für Ehefrauen, die sich in einer vulnerablen Position befinden, schwerwiegende Folgen haben.
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Ist die Mehrehe vom Islam?
Polygamie ist ein transkulturelles Konstantum, ein soziologisches Palimpsest, das seit Urzeiten Kontinente überspannt – von mesopotamischen Königshäusern über tibetische Hochgebirgstäler bis zu polynesischen Atollen. Ob Demografie, Ökonomie, Stammesethos oder sakrale Norm: jede Zivilisation modulierte dieses mehrschichtige Ehe-Konstrukt nach eigenen Parametern.
Auch die Bibel kennt keinerlei kategorisches Verbot: Patriarchen wie Jakob oder David agieren als plurale Ehemänner und Mose kodifiziert Gleichbehandlungs-Gebote für Ko-Ehefrauen. Moderne westliche Rechtsordnungen untersagen lediglich die formale Doppelehe; consensuelle Vielbeziehungen bleiben rechtlich eine Privatangelegenheit.
Zu behaupten, der Islam habe Polygamie erst erfunden, ist historiografisch unhaltbar. Lange vor Muḥammads ﷺ Sendung verzeichnete das vorislamische Arabien Ehemänner mit zweistelligen Gattinnenzahlen. Der Qurʾān übernimmt diese Realität nicht ungebremst, sondern kanalisiert sie normativ: Maximal vier Frauen, zwingende Gerechtigkeit, volle ökonomische Verantwortung – ein restriktiver Rahmen statt schrankenloser Lizenz.
Kurzum: Die Mehrehe ist kein islamisches Novum, sondern ein prähistorisches Kulturmotiv, das der Islam geregelt, begrenzt und ethisch domestiziert hat.
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Warum ist die Mehrehe für Männer nicht verboten?
Der edle Qurʾān weist mehrfach darauf hin, dass die monogame Ehe das bevorzugte Ideal darstellt; gleichwohl wurde die Mehrehe nicht aus dem islamischen Gefüge exorziert. Stattdessen beschränkt die Offenbarung – in einem Akt legislativer Weisheit – das vormals unbegrenzte Kontingent auf höchstens vier Ehefrauen und knüpft es an die conditio sine qua non vollkommener Gerechtigkeit in Unterhalt, Zuneigung und Würde.
Diese Vorgehensweise spiegelt den reformatorisch-inklusiven Grundmodus der Scharia: Der Islam will Kulturen nicht tabula-rasa-artig umstürzen, sondern bestehende Muster veredeln. Schädliche Phänomene – Khamr (Rauschmittel), Maisir (Glücksspiel) oder Ribā (Wucherzins) – werden rigoros untersagt; sozial Zuträgliches hingegen wird behutsam reguliert.
In vormodernen Gesellschaften fungierte die Ehe primär als sozioökonomischer Schutzpakt. Besonders in agrarisch geprägten Milieus vermochten wohlhabende Männer dank konsolidierter Ressourcen mehrere Haushalte zu finanzieren. Solche Arrangements bewahrten Frauen und Kinder vor materieller Vulnerabilität, boten soziale Absicherung und gewährleisteten ein stabiles Umfeld, in dem familiäre Kohäsion und gegenseitige Subsidiarität florierten.
Vor diesem Hintergrund erschien ein Totalverbot aus islamrechtlicher Perspektive nicht notwendig. Fuqahāʾ (Rechtsgelehrte) betonten: Solange Kardinalprinzipien wie Versorgungsgerechtigkeit, emotionale Fürsorge und moralische Lauterkeit gewahrt bleiben, bleibt die Polygynie eine legitime – wenn auch verpflichtend geregelte – Option. Ihre historische Akzeptanz verweist weniger auf patriarchale Willkür als auf einen kulturellen Konsens, der kollektive Resilienz begünstigte.
Kurzum: Die islamische Regelung der Mehrehe verkörpert pragmatischen Humanismus. Sie schützt Individuum und Gemeinschaft gleichermaßen, kanalisiert vorgefundene Realitäten in ein ethisch vertretbares Raster und erhält so das fragile Gleichgewicht zwischen persönlichem Wohl und gesellschaftlicher Harmonie.
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Ist die Mehrehe ungerecht?
Der erhabene Qurʾān verankert Gerechtigkeit (ʿadl), Ethik und das menschliche Wohl als Leitplanken allen Handelns. Seine einschlägigen Verse verdeutlichen: Mehrehe erscheint keineswegs als freies Privileg, sondern ist an ein engmaschiges Bedingungsgefüge geknüpft, das jede Schieflage konsequent verhindern soll.
Ein Mann darf demnach nur dann mehrere Gattinnen ehelichen, wenn er mit kristallklarer Gewissheit sämtlichen Frauen materielle wie immaterielle Äquivalenz gewährleisten kann. Dieses Paritätsgebot umfasst nicht bloß Unterhalt, Wohnraum und sämtliche täglichen Bedarfe, sondern ebenso die subtilen emotionalen Sphären: ausgewogene Zuwendung, proportionierte Zeitaufteilung, ungeteilte Aufmerksamkeit sowie sorgsame Förderung des seelischen Wohlbefindens jeder einzelnen Ehefrau.
Die Verantwortlichkeiten, die bereits gegenüber einer einzigen Partnerin und ihren Kindern schwer auf den Schultern lasten, multiplikieren sich mit jeder zusätzlichen Ehe. Ein ernsthaft gläubiger Muslim, der seine religiösen Verpflichtungen mit Achtsamkeit auslotet, wird eine zweite Ehe daher nur aus klar umrissenen rationalen oder karitativen Motiven ins Auge fassen – etwa zur sozialen Absicherung einer Witwe oder zum Erhalt vulnerabler Familienstrukturen.
Ein reflektierter Leser erkennt somit rasch: Die islamische Erlaubnis zur Mehrehe erschöpft sich keineswegs in hedonistischer Bedürfnisbefriedigung. Sie fungiert vielmehr als sozioethisches Regulativ, dessen Inanspruchnahme jenen vorbehalten ist, die sich der Schwere ihrer Bürde bewusst sind und bereit, jedem Kind wie jeder Ehefrau unverkürzte Fürsorge zukommen zu lassen.
Für uns Muslime ist Gerechtigkeit indes kein abstraktes Gedankenspiel, sondern ein theologisch verankertes Axiom. Allein Allah – der Allwissende und Allweise – besitzt die souveräne Autorität, die wahre Gestalt der Gerechtigkeit in allen ihren Verästelungen zu definieren. Menschliche Urteile, mögen sie noch so informiert sein, bleiben per Definition fragmentarisch; die göttliche Gerechtigkeit hingegen ist allumfassend, allsehend und allwissend.
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Dürfen Frauen mehrere Männer heiraten?
Innerhalb der Menschheitsgeschichte hat die Polyandrie – die gleichzeitige Ehe einer Frau mit mehreren Männern – nie jene Verbreitung oder kulturelle Akzeptanz erfahren wie die Polygynie, in der ein Mann mehrere Frauen ehelicht. Das liegt zum einen an genuin bioreproduktiven Parametern: Ein polygynes Szenario maximiert die kollektive Fertilität – ein einzelner Mann kann im selben Zeitraum zahlreiche Nachkommen zeugen –, was historisch in Phasen von Bevölkerungsverlusten (Kriege, Pandemien, Naturkatastrophen) als eminent vorteilhaft galt. Eine Frau hingegen bleibt, selbst bei mehreren Gatten, durch Schwangerschaft und Stillzeit auf wenige Geburten begrenzt; polyandrische Bündnisse steigern die Bevölkerungszahl mithin nicht – sie tendieren im Gegenteil sogar dazu, den demografischen Zuwachs weiter zu verringern.
Daraus erwachsen soziokulturelle Spannungsfelder: Unklarheit über die Vaterschaft unterminiert Erbfolgen, Clanzugehörigkeit und sozialen Status – allesamt Strukturen, die in vormodernen Gesellschaften auf eindeutiger Abstammung beruhten. Zusätzlich potenziert sich das Risiko sexuell übertragbarer Krankheiten, sofern keine rigorosen Schutzmechanismen bestehen, was im Widerspruch zum islamischen Postulat des ḥifẓ al-nafs (Schutz des Lebens) steht.
Die spezifische Untersagung der Polyandrie im Islam wurzelt jedoch nicht bloß in solchen Erwägungen; sie ist in den primären Offenbarungstexten verankert und somit normativ bindend. Gelehrte können über die dahinterliegende Weisheit reflektieren, doch bleiben solche Spekulationen exegetisch unverbindlich.
Gleichzeitig verfolgt der Islam – entgegen verbreiteter Annahmen – einen progressiven Ansatz in Fragen weiblicher Eheschließung und Scheidung. Musliminnen dürfen sich nach einer rechtmäßigen Trennung ohne Stigma neu vermählen. Diese Option, die etwa im katholischen Christentum stark reglementiert ist, betont die Handlungsautonomie der Frau und positioniert sie als gleichberechtigte Partnerin innerhalb der Ehe.
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Die Altvorderen als Vorbild für die Mehrehe?
Die Stellung der Ṣaḥāba, der Gefährten des Propheten ﷺ, als moralische Referenzgröße ist unbestritten. Zugleich lebten einige von ihnen eine polygame Eheform, die in ihrer vorislamischen Sozialisation bereits etabliert war. Ihre damalige Praxis spiegelte also weniger eine spezifisch islamische Neuerung als vielmehr die vorherrschende kulturelle Matrix wider und lässt daher keine unmittelbaren Rückschlüsse auf die damalige Einstellung aller Frauen zu.
Diese Frauen wuchsen – vielfach noch dem Polytheismus zugewandt – in einer Umwelt auf, in der Mehrehe als normal galt. Ihre Akzeptanz gründete somit primär auf soziokultureller Prägung, nicht auf einem höheren Maß an ʾĪmān. Historischer und kultureller Kontext sind folglich unabdingbar, will man polygame Bündnisse jener Epoche angemessen verstehen.
Obgleich die Ṣaḥāba in Frömmigkeit vorbildhaft bleiben, müssen ihre Entscheidungen im Lichte ihrer Zeit gelesen werden. Ihre ökonomischen Zwänge und gesellschaftlichen Realitäten unterscheiden sich radikal von den unseren. Darum gebietet es sich, zwischen zeitlosen Glaubensprinzipien und wandelbaren kulturellen Praktiken zu differenzieren.
Heute empfinden viele Musliminnen polygame Konstellationen als zutiefst schmerzlich. Der menschliche Drang, seelisches Leid abzuwehren, ist legitim und wird vom Islam durch das Postulat von Gerechtigkeit (ʿAdl), Barmherzigkeit (Raḥma) und feinfühliger Empathie bestätigt. Vor diesem Hintergrund erscheint es kaum nachvollziehbar, dass ausgerechnet in der Ehe jene Zuneigung und Rücksichtnahme – Inbegriff islamischer Ethik – an den Rand gedrängt werden könnten.
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Wie stärken wir Frauen in polygamen Beziehungen?
Die gegenwärtige Umma gleicht einem kaleidoskopischen Teppich aus Sprachen, Ethnien und Rechtsauffassungen – eine derart vielgestaltige Topografie verbietet jegliche Schematisierung. Gleichwohl verlangen bestimmte Phänomene, namentlich die Mehrfachverheiratung, besondere hermeneutische Feinfühligkeit.
In polygyn strukturierten Haushalten droht die innere Statik rasch zu erodieren. Eifersucht, latente Konkurrenz und rivalisierende Loyalitäten können zu regelrechten emotionalen Vortexen anwachsen, die nicht nur die Ehefrauen, sondern auch die kindlichen Psychen in Mitleidenschaft ziehen. Der resultierende Affektdruck zehrt am sozialen Kitt der Familie und gefährdet das Prinzip der sakīna – jener gottgewollten Heiterkeit, die das islamische Eheideal durchzieht.
Wird Polygynie unreflektiert praktiziert, vermag sie vorhandene Geschlechterasymmetrien zu institutionalisieren. Eine überakzentuierte patriarchale Hierarchie kann Frauen in ökonomische und emotionale Dependenz zwingen, wodurch das quranische Postulat der gegenseitigen walāya (partnerschaftlichen Fürsorge) ausgehöhlt wird.
Bildungs- und Sensibilisierungsprogramme sind das intellektuelle Antidot gegen Missverständnisse und essentialistische Stereotype. Nur eine breit angelegte Aufklärung, die die gesamte Palette islamischer Rechtsmeinungen und gelebten Praxisreichtums ausleuchtet, vermag differenziertes Urteilsvermögen zu kultivieren.
Imame, ʿulamāʾ und andere epistemische Autoritäten verfügen über eine beachtliche symbolische Kapitalkraft. Durch Predigt, Fatwā und Seelsorge können sie eine hermeneutisch fundierte Sprache der Barmherzigkeit (raḥma) etablieren, Missstände anprangern und ihre Gemeinden zu einer ethisch vertieften Polygyniepraxis – oder zur verantwortungsvollen Monogamie – animieren.
Netzwerke von Beratungsstellen, Mediationseinrichtungen und Peer-Support-Gruppen bilden den psychosozialen Rückhalt für betroffene Familien. Sie fungieren als diskrete Resonanzräume, in denen Erfahrungen ventiliert, Konflikte konstruktiv kanalisiert und pragmatische Lösungsstrategien erarbeitet werden können.
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Sind Zwangsehen islamisch?
Ein kurzer Abgleich mit ethnologisch-historischen Befunden genügt indes, um die Sachlage zurechtzurücken: Ehezwang – in seinen expliziten wie subtilen Ausformungen – durchzieht ein breites Spektrum religiöser und säkularer Kulturen. Er ist kein genuines Signum des Islām, sondern ein transkulturelles Fehlverhalten.
Gerade deshalb lohnt der Blick in die Primärquellen der Offenbarung. Dort lesen wir eine unzweideutige Zurückweisung jeglicher Nīkāḥ-Initiative, die ohne die ridā (freie Zustimmung) der beteiligten Parteien vollzogen wird. In vielzitierten aḤadīṯ lehnt der Prophet ﷺ erzwungene Eheschließungen kategorisch ab und gibt Frauen die Wahl, sie aufzuheben oder zu bestätigen. Ebenfalls lässt der Qurʾān selbst keinen Raum für paternalistische Zwangslenkung. Mit Blick auf die Geschichte darf konstatiert werden, dass der Islām zu der einzigen Religion gehört, der ein explizites göttlich-prophetisches Verdikt gegen Zwangsehen verankert hat.
Was also als „muslimische Praxis“ kolportiert wird, ist in Wahrheit ein kulturelles Artefakt, das den normativen Kern des Islām subvertiert. Gleichwohl sind auch westliche Milieus nicht immun: Die sog. negative Zwangsehe – etwa das Ultimatum „Heiratest du ihn, bist du nicht mehr meine Tochter“ – ist psychologisch nicht minder übergriffig als eine traditionell arrangierte Zwangsunion. Hier offenbart sich, dass Koeffizient des Zwanges keineswegs an Geografie oder Religionszugehörigkeit gebunden ist, sondern an Machtasymmetrien und Ehrvorstellungen.
Zwangsehen sind weder islamisch noch exklusiv orientalisch, sondern manifestieren kulturgebundene Machtmissbräuche. Die authentische islamische Norm hingegen erhebt die freie, reife Zustimmung beider Partner zum conditio-sine-qua-non einer gültigen Ehe – gleichgültig, ob solche Zustimmungsfreiheit in Damaskus, Delhi oder Düsseldorf angefochten wird. Möge Allah uns die Weisheit schenken, diesen Grundsatz in jeder Gesellschaftsordnung kompromisslos zu verankern.
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Warum gibt es Zwangsehen im Islam?
Zwangsehen sind kein Erzeugnis des Islams, sondern eine jahrhundertealte, vielschichtige Sozialerscheinung, die dort aufblüht, wo Heirat in erster Linie als kollektives Regulativ – ökonomisch, politisch oder reputativ – fungiert. In Gemeinschaften, deren Identität stark um Familienclans, Stammesstrukturen oder dörfliche Honorkulturen kreist, wird die Ehe nicht primär als intimes Bündnis zweier Individuen gelesen, sondern als strategischer Nexus zwischen Gruppen.
Wenn das Wohl des Kollektivs die Autonomie des Einzelnen überragt, entsteht ein normativer Erwartungsdruck: Sohn oder Tochter sollen die familiale Agenda vervollständigen – Vermögen konsolidieren, politische Allianzen stützen, den sozialen Status sichern. Unter solchen Prämissen ist elterliche Einmischung bis hin zur finalen Partnerdirective keineswegs pathologische Ausnahme, sondern logische Systemfunktion. Dass Zwangsehen quer durch Religionsgrenzen vorkommen, bestätigt: Die Ursache ist ein kulturelles Habitual, nicht ein quranischer Imperativ.
Um die Mechanik greifbarer zu machen, lohnt ein westlicher Seitenblick: In hochgradig karriereorientierten Milieus werden junge Erwachsene nicht selten faktisch „verheiratet“ – nicht mit Personen, sondern mit Studiengängen, Branchen oder Konzernen, die dem familiären Selbstverständnis entsprechen, während eigene Neigungen unter den Teppich gekehrt werden. Auch diese sublimere Form des Zwangs gedeiht auf Gruppeninteresse, Leistungssymbolik und Angst vor Gesichtsverlust.
Der Islām stellt sich indes eindeutig an die Seite der persönlichen Wahlfreiheit: Eine gültige Nikāḥ erfordert ridā – die ungeschönte, freimütige Zustimmung beider Partner. Der Prophet ﷺ annullierte Zwangsehen und korrigierte patriarchale Übergriffe noch zu Lebzeiten.
Zwang entsteht nur selten aus plumper Böswilligkeit, sondern aus sedimentierten Ehrkodizes, aus wirtschaftlichen Verlustängsten, aus dem Reflex, familiäre Kohärenz zu konservieren. Wer solche verwurzelten Mentalitäten verändern möchte, braucht mehr als bloße Moralappelle; er benötigt Bildungsarbeit, juristische Safeguards, aber auch empathische Seelsorge, um den Beteiligten Alternativen aufzuzeigen.
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Sind nur Frauen von Zwangsehen betroffen?
Zwangsehen stellen eine geschlechtsübergreifende Menschenrechtsverletzung dar, deren destruktive Dynamik keineswegs exklusiv weibliche Biografien deformiert, sondern ebenso männliche Existenzen bedroht, wenngleich deren Leiden oft im Schatten kollektiver Wahrnehmung verbleibt; tradierten Stereotypen zufolge gilt der Mann als physisch autonom und emotional unverwundbar, wodurch seine Betroffenheit marginalisiert wird – eine fatale Verkürzung, denn die Mechanismen unfreiwilliger Eheschließung operieren primär mittels psychischem Druck, familiärer Manipulation und sozialer Sanktion, nicht durch schiere Körperkraft.
Auch innerhalb religiös geprägter Milieus, in denen die Ehe als sakraler Bund zwischen Mann und Frau definiert wird, können Individuen – etwa homosexuelle Muslime, deren Neigung keine rituelle Anerkennung findet – einem überwältigenden Konformitätszwang ausgesetzt sein, der sie in heterosexuelle Allianzen drängt; doch jeglicher Zwang kollidiert frontal mit dem islamischen Prinzip der gegenseitigen Ridā – der freiherzigen Zustimmung – und kommt einer spirituellen wie rechtlichen Verfehlung gleich. Eine ausreichende Analyse muss folglich die vielfältigen Facetten, Altersstufen und Geschlechter der Betroffenen erfassen, um passgenaue Präventions- und Interventionsstrategien zu konzipieren, die von empathischer Seelsorge über juristische Protektion bis hin zu gesellschaftlicher Sensibilisierung reichen.
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Gibt es Beweise gegen Zwangsehen im Islam?
Die Zurückweisung von Zwangsheiraten im Islam wird durch den erhabenen Qur'an sowie durch Überlieferungen nachdrücklich bekräftigt. Diese sakralen Texte markieren die Notwendigkeit der beidseitigen Einwilligung als fundamentales Kriterium für die Legitimität einer Ehe.
Sura 4, Ayāt 19
„O die ihr glaubt! Es ist nicht zulässig für euch, Frauen gegen ihren Willen zu erben, und drängt sie nicht, um einen Teil dessen, was ihr ihnen gegeben habt (...)” Diese Passage aus dem ehrwürdigen Quran verstärkt die unverzichtbare Rolle der Zustimmung und der persönlichen Freiheit im Ehekontext des Islam. Sie legt göttliche Direktiven dar, die kategorisch das Verbot der Zwangsverheiratung von Frauen manifestieren und die Autonomie der Frau hinsichtlich ihrer Eheentscheidungen hervorheben.
Sura 2, Ayāt 232
„Und wenn ihr euch von den Frauen scheidet und sie ihre Wartezeit erfüllen, hindert sie nicht daran, ihre (früheren) Männer zu heiraten, wenn sie miteinander auf übliche Weise übereinkommen. (...)” Dieser Vers betont die Unabhängigkeit der Frau in der Wahl ihres Lebenspartners nach einer Scheidung und verbietet explizit jede Form der Einmischung durch Dritte in diese Entscheidung.
Sura 30, Ayāt 21
„Und unter Seinen Zeichen ist dies, dass Er aus eurer Mitte Gattinnen für euch erschaffen hat, damit ihr in ihnen Geborgenheit findet, und Er hat Liebe und Barmherzigkeit zwischen euch gelegt. Darin sind wahrlich Zeichen für Leute, die nachdenken.” In diesem Vers setzt Allah (s.) den fundamentalen Rahmen für eine harmonische Eheschließung. Er proklamiert, dass die Säulen einer Ehe in Liebe, Barmherzigkeit und einem Gefühl der Geborgenheit zu finden sind, was diametral dem Konzept der Zwangsehe entgegensteht.
Sura 2, Ayāt 187
„Es ist euch erlaubt, in der Nacht des Fastens mit euren Frauen zu schlafen. Sie sind euch ein Gewand und ihr seid ihnen ein Gewand. (...)” In besagtem Vers greift Allah (s.) zur Allegorie des „Gewandes", um die essentielle und innige Verbindung zwischen Eheleuten zu charakterisieren. Das Gewand symbolisiert Schutz, Intimität und Zierde für den Träger. Die Entblößung durch das Ablegen des Gewandes metaphorisiert die Verletzlichkeit ohne den anderen. Diese Analogie legt nahe, dass die Beziehung zwischen Ehegatten auf Zuneigung, Fürsorge und wechselseitigem Respekt basieren sollte, was ebenfalls diametral zur Praxis der Zwangsehe steht.
Bukhari, Buch 67, Hadith 43
Sunan Abi Dawood, Buch 12, Hadith 59
Es wird berichtet, dass eine Frau zum Propheten Muhammad ﷺ kam und ihm sagte, dass ihr Vater sie gegen ihren Willen verheiratet habe. Der Prophet ﷺ gab ihr das Recht, die Ehe zu annullieren.
Bukhari, Buch 67, Hadith 42
Eine Witwe und eine geschiedene Frau dürfen nicht verheiratet werden, bis ihr Einverständnis eingeholt wurde, und eine Jungfrau darf nicht verheiratet werden, bis ihre Erlaubnis eingeholt wurde.
Sahih Bukhari, Buch 86, Hadith 99
und Sahih Muslim, Buch 16, Hadith 83
Eine Frau namens Khansa Bint Khidam erzählte, dass ihr Vater sie gegen ihren Willen verheiratet hatte, als sie bereits einmal verwitwet war. Sie ging zu Propheten Muhammad ﷺ und Er annullierte die Ehe.
Sahih Bukhari, Buch 85, Hadith 79
und Sahih Muslim, Buch 16, Hadith 78
Die Jungfrau sollte nicht verheiratet werden, bis man sie um ihre Erlaubnis gefragt hat.
Sahih Muslim, Buch 16, Hadith 76
Überliefert von Ibn 'Abbas (r.). Der Prophet ﷺ sagte: Eine Frau, die bereits verheiratet war (also eine Witwe oder eine Geschiedene), hat mehr Recht auf sich selbst als ihr Vormund. Und eine Jungfrau sollte um ihre Erlaubnis gefragt werden, und ihre Erlaubnis besteht darin, dass sie schweigt.
Sahih Bukhari, Buch 67, Hadith 27
Abu Hurairah (r.) berichtete, dass der Prophet ﷺ sagte: Ein nicht-verheirateter Mann sollte nicht einen verheirateten Mann bitten, seine Frau zu verlassen, damit er sie selbst heiraten kann.
Diese und zahlreiche weitere Quellen aus unseren heiligen Schriften verdeutlichen unmissverständlich, dass Zwangsheiraten nicht im Einklang mit den islamischen Lehren stehen. Der Islam hebt die Bedeutung der Zustimmung und der freien Wahl in der Ehe hervor. Jegliche Handlungsweisen, die in Opposition zu diesen Grundsätzen stehen, sind demnach als nicht konform mit den islamischen Werten zu erachten.
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Welche Strategien sind effektiv gegen Zwangsheiraten?
Die Bekämpfung von Zwangsverheiratungen, erfordert ein Maßnahmenbündel, das pädagogische Aufklärung, juristische Stringenz, sozioökonomische Emanzipation und theologisch fundierte Sensibilisierung organisch verzahnt.
Zentral ist die Etablierung breit angelegter Bildungs- und Sensibilisierungsprogramme, die verwurzelte kulturelle Dispositionen dekonstruiert und das Bewusstsein für unveräußerliche Menschen- und Glaubensrechte schärft. Unterrichtsmodule müssen klar herausstellen, dass Zwangsehen den islamischen Grundsatz – der uneingeschränkten, freien Zustimmung beider Partner – verletzen und damit religiös illegitim sind.
Da Frauen statistisch häufiger betroffen sind, ist ihre rechtliche und ökonomische Empowerment ein Präventionsinstrument. Das bedeutet auch den barrierefreien Zugang zu hochwertiger (Aus-)Bildung, zu einkommensgenerierenden Ressourcen sowie zu Schutzräumen und rechtsberatenden Einrichtungen, die Frauen befähigen, gegen coercive marriage arrangements resilient vorzugehen.
Obwohl viele Staaten Zwangsheirat gesetzlich kriminalisieren, scheitert die Praxis oft an exekutiven Defiziten. Polizei- und Justizapparate benötigen spezialisierte Schulungen, um subtile Täterstrategien zu erkennen, Beweislasten sensibel zu erheben und Opfer effektiv zu schützen.
Imame und andere spirituelle Meinungsführer besitzen in zahlreichen Gemeinschaften hohes normatives Gewicht. Ihre aktive Einbindung ist unverzichtbar, um theologische Fehldeutungen zu korrigieren und die kanonische Unvereinbarkeit von Zwangsehen öffentlichkeitswirksam zu akzentuieren.
Programme, die Armutszyklen durchbrechen und individuelle Einkommensoptionen diversifizieren, eröffnen Betroffenen reale Exit-Strategien aus familiärer Abhängigkeit. Finanzielle Autonomie fungiert als Schutzschild gegen familiären Druck und ermöglicht selbstbestimmte Lebens- und Ehentscheidungen.
Die Wirksamkeit dieser Interventionsarchitektur maximiert sich, wenn alle Maßnahmen kontextspezifisch justiert, intersektional konzipiert und durch ein sensibles Community-Engagement flankiert werden.
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Wie sehen Muslime den Propheten Muhammad ﷺ?
Die Worte mögen kein Ende finden, doch zunächst kurz gesagt:
Muhammad ﷺ, unser Prophet des Islam, ist zweifellos die faszinierendste und einflussreichste Persönlichkeiten der Geschichte. Obwohl er außerhalb der islamischen Gemeinschaft möglicherweise weniger bekannt ist, bleibt er für Milliarden von Muslimen weltweit ein leuchtendes Vorbild und eine Quelle der Inspiration. Seine Lebensgeschichte, bekannt als die „Sira”, bietet nicht nur eine Chronik seiner Ereignisse, sondern auch ein Zeugnis seines außergewöhnlichen Charakters und seiner vorbildlichen Prinzipien.
Der Charakter des Propheten Muhammad ﷺ zeichnet sich durch sein behutsames Verhalten gegenüber Freunden und Feinden sowie seine bemerkenswerte Ausdauer gegenüber Verfolgung und Missverständnissen aus. Als geistiger und sozialer Führer, Lehrer, Staatsmann und Verteidiger der Unterdrückten bewies er stets Respekt, Mitgefühl und Weisheit im Umgang mit Menschen, unabhängig von deren Stand oder Glauben.
Seine Fähigkeit, auf Aggression mit Geduld, Dialog und Verständnis zu reagieren, war beispiellos. Schon vor seiner prophetischen Berufung war seine Integrität so anerkannt, dass er den Beinamen „Al-Amin”, der Vertrauenswürdige, erhielt. Er lehrte seine Anhänger – und uns heute – den Wert von Ehrlichkeit, Demut, Großzügigkeit und Geduld zu schätzen.
Insgesamt offenbart die Lebensgeschichte von Muhammad ﷺ eine Persönlichkeit von beeindruckender Größe und Tiefe. Für diejenigen, die sich die Zeit nehmen, ihn jenseits von Mythen und Missverständnissen zu verstehen, bietet sein Leben eine reiche Quelle der Inspiration und Führung. Es ist diese Erkenntnis, die Muhammad ﷺ für uns Muslime nicht nur als Prophet, sondern auch als das höchste Vorbild in Sachen Charakter und Menschlichkeit positioniert.
Weitere Details folgen bald...
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Wie begann die islamische Expansion?
Einst, in einer Epoche, als die arabische Welt von einem Mosaik unterschiedlicher Stämme bevölkert war, die ihr Leben als Bauern, Händler und Nomaden verbrachten, zog eine transzendentale Welle des Wandels in ihre Gesellschaft ein - der Islam.
Unter der weisen Führung unseres Propheten Muhammad ﷺ erfolgte eine Transformation von historischer Tragweite. Innerhalb eines verblüffend kurzen Zeitraums von nur zehn Jahren gelang es ihm, ein Phänomen zu realisieren, das es seit Menschengedenken nicht gegeben hat - die Vereinigung aller arabischen Stämme im gemeinsamen Glauben. Mit einer unübertroffenen Hingabe und dem Leuchten seines eigenen exemplarischen Daseins, schaffte unser Prophet ﷺ eine umwälzende Metamorphose, die das Antlitz Arabiens dauerhaft wandelte. Mit dem heiligen Buch, dem Quran, hinterließ er eine zeitlose spirituelle Direktive, die das Land in einen besseren Zustand versetzte, als er es vorgefunden hatte.
Die Einflüsse der Lehren des Propheten Muhammad ﷺ waren keineswegs auf die geographischen Grenzen Arabiens beschränkt. Innerhalb nur eines Jahrhunderts verbreitete sich die Botschaft unseres hochverehrten Propheten ﷺ über die gesamte damals erkundete Welt. Sie durchzog die majestätischen Landschaften Indiens und Chinas im Osten, erstreckte sich über die endlosen Wüsten Nordafrikas und erreichte die pulsierenden urbanen Zentren Spaniens und Frankreichs im Westen. Angetrieben von der erhebenden Botschaft, gründeten die Muslime ein mächtiges Imperium, das sich über drei Kontinente spannte. Dieses Imperium war gezeichnet von einer beeindruckenden Diversität an Kulturen, Sprachen und Traditionen und prägte nachhaltig die Bereiche Kunst, Wissenschaft und Philosophie.
In der lebendigen Metropole Bagdad errichteten sie das Haus der Weisheit, das sich zu einem strahlenden Leuchtturm des Wissens und der Erkenntnis entwickelte. Diese Einrichtung erwuchs zu einer florierenden Oase der Forschung und des intellektuellen Austauschs, die Gelehrte und Denker aus aller Welt magnetisch anzog. Parallel dazu erlebte die Region Chorasan in Zentralasien eine ähnliche Transformation, die sie zu einem pulsierenden Nukleus von Wissen und Literatur machte und später den Grundstein für eine blühende iranische Renaissance legte, die das kulturelle und wissenschaftliche Profil des Landes neu definierte. Abseits dieser Zentren der Akademie, auf der Iberischen Halbinsel, errichteten die Mauren in Al-Andalus herausragende Wissensbastionen. Vor allem das Emirat von Córdoba, das spätere Kalifat von Córdoba und das nachfolgende Emirat von Granada erreichten in der mittelalterlichen Ära einen Höhepunkt von Kultur und Wissenschaft.
Diese herausragenden islamischen Herrschaften fungierten nicht lediglich als passive Beobachter oder Konservatoren des Wissens, sondern waren zentrale Akteure in dessen Weitergabe. Sie bereicherten das europäische Gedankengut mit den Erkenntnissen der antiken Welt und des Orients und leisteten wesentliche Beiträge zu bedeutenden Fortschritten in einer Vielzahl wissenschaftlicher Disziplinen, darunter Medizin, Architektur und Astronomie. Die muslimischen Imperien, deren Grundlagen fest in der Lehre des Propheten Muhammad ﷺ verankert waren, förderten die Wissenschaften mit einer solchen Hingabe, dass sie ihre zeitgenössischen Pendants deutlich übertrafen.
Sie ebneten den Weg für bahnbrechende Entdeckungen und Innovationen, die das Gesicht der Welt, wie wir sie heute kennen, fundamental veränderten. Ihr Streben nach Wissen und ihre Hingabe an die Förderung der Bildung hinterlassen bis heute eine beständige Prägung auf dem Gewebe unserer globalen Zivilisation.
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Welche Beispiele gibt es für Toleranz und Respekt in der islamischen Geschichte?
Es gibt unzählige ...
Im 7. Jahrhundert, einer Zeit geopolitischer Veränderungen, breiteten die muslimischen Armeen ihre Einflusssphäre rapide aus und erreichten dabei auch die historischen Tore von Damaskus, einer der ältesten und kulturell reichsten Städte der Welt. Zu dieser Zeit war Damaskus eine glänzende Metropole des Byzantinischen Reiches und stark vom christlichen Glauben geprägt.
Als die muslimischen Armeen unter der Führung der Rashidun-Kalifen die Stadt einnahmen, war es nicht ihre Absicht, die kulturelle oder religiöse Landschaft zu verändern oder zu unterdrücken. Statt die christliche Bevölkerung zu vertreiben oder ihre heiligen Stätten zu zerstören, wählten sie einen integrativen Ansatz. Der westliche Teil von Damaskus, der für seine christlichen Gemeinden und ihre heiligen Stätten bekannt war, wurde den Christen überlassen. Diese großzügige Geste spiegelte die islamischen Prinzipien von Religionsfreiheit und Koexistenz wider.
Während des islamischen Zeitalters in Spanien vom 8. bis zum 15. Jahrhundert, erlebte die Iberische Halbinsel eine kulturelle und wissenschaftliche Renaissance, die ihresgleichen suchte.
Die Städte Cordoba, Sevilla und Granada wurden zu Leuchttürmen des Wissens, in denen Gelehrte, Dichter und Philosophen aus verschiedenen Kulturen und Religionen zusammenkamen, um Ideen auszutauschen und gemeinsam zu lernen. Diese Toleranz und Offenheit führten zur Entstehung einer wahrhaft multikulturellen Gesellschaft, in der Muslime, Christen und Juden Seite an Seite arbeiteten und sich in Kunst, Wissenschaft und Philosophie engagierten. In Al-Andalus blühten Architektur, Astronomie, Mathematik, Medizin und Literatur auf. Das Erbe dieser Zeit, von den majestätischen Palästen der Alhambra bis zu den bahnbrechenden medizinischen Texten, ist ein Zeugnis für das, was Menschen erreichen können, wenn sie durch Zusammenarbeit und gegenseitigen Respekt vereint sind.
Das Osmanische Reich, eine der längsten und mächtigsten Dynastien in der Geschichte, erstreckte sich über drei Kontinente und herrschte über mehrere Jahrhunderte. Abgesehen von seiner beeindruckenden Militär- und Territorialmacht, war es besonders für seine fortschrittliche Herangehensweise an religiöse Vielfalt und Koexistenz.
Unter dem Schatten des Halbmonds waren Juden und Christen nicht nur Handwerker, Kaufleute oder Bauern – viele erreichten auch hochrangige Positionen in der osmanischen Verwaltung. Ein solches Vertrauen war historisch nicht immer selbstverständlich, insbesondere wenn wir die Behandlung von Minderheiten in anderen Teilen der Welt zu dieser Zeit betrachten.
Dieser osmanische Ansatz der Integration und Toleranz beruhte auf einem intelligent gestalteten System, das als „Millet-System” bekannt ist. Innerhalb dieses Systems konnten verschiedene religiöse Gemeinschaften – hauptsächlich Juden und verschiedene christliche Konfessionen – als semi-autonome Einheiten fungieren. Diese Millets verwalteten ihre eigenen religiösen, kulturellen und oft auch zivilrechtlichen Angelegenheiten.
Ein eindrückliches Beispiel hierfür ist die Situation eines Christen im Osmanischen Reich im 16. Jahrhundert. Dieser Mann, obwohl in einer untergeordneten Position in der Gesellschaft, konnte rechtlich gegen einen vollfreien Muslim vorgehen, der ihm Geld schuldete - und gewann. Dieses Beispiel unterstreicht die Rechtsstaatlichkeit und den Gerechtigkeitssinn, die im Herzen der islamischen Rechtsordnung verankert sind. Hier ansehen
Marktplätze brummten mit arabischen Händlern, die neben armenischen Handwerkern Geschäfte machten, während griechische Gelehrte in Schulen lehrten, die von jüdischen und muslimischen Studenten besucht wurden.
In den vielschichtigen Landschaften, die heute als Iran, Afghanistan und Indien bekannt sind, an den Schnittstellen zwischen dem Osten und Westen, haben Buddhisten und Muslime jahrhundertelang in einer unvergleichlichen Harmonie zusammengelebt.
Inmitten dieser islamischen Staaten existierten buddhistische Zentren als lebendige Stätten des Lernens und der Andacht. Diese Zentren waren nicht nur spirituelle Zufluchtsorte für die buddhistische Gemeinschaft, sondern auch Orte, an denen muslimische Gelehrte, Künstler und Bürger in Kontakt mit der buddhistischen Kultur, Philosophie und Kunst kamen.
Die Tatsache, dass diese buddhistischen Zentren, Tempel und Schulen innerhalb islamisch dominierter Territorien gedeihen konnten, zeugt von der Toleranz und Offenheit der muslimischen Herrscher jener Zeit. Anstatt die buddhistische Präsenz als Bedrohung zu sehen, sahen viele dieser Herrscher sie als eine Bereicherung für ihr Reich und erlaubten den buddhistischen Gemeinschaften, ihre religiösen Praktiken ungehindert auszuführen und ihre heiligen Stätten zu erhalten.
Während des dunklen Kapitels des Zweiten Weltkriegs, einer Zeit, in der Europa von Hass, Vorurteilen und systematischer Vernichtung geprägt war, gab es auch lichte Momente des Mutes und der Menschlichkeit. Trotz des enormen Drucks und der ständigen Bedrohung durch die Nationalsozialisten, stellten sich viele in Bosnien und Herzegowina, insbesondere in Städten wie Sarajevo, gegen den Strom der Intoleranz. Von April bis Oktober 1941 fanden geschätzte 20 Prozent der jüdischen Bevölkerung Sarajevos Schutz und Obhut in den Häusern ihrer muslimischen Nachbarn.
Weiter östlich, in der südlichen Sowjetunion, war die Situation ebenso komplex. Dort hatten jüdische Gemeinschaften über Jahrhunderte hinweg so eng mit ihren muslimischen Nachbarn koexistiert, dass die deutschen Einsatzgruppen Schwierigkeiten hatten, die beiden Gruppen auseinanderzuhalten. Dieser enge kulturelle und gesellschaftliche Zusammenhalt war das Ergebnis jahrhundertelanger gemeinsamer Geschichte und Integration. In einigen dieser Regionen riskierten mutige Muslime ihre Leben, um ihre jüdischen Mitbürger vor Verhaftung, Deportation und Tod zu schützen.
Unsere Geschichte dient als Erinnerung daran, dass in der Anerkennung und Wertschätzung unserer gemeinsamen Menschlichkeit und im Austausch von Wissen und Kultur wahrhaft großartige Zivilisationen entstehen können.
Beispiele für Quellen:
The Qur'an and the Prophet's Tradition,
Tolerance and Respect for Other Religions
von Dr. Mohammad Omar Farooq
Tolerance in Islam
von Dr. Zakir Naik
Prophet Muhammad and Tolerance towards Other Religions
von Habib Siddiqui
Tolerance in Islam
von Abdullah bin Hamid Ali
The Prophet Muhammad's Tolerance and
Kindness towards Non-Muslims
von Dr. Ali Muhammad As-Sallaabee
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Beeinflusst islamisch-arabisches Wissen Europa noch heute?
Ja, die Araber agierten als Pioniere in diversen Fachgebieten, indem sie essenzielle Fundamente schufen, welche später die Basis für weiterführende Entwicklungen im Westen bildeten. Sie revolutionierten das Konzept des Spezialistentums und erzielten herausragende Fortschritte in Disziplinen wie der Zahnheilkunde, Pharmakologie, Anatomie und Chirurgie, lange bevor diese in der westlichen Hemisphäre als eigenständige wissenschaftliche Fachrichtungen anerkannt wurden.
Die Bedeutung der arabischen Wissenschaften und deren richtungsweisende Beiträge werden noch heute durch die breite Verwendung der arabischen Vorsilbe „al-“ in grundlegenden wissenschaftlichen Termini wie Algebra, Algorithmus, Alchemie, Alkohol, Alkalien etc. deutlich. Auch im deutschen Wortschatz sind die Einflüsse der arabischen Sprache und Kultur präsent. Zahlreiche alltägliche Begriffe, deren Ursprünge auf die arabische Sprache zurückgehen, sind heute fest im deutschen Sprachgebrauch verankert. Wenige Beispiele hierfür sind Wörter wie Tarif, Benzin, Limonade, Matratze, Zucker, Kabel, Artischocke und Giraffe, die eindrucksvoll die kulturelle Übertragung dokumentieren.
Darüber hinaus leistete der exzeptionelle arabische Mathematiker al-Chwarizmi revolutionäre Beiträge zur Numerik und zum Rechnen. Seine Einführung der „arabischen Zahlen“ in Europa, welche die Grundlage unseres heutigen Dezimalsystems bilden, beendete die ineffiziente Methode des Rechnens mit römischen Buchstaben. Der Terminus „Ziffer“, abgeleitet aus dem arabischen Wort „Ṣifr“ für „Null“, verbleibt als lebendige Hommage des beeindruckenden mathematischen Erbes der arabischen Welt.
Im Kontext des florierenden Islamischen Goldenen Zeitalters leisteten arabische Gelehrte einen fundamentalen Beitrag zur agrarischen Transformation Europas, insbesondere auf der Iberischen Halbinsel. Diese Epoche zeichnete sich durch eine umfassende Akklimatisierung und Einführung diverser agronomischer Spezies aus dem Orient aus, darunter prominente Kulturpflanzen wie Zitrusfrüchte. Speziell die süße Orange, bekannt unter dem arabischen Namen „بُرْتُقَال, Burtuqal”, illustriert die interkulturelle Vernetzung durch Handelsbeziehungen. Der Terminus „Burtuqal“ selbst hat seinen Ursprung in der arabischen Bezeichnung für Portugal, welches historisch als „Ard al-Burtuqal”, das Land der Orangen, gefeiert wurde. Diese nomenklatorische Wahl spiegelt nicht nur den Handelsweg der Frucht von Asien über Portugal nach Europa wider, sondern auch den arabischen Einfluss auf die botanische und kulinarische Diversität Europas.
Die Einführung von Artischocken, Baumwolle und Reis durch arabische Händler erweiterte das agronomische Repertoire Europas beträchtlich und führte zu einer verbesserten Ernährungsqualität sowie zu einer Erweiterung des Spektrums landwirtschaftlicher Erzeugnisse.
Beispiele:
Baumwolle – „al-qutn“ (القطن): Der arabische Begriff „qutn“ wurde zu „cotton“ im Englischen und „cotone“ im Italienischen, wobei er sich ebenfalls in vielen europäischen Sprachen wiederfindet.
Reis – „ar-ruz“ (الرز): Der arabische Name „ar-ruz“ prägte unter anderem das spanische „arroz“ und das portugiesische „arroz“, die heutigen Bezeichnungen für Reis in diesen Sprachen.
Aubergine – „al-bāḏinjān“ (الباذنجان): Die Aubergine wurde durch arabischen Einfluss nach Europa gebracht und der Name überlebte in Varianten wie „berenjena“ (Spanisch) und „aubergine“ (Französisch).
Zucker – „as-sukkar“ (السُكر): Das arabische Wort „sukkar“ wurde zur Wurzel für das englische „sugar“ und das deutsche „Zucker“.
Safran – „za‘farān“ (زَعْفَرَان): Das Wort für das kostbare Gewürz wurde direkt aus dem Arabischen ins Spanische („azafrán“) und andere europäische Sprachen übernommen.
Zitrone – „laymūn”(ليمون): Leitet sich direkt aus dem Arabischen ab.
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Während des 10. und 11. Jahrhunderts leisteten muslimische Wissenschaftler einen bedeutenden Beitrag zum Verständnis von Licht und Optik. Sie entwickelten tiefgehende Theorien über Lichtstrahlen und beleuchteten unter anderem die Gesetze der Reflexion und Brechung. Eines der bekanntesten Experimente war die Beschreibung der Camera Obscura, bei der Licht durch ein kleines Loch in einen dunklen Raum fällt und dort ein umgekehrtes Bild der Außenwelt erzeugt. Dieses Prinzip, das den Grundstein für die Entwicklung der modernen Fotografie legte, wurde von Ibn al-Haytham erstmals wissenschaftlich beschrieben und analysiert. Dabei nutzte er den Begriff „qamara“ (قُمرة), was so viel wie „dunkler Raum“ oder „Kammer“ bedeutet. Dieses Konzept wurde später in Europa bekannt und mit dem lateinischen Wort „Camera“ (Raum, Kammer) assoziiert.
Wir sehen, dass die arabischen Wissenschaften zu den maßgeblichen Triebkräften in der Entwicklung des europäischen Bildungssystems zählten. Die Übertragung hinterließ ein Erbe, das bis heute in der akademischen Welt präsent ist. Durch das Studium und die Bewahrung ihrer wegweisenden Werke erlebte das mittelalterliche Europa eine kulturelle und intellektuelle Renaissance, die das Fundament für viele der Errungenschaften legte, die wir heute schätzen.
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Wie erreichte islamisch-arabisches Wissen Europa?
Die entscheidende Aufgabe der Übersetzung dieser bedeutsamen Werke ins Lateinische und andere europäische Sprachen wurde unter anderem von König Alfonso X. von Kastilien und León übernommen. Dieser Monarch war weithin bekannt für sein Engagement zur Förderung des kulturellen Austauschs und spielte eine herausragende Rolle bei der Übermittlung des arabischen Wissens an das christliche Europa. Die Integration dieser Werke katapultierte Nordeuropa in ein neues Zeitalter des Lernens und der wissenschaftlichen Erkenntnis. Die Impulse der Araber entfachten eine geistige Blütezeit, die zur Gründung zahlreicher Universitäten im mittelalterlichen Europa führte.
Die Rolle des Islams bei der Bewahrung und Wiederbelebung der klassischen Literaturwerke von illustren Denkern und Gelehrten wie Platon, Aristoteles, Hippokrates, Euklid und Pythagoras ist ebenfalls von unschätzbarem Wert. Denn während das antike Griechenland und Rom, beeinflusst durch die Adaption des Christentums, ihre einheimischen Gebräuche vernachlässigten und dabei zahlreiche kostbare Schriften vernichteten, übernahmen muslimische Eroberer die Rolle der Bewahrer dieser unersetzlichen Manuskripte. Ihr Engagement für die Akquisition, Übersetzung und Sorgfalt dieser wertvollen Texte war beispiellos.
In den von ihnen eroberten städtischen Metropolen akkumulierten sie ein enormes Repertoire an Dokumenten und Exemplaren dieser philosophischen und wissenschaftlichen Arbeiten und verlagerten diese in intellektuelle Hochburgen wie Bagdad oder Córdoba. Dort wurden sie mit außerordentlicher Präzision und Sorgfalt in angesehenen Institutionen wie dem Haus der Weisheit in Bagdad übersetzt und analysiert. Diese peniblen und methodischen Bemühungen waren wichtig für die Erhaltung dieser kulturellen Juwelen und ihre Weitergabe an nachkommende Generationen sowie ihre Eingliederung in den globalen Kanon menschlichen Wissens. Diese bemerkenswerten Taten ermöglichen es uns heute, die Einsichten und Leistungen dieser epochalen Denker nicht nur zu bewundern, sondern auf ihnen aufzubauen.
Daher offenbart sich der Islam als eine zentrale und pivotalle Kraft sowohl in der Konservierung als auch in der Diffusion des Wissens der klassischen Welt. Die muslimischen Dynastien dienten nicht nur als Kuratoren dieses gelehrten Vermächtnisses, sondern auch als Katalysatoren, die erworbene Erkenntnisse über traditionelle sowie geografische Demarkationen hinweg weitergaben und damit entscheidend zur Kultivierung einer wahrhaft universellen Zivilisation beitrugen.
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Gibt es bekannte islamische Wissenschaftler?
Ja, es gibt unzählige Gelehrte im Islam, die zu jener Zeit neue Maßstäbe setzten. Hier wenige Beispiele:
al-Ghazālī (11. Jhd.)
Abū Hāmid Muhammad ibn Muhammad al-Ghazālī
Er zählt zu den bedeutendsten religiösen Denkern des Islams. Ihm ist die Einführung der aristotelischen Logik und Syllogistik in die islamische Jurisprudenz und Theologie zu verdanken. Er entwickelte mehre mechanische Geräte, darunter das erste Tresorschloss der Welt.
al-Chwarizmi (9. Jhd.)
Abu Dschaʿfar Muhammad ibn Musa al-Chwārizmī
Er löste eine Revolution der Rechenmethoden aus. Des Weiteren ist das Wort „Algorithmus” auf ihn zurückzuführen und in seinem Werk „Hisab al dschabr wa-l-muqabala” erklärt er den für die damalige Mathematik erneuerten Rechenzweig Algebra. Er sprach zum ersten mal in der Geschichte über die Unbekannte und brachte das Dezimalsystem nach Europa.
al-Haiṯam (10. Jhd.)
Abu Ali al-Hasan ibn al-Haitham
Er war Astronom und Physiker und steuerte Werke über Optik und Planetenbewegungen bei, die bis Kepler maßgeblich waren. Er erkannte die Grundlagen des Sehvorganges, die Bedeutung der Linsenkrümmung und beschrieb das Prinzip der „Camera Obscura“. Er gilt als Erfinder von Brillen, Lupen und verbesserte mit geschliffenem Glas die Sehkraft des Menschen.
ibn Chaldūn (14. Jhd.)
Walī ad-Dīn ʿAbd ar-Rahmān ibn Muhammad ibn Chaldūn al-Hadramī
Er wurde als einer der größten Sozialwissenschaftler des Mittelalters anerkannt, der bedeutende Beiträge in den Bereichen Geschichtsschreibung, Soziologie, Ökonomie und Demographie leistete. Er schrieb bereits vor über 500 Jahren in seiner „al-Muqaddima“ über die biologische Evolution.
Siehe: Dar al-Jîl, Beirut 2005, S. 96, Kapitel تفسير حقيقة النبوة
ibn Sīnā (10. Jhd.)
Abū Alī al-Husain ibn Abd Allāh ibn Sīnā
Er ist der bekannteste Mediziner des Islam und übersetzte die Schriften des Aristoteles, Hippokrates und Galenos. Er stieg in der europäischen Medizin zum Status einer unumgänglichen Referenz auf und blieb beeindruckende fünf Jahrhunderte lang im Rampenlicht. Außerdem verfasste er den „Kanon Medizine”, welcher bis zum 17. Jahrhundert das wichtigste Buch über die Heilkunde darstellte.
ar-Rāzī (9. Jhd.)
Abu Bakr Mohammad Ibn Zakariya al-Razi
Er war ein persischer Arzt, Verfasser eines umfangreichen Sammelwerks der klinischen Medizin, Naturwissenschaftler, Übersetzer, Philosoph und Alchemist. Er erkannte als einer der ersten den Unterschied zwischen Pocken und Masern und probte bereits mit Gipsverbänden zur Heilung von Knochenbrüchen. Sein medizinisches Werk blieb bis zum 17. Jhd. unangefochten bestehen.
az-Zahrāwī (10. Jhd.)
Abū al-Qāsim Khalaf ibn al-'Abbās al-Zahrāwī al-Ansari
Er galt als Meister der Chirurgie, er baute seine Instrumente selbst und erfand Neue. Die Skalpelle Scheren und Halteklemmen kamen bei Operationen an Nase und Ohren zum Einsatz, an der Kehle oder Harnröhre. Die meisten Instrumente von ihm unterscheiden sich kaum von heutigen Arztbestecken.
al-Idrisi (12. Jhd.)
Abu Abd Allah Muhammad ibn Muhammad ibn Abd Allah bin Idris al-Idrisi
Er zählt zu den bedeutendsten islamischen Geographen des Mittelalters und fertigte Karten der zu seiner Zeit bekannten Erdteile. Er brachte die erste Weltkarte und kam zu dem Entschluss, die Erde sei keine perfekte Kugel, sie ist eiförmig.
Banū Mūsā (9. Jhd.)
-Jafar Muḥammad ibn Mūsā ibn Shākir
-Aḥmad ibn Mūsā ibn Shākir
-Al-Ḥasan ibn Mūsā ibn Shākir
Sind drei iranische Allroundtalente und Brüder, die in Bagdad wirkten. Sie sind durch Bücher über Geometrie, Astronomie und mechanische Erfindungen bekannt. Sie erfanden die erste programmierbare Maschine der Welt, eine automatische Pferdetränke.
al-Kindī (9. Jhd.)
Abū Yaʿqūb ibn Ishāq al-Kindī
Er gilt als erster großer Philosoph des Islam und war einer der Begründer einer mathematischen Denkweise in der Philosophie. Er ließ zahlreiche Werke von Aristoteles und anderen griechischen Philosophen übersetzen und beschäftigte sich u. A. mit Geheimschriftanalyse oder Musiktheorie.
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Diese Beispiele illustrieren lediglich einen Bruchteil des Gesamtbildes. Herausragende Geister wie Leonardo da Vinci und Galileo Galilei, integrierten die wissenschaftlichen Erkenntnisse und Innovationen muslimischer Autoren in ihre bahnbrechenden Werke.
Desgleichen verließ sich Nikolaus Kopernikus, der Vorreiter der heliozentrischen Theorie, die unser Sonnensystem mit der Sonne als Mittelpunkt darstellt, signifikant auf die Arbeiten arabischer Astronomen. Sein umwälzender Ansatz, der das geozentrische Weltbild erschütterte, wäre ohne die vorausgehende wissenschaftliche Grundlage und die Beiträge seiner muslimischen Vorläufer fast undenkbar.
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Was sagten Nicht-Muslime über den Propheten Muhammad ﷺ ?
Edward Gibbon (geb. 1737, gest. 1794)
Der wohl größte britische Historiker seiner Zeit.
„Der größte Erfolg im Leben Mohammeds wurde durch die schiere moralische Kraft erreicht ohne einen einzigen Hieb eines Schwertes.”
History Of The Saracen Empire, London, 1870
Alphonse de Lamartine (geb. 1790, gest. 1869)
Französischer Dichter und Staatsmann
„Philosoph, Redner, Verkünder, Gesetzgeber, Krieger, Eroberer von Ideen, Führer des vernünftigen Glaubens, eines Kults ohne Statuen und Bilder: der Gründer zwanzig irdischer Reiche und eines geistigen Reiches, das ist Mohammed. Nimmt man alle Möglichkeiten in Betracht mit denen menschliche Größe gemessen werden kann, dann müssen wir uns fragen: Gibt es einen größeren Menschen als Mohammed?”
Histoire De La Turquie, Paris, 1854, Bd. II, S. 276-277
Washington Irving (geb. 1783, gest. 1859)
Bekannt als der erste „amerikanische Mann der Wissenschaft
„(...) Er behandelte Freunde und Fremde, reich und arm, die Starken und die Schwachen mit Gleichheit und wurde von dem einfachen Volk für die Freundlichkeit, mit der er sie empfing und ihre Beschwerden anhörte, geliebt... Seine militärischen Erfolge haben bei ihm keinen Stolz noch Eitelkeiten hervorgerufen wie es geschehen wäre, wären diese für eigene Zwecke erlangt worden. In der Zeit seiner größten Macht bewahrte er die gleiche Einfachheit in seinem Benehmen und seinem Erscheinen wie in den Tagen der Not. So weit entfernt von Regententum war er verärgert, wurden ihm beim betreten eines Raumes ungewöhnliche Ehreerbietungen dargebracht.”
Life of Mahomet, London, 1889, S. 192-3, 199
Bosworth Smith (geb. 1784, gest. 1884)
Anglikanischer Bischof und Autor
„Er war Cäsar und Papst in einem; aber Papst ohne die Anmaßungen des Papstes, Cäsar ohne Cäsars Legionen: ohne ein festes Heer, ohne Leibwächter, ohne Palast, ohne feste Staatseinkünfte; wenn jemals ein Mann das Recht besessen hat, zu sagen, dass er nach göttlichem Recht herrsche, dann war es Mohammed, denn er besaß alle Macht ohne ihre Instrumente und ohne ihre Mittel.”
Mohammed and Mohammadanism, London 1874, S. 92
Diwan Chand Sharma
Hinduistischer Gelehrter und Autor
„Muhammad war die Seele der Freundlichkeit und sein Einfluss fühlbar und von denen um ihn herum unvergessen.”
D.C. Sharma, The Prophet of the East, Calcutta, 1935, S. 12
Annie Besant (geb. 1847, gest. 1933)
Britische Theosophistin, politische Führerin in Indien und Präsidentin des Nationalkongresses IND 1917
„Es für jemanden, der das Leben und den Charakter des großen Propheten Arabiens studiert, der seine Lehren kennt und weiß wie er gelebt hat, unmöglich, etwas anderes für diesen mächtigen Propheten, einen der großen erhabenen Gesandten, zu empfinden, als Ehrerbietung. Und auch wenn ich in dem, was ich Ihnen mitteile, wohl viele Dinge sagen werde, die vielen Menschen bereits bekannt sind, so empfinde ich persönlich doch jedes Mal,wenn ich es wieder lese, eine neue Art der Bewunderung und neue Verehrung für diesen mächtigen arabischen Lehrmeister.”
The Life And Teachings Of Mohammed, Madras, 1932, S.4
William Montgomery Watt
(geb. 1909, gest. 2006)
Damals Professor (Emeritus) für arabische und islamische Studien. Einer der meist zitierten Islamwissenschaftler der Moderne
„Seine Bereitschaft, für seinen Glauben Einschnitte hinzunehmen, der hohe moralische Charakter jener Männer, die an ihn geglaubt haben und ihn als Führer ansahen, und die Großartigkeit seines endgültigen Erfolgs – all das spricht für seine fundamentale Integrität. (...) Überdies wird keine der großen Persönlichkeiten der Geschichte im Westen derart unangemessen gewürdigt, wie Mohammed.”
Mohammed At Mecca, Oxford, 1953, S. 52
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Wieso wird die islamische Blütezeit im Mittelalter kaum vermittelt?
Mittlerweile empfindet eine beträchtliche Anzahl von konservativen Muslimen die Wissenschaft als eine Ausprägung westlicher Denkstrukturen, die sie als inkompatibel mit ihren spirituellen Prinzipien betrachten. Doch wir sollten uns wieder des reichen Erbes unserer Vorfahren besinnen, welches einst von Denkern wie Voltaire, Goethe und Lessing als vorbildhaft für eine Kultur der Toleranz und des intellektuellen Austauschs glorifiziert wurde.
Das Goldene Zeitalter des Islams markiert eine Epoche des immensen Fortschritts und der Innovation. Von Mathematik und Astronomie über Medizin und Chemie bis hin zu Kunst und Literatur – muslimische Gelehrte leisteten Beiträge zu fast jedem Wissensbereich und errichteten dabei die Grundpfeiler, auf denen große Teile unseres modernen Verständnisses dieser Disziplinen ruhen.
Ungeachtet der enormen Beiträge dieser muslimischen Gelehrten in dieser Epoche, bleibt ihre Anerkennung in unseren Schulen bedauerlicherweise marginal. Die Arbeiten von Wissenschaftlern wie Al-Chwarizmi, Ibn Sina, Al-Razi und vielen anderen, die in Europa eine Wissensrenaissance auslösten, finden in unseren Bildungsplänen kaum Erwähnung. Die Feinheiten und Nuancen ihrer Errungenschaften, die Brillanz ihrer Ideen und die Tiefe ihres Denkens werden allzu oft vergessen.
Warum sehen unsere Bildungsprogramme es nicht als notwendig an, dieses reiche und vielfältige Kapitel der Geschichte gebührend hervorzuheben?
Zunächst einmal könnte es sein, dass unsere Bildungsinhalte von einer eurozentrischen Sichtweise geprägt sind. Das bedeutet, dass sie geneigt sein könnten, die Leistungen einheimischer Kulturen und Persönlichkeiten hervorzuheben und gleichzeitig die Beiträge anderer Zivilisationen zu übergehen oder zu marginalisieren. Diese Tendenz veranlasst uns, die Welt durch eine spezifisch begrenzte Optik zu sehen, die unsere Einsicht in das breite Spektrum menschlicher Erfahrungen erheblich einschränkt.
Darüber hinaus könnten Mängel in der Art und Weise, wie wir Geschichte lehren und lernen, eine Rolle spielen. Häufig fokussieren sich historische Darstellungen auf Konflikte, politische Ereignisse und bedeutende Persönlichkeiten. Auch die politischen und gesellschaftlichen Vorurteile und Stereotypen können die Art und Weise beeinflussen, wie wir Geschichte betrachten und lehren. Die Darstellung des Islams und der muslimischen Welt in den Medien ist häufig negativ und eindimensional, was zu Missverständnissen und Fehlinformationen führt.
Es ist eine Lücke, die gefüllt werden muss, um unseren Schülerinnen und Schülern eine breitere und vielfältigere Perspektive auf unsere gemeinsame menschliche Geschichte zu ermöglichen.
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Warum kritisieren wir historische Ereignisse nicht angemessen?
Die Kritik am Islam ist so alt wie die Offenbarung selbst – von den mekkanischen Anfeindungen über die polemischen Schriften der Kreuzzugszeit bis hin zu den orientalistischen Diskursen der Moderne. Doch historische Praktiken mit heutiger Brille zu taxieren, birgt eine permanente Gefahr der Anachronie. Unsere Wahrnehmung ist von zeitgenössischen Wertmaßstäben, technologischen Paradigmen und kulturellem Wandel geprägt und weicht daher zwangsläufig von den Denkhorizonten früherer Jahrhunderte ab.
Antike Gesellschaften operierten nach völlig anderen sozialen, ökonomischen und politischen Parametern; was uns heute barbarisch scheint, konnte einst als nötig oder gar progressiv gelten. Frühere Islamkritiken fokussierten theologische und machtpolitische Divergenzen; die gegenwärtige – häufig eurozentrische – Lesart misst vergangene Epochen hingegen an heutigen, lokal verankerten Wertsystemen und verengt komplexe Sachverhalte auf simple Stereotype.
Das Kardinalproblem liegt im Blick durch eine monokulturelle Linse: Man hält das eigene Weltbild für universell und erhebt es zum strengen Maßstab über fremde Zivilisationen. Derlei Provinzialismus ist nicht nur historisch unhaltbar, sondern intellektuell defizitär. Die Menschheit bildet ein Kaleidoskop von Kulturen, jede mit eigenem Binnenwert, Geschichte und Erkenntnisreichtum.
Emotionale Prägungen und soziokulturelle Konditionierung verzerren unsere Urteile weiter. Wer andere Kulturen ausschließlich durch diese gefilterte Emotion bewertet, kultiviert Missverständnisse und Vorurteile. Interkulturelle Verständigung verlangt, die eigenen Prämissen zu hinterfragen, historisch-soziale Kontexte einzubeziehen und die Vielfalt menschlicher Erfahrung als Bereicherung zu erkennen.
Eine kontextualisierende Methodik liefert nicht nur akademische Präzision, sondern bekundet Empathie und Respekt gegenüber früheren Generationen, deren Lebensrealitäten die Welt gestalteten, in der wir heute existieren.
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Scharia gleich Strafrecht: Warum hat der Westen Angst?
Sobald das Schlagwort Scharīʿa fällt, kollabiert die zuvor so höfliche Toleranzdissonanz vieler westlicher Diskurse in Sekundenbruchteilen zu alarmistischer Nervosität. Dass gerade jene Ritualpfeiler, die man landläufig als »friedliche Religionspraxis« goutiert – Gebet, Fasten, Spenden – integrale Elemente eben dieser Scharīʿa sind, scheint der kollektiven Wahrnehmung entgangen zu sein.
Ursache dieses Paradoxons ist ein kategoriales Missverständnis: Die Scharīʿa ist keineswegs ein bloßes Strafgesetzbuch, sondern ein ganzheitliches Normgewebe, das spirituelle Rituale, ethische Imperative und soziale Fürsorge gleichermaßen umfasst. Wenn der Prophet Muḥammad ﷺ die Pflicht zur Versorgung Bedürftiger oder das Ideal gewaltfreier Konfliktlösung lehrt, dann ist dies Scharīʿa in reinster Form – nur wird diese Dimension in der öffentlichen Debatte regelmäßig ausgeblendet. Stattdessen fokussiert man obsessiv ein imaginiertes »Scharīʿa-Strafrecht«, das angeblich drohend über westlichen Gesellschaften schwebe.
Wer fällt eigentlich unter die Jurisdiktion des „Scharia-Strafrechts” und wer wird gemäß diesen etablierten juristischen Grundsätzen verurteilt? Die Antwort scheint in der Welt der Mythen und Legenden zu liegen: Ein islamischer Richter, angesiedelt in einem islamischen Land, sitzend in einem islamischen Gericht, der islamische Urteile fällt – könnte glatt aus einem orientalischen Märchen entsprungen sein, nicht wahr? Doch zur großen Enttäuschung der Dramatiker und Katastrophenszenaristen unter uns: In Deutschland, dem Land der Dichter und Denker, existiert nichts dergleichen. Keine islamischen Gerichte, keine islamischen Richter, die nach dem Scharia-Strafrecht urteilen – eine fast schon tragikomische Abwesenheit im Angesicht einer so leidenschaftlich geführten Debatte.
Der mediale Zoom auf strafrechtliche Randbestände verfehlt daher den eigentlichen Kern muslimischer Lebenspraxis. Er wirkt wie ein dramaturgisches Ablenkungsmanöver, das ein hochkomplexes, dynamisches Rechtsethos auf eine exotistische Schreckfolie reduziert. Wer wirklich verstehen möchte, was Scharīʿa bedeutet, müsste die alltägliche Ethik muslimischer Familien, ihre Fürsorge-Netzwerke und ihre rituelle Disziplin studieren – nicht eine hypothetische Gerichtsbarkeit, die hierzulande schlicht nicht existiert.
Kurzum: Die Furcht vor der Scharīʿa nährt sich weniger aus empirischer Wirklichkeit als aus einem rhetorisch hochgezüchteten Gespenst. Sie sagt mehr über westliche Projektionen aus als über das normative Gefüge des Islams selbst.
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Warum ist das islamische Strafrecht grausam?
Bevor wir uns mit rhetorischem Säbelrasseln in den Diskurs um die ḥudūd-Strafen stürzen, wäre eine Prise nüchterner Realismus angezeigt. Ja, die Scharīʿa kennt Sanktionen von größter Schwere – bis hin zur Todesstrafe für delinquente Kulminationspunkte des Unrechts. Was, so könnte man fragen, wäre radikaler als die Entziehung des Lebens?
Doch in bittersüßer Ironie übersehen wir gern, dass auch die westliche Justiz drakonische Mittel einsetzt. Die jahrzehntelange Einkerkerung eines Menschen in kubikmetergroßen Zellen gilt als zivilisierter Normalfall, obwohl selbst das deutsche Recht den Fluchtversuch nicht kriminalisiert – eine juristische Hommage an den unstillbaren Freiheitsdrang der Seele. Jede Rechtsordnung, ob in Damaskus oder Düsseldorf, entwirft ihr eigenes Arsenal der Abschreckung, nicht aus reiner Grauslust, sondern im Bestreben, gesellschaftliches Gleichgewicht wiederherzustellen. Gibt es einen Staat ohne vermeintlich „grausame“ Strafen? Evident nein. Damit zerfällt das Narrativ, die Scharīʿa sei singulär barbarisch, zur polemischen Karikatur.
Als Muslim verorte ich den höchsten Gerechtigkeitsmaßstab bei dem, der uns erschuf und unsere innersten Dispositionen kennt. Strafen, die aus göttlicher Weisung hervorgehen, beanspruchen eine letzte Legitimität, die menschliche Kodizes nur approximativ erreichen. Gleichwohl ist Empfinden kulturell kodiert: Wer im wohlig temperierten Deutschland sozialisiert wurde, empfindet die Peitsche des ḥadd subjektiv härter als die Jahre der Haft; für andere Kulturen ist es umgekehrt. Doch normative Ethik darf nicht bloß auf Gefühlsthermometern ruhen.
Dies legt den Finger auf eine tiefere Wunde: Vermindert massenhafte Inhaftierung tatsächlich das Unrecht? Kriminalsoziologische Studien verweisen darauf, dass Gefängnisse nicht selten zu „Akademien des Verbrechens“ mutieren; der Delinquent tritt nach verbüßter Strafe mit verfeinerter Deliktskompetenz in die Gesellschaft zurück. So kehrt sich der Präventionsanspruch ins Gegenteil.
Die provokative Gretchenfrage lautet also: Warum verharren wir im moralischen Quietismus eines Systems, dessen Resozialisierungsbilanz fraglich ist? Statt die ḥudūd reflexartig zu dämonisieren, sollten wir den gesamten Strafethos unserer Epoche auf den Prüfstand stellen.
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Wird das Scharia-Strafsystem realitätsgetreu vermittelt?
Ein paradigmatisches Beispiel für die verzerrte Darstellung der šarīʿa‐Justiz ist die Steinigung, die im westlichen Diskurs – insbesondere in Deutschland – gern als Kronzeuge vermeintlicher islamischer Barbarei herangezogen wird. Dass dieses Narrativ verfängt, liegt vor allem an der geringen Vertrautheit mit den hermeneutischen Feinheiten des islamischen Rechts und an einer polemischen Zuspitzung, die komplexe Sachverhalte auf plakative Schlagzeilen reduziert.
Tatsächlich erweist sich die Steinigung als ein historisch hochgradig kontingentes Phänomen. Anders als die ḥadd-Strafen des Qurʾān – etwa die Amputation für äußerst gravierende Raubdelikte – wird die Rajm-Strafe im heiligen Text nicht explizit erwähnt. Ihre Anwendung variierte erheblich nach Raum, Zeit und Rechtsschule; eine beträchtliche Zahl von Fuqahāʾ hat sie kategorisch verworfen – was in polemischen Traktaten gern unterschlagen wird.
Die klassischen Quellen betonen, dass jede Körperstrafe sakralen Rang besitzt und daher nur unter quasi forensischer Evidenzlast vollstreckt werden darf. Bei Ehebruch etwa mussten vier moralisch unbescholtene Zeugen den Geschlechtsakt in flagranti und in allen anatomischen Details identisch beobachtet haben – eine Konstellation, die in praxi fast nie zustande kam.
Ähnlich diffamiert erscheint die Debatte um die Handamputation. Der Qurʾān verwendet den Terminus sāriq nicht für Bagatelldiebstähle, sondern für manifesten, gesellschaftsgefährdenden Raub. Ein Grabräuber oder ein hungriger Armer unterlag nach strengem Fiqh häufig nicht dieser Kategorie. Selbst wenn alle harten Beweisbedingungen erfüllt waren, blieb die Letztentscheidung dem Khalīfa oder einem qāḍī vorbehalten, der die sozioökonomische Gesamtlage – inklusive möglicher Regierungsversäumnisse – in die Urteilsfindung einbezog. Juristische Strenge wurde also stets mit ethischer und makrosozialer Verantwortung verwoben.
Diese faktisch unerreichbaren Standards erklären, weshalb authentische Quellen die Anwendung von Körperstrafen mit der Seltenheit einer Sonnenfinsternis vergleichen. Die šarīʿa verstand ḥudūd nicht als routinemäßiges Strafinventar, sondern als ultima ratio – eine moralisch einschneidende Mahnung, deren realer Vollzug fast immer durch die enorme Beweishürde neutralisiert wurde.
Vor diesem Hintergrund entlarvt sich die gängige Scharia-Karikatur als rhetorische Travestie.
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Ist Sklaverei islamisch?
Die arabische Spätantike, in der der Gesandte Muḥammad ﷺ wirkte, unterscheidet sich diametral von unserer modernen Welt. Damals waren weitverzweigte Formen persönlicher Unfreiheit – von Schuldknechtschaft bis Kriegsgefangenschaft – tief in den ökonomischen und sozialen Strukturen Arabiens (und des gesamten Mittelmeerraums) verankert.
Wer seine Schulden nicht begleichen konnte, wurde leicht zum „Eigentum“ des Gläubigers: ein Arrangement, das nicht nur finanzielle Abhängigkeit, sondern auch massive Einschränkungen grundlegender Menschenrechte bedeutete.
Mit der Offenbarung der Scharia setzte jedoch eine graduelle, aber konsequente Dekonstruktion dieser Institution ein. Dass Sklaverei existierte, bedeutet keineswegs, sie sei genuin „islamisch“ – so wenig wie das Reiten auf Kamelen eine religiöse Norm begründet. Vielmehr gilt: Was im vorislamischen Arabien üblich war, wurde vom Qurʾān einer ethischen Revision unterzogen.
Im heiligen Text findet sich kein Lob, geschweige denn eine Aufforderung zum Festhalten von Sklaven. Umgekehrt erhebt der Qurʾān die Freilassung (ʿitq) zum verdienstvollen Akt, ja macht sie in einigen Rechtsfällen zur obligatorischen kaffāra (Sühneleistung). Damit formuliert der Islam eine progressive Agenda: Er fördert die schrittweise Erosion des Systems, indem er Gläubige spirituell motiviert, die Fesseln anderer zu lösen.
Ein Blick in die US-Geschichte illustriert die Weisheit dieses graduellen Ansatzes: Die abrupte juristische Abschaffung der Sklaverei mündete 1861–1865 in einen verheerenden Bürgerkrieg mit rund 600 000 Toten und unermesslichen ökonomischen Verwerfungen. Der Islam dagegen wählte einen weniger konvulsiven, aber nachhaltigen Weg, indem er Sklavenbefreiung moralisch privilegierte und ökonomisch honorierte.
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Wie wurden Sklaven im Islam behandelt und was bedeutet „Besitz der Rechten”?
Um das islamische Konzept des milk al-yamīn („Besitz der Rechten“) zu verstehen, müssen wir es von der herkömmlichen, rechtlosen Sklaverei vieler Weltkulturen klar trennen. Denn während Letztere den Menschen zur bloßen Ware degradierte, umgab der Islam Personen in diesem Status mit einem dichten Netz aus Rechten, Fürsorgepflichten und Ausstiegswegen.
Ein paradigmatisches Dokument liefert das osmanische 16. Jahrhundert: Ein christlicher Unfreier verklagte erfolgreich einen freien Muslim wegen säumiger Schulden – ein Vorgang, der die rechtsstaatliche Durchschlagskraft der Scharia selbst zugunsten der sozial Schwächsten belegt.
Das arabische milk lässt sich keineswegs platt mit „Eigentum“ gleichsetzen. In Sūra 5 : 25 verwendet Mūsā (s) das Verb malaka für seinen Bruder Hārūn (s); hier signalisiert es kein objektivierendes Besitzverhältnis, sondern eine besondere Vertrautheit. Ähnlich meidet der Qurʾān den Terminus „ʿabd“ („Sklave“) und wählt bewusst die Umschreibung mā malakat aymānukum, um eine Verantwortungs- statt Besitzrelation zu evozieren und zugleich daran zu erinnern, dass letztlich alles – Menschen eingeschlossen – ausschließlich Allah gehört.
Der Prophet ﷺ konkretisierte diesen Ethos:
„Eure Unfreien sind eure Brüder. Gebt ihnen zu essen, was ihr esst, kleidet sie, wie ihr euch kleidet, und belastet sie nicht mit Arbeit, die ihre Kräfte übersteigt …“
(Ṣaḥīḥ al-Buchārī, 2545)
Brüderlichkeit, Empathie und Arbeitsfairness ersetzen hier jeden ökonomischen Besitzanspruch. Zugleich erhob der Qurʾān die Freilassung (ʿitq) zur hochrangigen Frommheitstat und oftmals verpflichtenden kaffāra, womit die schrittweise Erosion des Unfreiheitssystems normativ eingeleitet wurde.
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Ist der Westen im Umgang mit Sklaverei ethischer als der Islam?
Urteile über fremde Kulturen oder vergangene Epochen drohen rasch zu verflachen, wenn man sie aus ihrem global-historischen Kontext herausreißt. Ja, zahlreiche nicht-industrialiserte Länder mussten – und müssen – auf Kinderarbeit, Zwangsarbeit oder offene Sklaverei zurückgreifen, um überhaupt konkurrenzfähig zu bleiben. Doch diese Abhängigkeit ist eng mit den weltwirtschaftlichen Machtsphären verwoben, die von hochindustrialisierten Nationen orchestriert werden.
Während sich der Westen gern damit brüstet, das Joch der Sklaverei längst abgeworfen zu haben, fußt ein erheblicher Teil seines Wohlstands weiterhin auf ausgelagerten Wertschöpfungsketten. Hinter Konsumartikeln des Alltags verbergen sich häufig intransparente Arbeitsbedingungen, die faktisch eine moderne Form der Knechtschaft darstellen. Dieser „postkoloniale“ Imperialismus erlaubt es den Industrienationen, von Billiglohnarbeit zu profitieren, ohne den moralischen Makel offener Ausbeutung tragen zu müssen.
So hat der Westen die Sklaverei nicht wirklich überwunden, sondern vielmehr subtilere, schwerer sichtbare Mechanismen institutionalisiert. Gerade deshalb ist eine schonungslose Selbstprüfung unseres Konsumverhaltens geboten. Denn das, was als Fortschritt verkauft wird, erweist sich allzu oft als verschleierte Fortsetzung derselben Ungleichheitsstrukturen.
Diese modernen Ausbeutungsgeflechte stehen in krassem Gegensatz zu den ethischen Imperativen des Islam. Das Beispiel des umayyadischen Kalifen ʿUmar b. ʿAbd al-ʿAzīz zeigt, dass islamische Prinzipien selbst unter widrigen ökonomischen Bedingungen verwirklicht werden können. Er subordinierte ökonomische Nützlichkeit konsequent einem verankerten Gerechtigkeitsethos und initiierte Maßnahmen zur schrittweisen Demontage der Sklaverei, obwohl diese damals als unverzichtbare Stütze der Wirtschaft galt.
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Warum gab es im Islam Kriegsgefangene?
Obgleich der Islam einen ausgeprägten Emanzipationsimpuls gegenüber jeder Form struktureller Unfreiheit verankert, blieb im klassischen Recht nur ein Szenario, in dem ein Mensch temporär zum milk al-yamīn – „dem, worüber eure rechte Hand verfügt“ – werden konnte: der bewaffnete Konflikt. Die Scharia begegnet diesem kriegsbedingten Ausnahmezustand nicht mit pauschalen Ver- oder Geboten, sondern mit einem fein kalibrierten Normengerüst, das selbst im Chaos der Schlacht humane Leitplanken setzt.
Es existiert also weder ein generelles Postulat, Gefangene zu versklaven, noch ein absolutes Prohibitivgebot. Vielmehr liefert der Qurʾān einen ethischen Rahmen, der – gerade wenn reguläre Rechtsordnungen kollabieren – die Würde des Menschen schützt und Missbrauch eindämmt. Denn Krieg erzeugt Grauzonen, in denen moralische Verirrungen gedeihen können; hier fungiert die Scharia als regulatorisches Bollwerk gegen Entgleisungen.
Sobald Konfliktparteien beginnen, Zivilisten oder Kombattanten als Geiseln zu instrumentalisieren, verschärft sich das humanitäre Dilemma. Die Umma sah sich stets verpflichtet, das Wohlergehen eigener Gefangener im Ausland sicherzustellen und gleichzeitig die Rechte aller Involvierten zu achten. Diplomatie – Austausch, Lösegeld, Verhandlungen – avanciert dabei zum unverzichtbaren Werkzeug, um Vertrauen zu rekonstruieren und Perspektiven für einen dauerhaften Frieden zu eröffnen.
Eine globale Blaupause, die in sämtlichen kulturellen und historischen Konstellationen gleichermaßen tragfähig wäre, bleibt illusorisch. Gleichwohl stellt die Scharia einen ethisch-juristischen Kompass bereit, der auch im Ausnahmefall militärischer Konfrontation die Prinzipien von Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Respekt hochhält. In solchen Extremsituationen verhandeln Staaten nicht nur territoriale Linien, sondern die Grenzen der Humanität selbst. Verantwortungsvoll geführte Politik muss gerade in diesen Momenten dafür Sorge tragen, dass diese Grenzen gewahrt werden – selbst unter den rauesten Bedingungen des Krieges.
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War die Ehe mit Aischa (r.) von Begierde geleitet?
Erst im Zeitalter globaler Medien und transkultureller Kollisionszonen geriet die Ehe des Propheten Muḥammad ﷺ mit ʿĀʾischa (r.) ins grelle Licht polemischer Scheinwerfer; vormoderne Rationalisten, Skeptiker und Religionskritiker sahen darin kaum ein diskursives Minenfeld.
Zeitgenössische wie klassische Quellen zeichnen den Gesandten ﷺ als Inbegriff ehelicher Noblesse – liebevoll, fürsorglich, von reziprokem Respekt getragen. Seine erste Verbindung mit Ḫadīdscha (r.) liefert das paradigmatische Exempel: Er heiratete eine deutlich ältere, verwitwete Unternehmerin, Mutter mehrerer Kinder – ein Szenario, das selbst heutigen Männern häufig fernliegt. Die unvergleichliche Innigkeit dieser Beziehung, die er Zeit seines Lebens hochhielt, widerlegt jede Insinuation triebgesteuerter Wahlentscheidungen.
Auch seine übrigen Gattinnen – Sawda, Umm Salama, Ḥafṣa und andere – waren zumeist gesellschaftlich etablierte Frauen, vielfach verwitwet oder geschieden. Ihre Eheschließungen verfolgten überwiegend sozial-karitative, politische oder tribale Konsolidierungszwecke und stärkten das Gefüge der jungen Umma. ʿĀʾischa (r.) bildet hier die singuläre Ausnahme, vor allem wegen ihres überragenden Beitrags zur Überlieferung des Ḥadīṯ‐Korpus und zur frühislamischen Rechtsfindung.
Bedenkenswert bleibt ferner: Sämtliche heutigen Einwände speisen sich ausschließlich aus selbstkritischer, quellentreuer muslimischer Historiographie. Hätten die frühen Gelehrten beabsichtigt, das juvenile Alter ʿĀʾischas (r.) zu kaschieren, wäre der moderne Diskurs obsolet. Diese ungeschönte Transparenz bezeugt die intellektuelle Redlichkeit der ersten Generationen.
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Warum war frühes Heiraten in vielen Gesellschaften notwendig?
Es ist allgemein bekannt, dass die Heirat junger Frauen in nahezu allen Kulturen über Jahrtausende hinweg ein übliches Phänomen war und teilweise sogar als notwendiges Verfahren angesehen wurde.
Zu jener Zeit war die Lebenserwartung von Frauen deutlich niedriger als heute. Aus damaliger Perspektive wäre der heutige Trend, im Alter von etwa dreißig Jahren erstmalig Mutter zu werden, als verwerflich und krankhaft angesehen worden. Auch Männer heirateten zuweilen in sehr jungen Jahren. Bei einigen Prophetengefährten oder ihren Nachfolgern ist bekannt, dass ihre Väter zum Zeitpunkt ihrer Geburt lediglich 13 Jahre alt waren, wie zum Beispiel im Falle von Abdullâh b. 'Amr as-Sahmiyy.
Die reduzierte Lebenserwartung von Männern und insbesondere Vätern könnte ebenfalls zu dem Druck beigetragen haben, ihre Töchter aus Sorge um ihr Wohlergehen möglichst früh in die Obhut eines anderen, möglicherweise jüngeren, Versorgers zu geben. Ein anschauliches und sogar aktuelles Beispiel dafür ist die Geschichte von Ariva Begon.
Die Befürchtung von Entführungen und Versklavungen junger Mädchen an der Schwelle zur Pubertät veranlasste Eltern dazu, ihre Töchter so früh wie möglich zu verheiraten, um sie vor solch einem Schicksal zu bewahren. Tatsächlich war die Sicherheitslage auf der Arabischen Halbinsel zur Zeit von Aischas Heirat äußerst kritisch. Dieser Zusammenhang bleibt bis in die postmoderne Neuzeit hinein relevant.
Zitat: „Tatsächlich sind die arrangierten Ehen auch eine Folge zunehmender Entführungen von Frauen in den Neunzigerjahren: Indem sie ihre Töchter möglichst schnell verheirateten, wollten die Eltern sie schützen.“
Für die Legitimität einer Ehe, die sich abseits von Menschen geschaffenen und somit fehlbaren Gesetzen bewegt, spielt nicht die Jahreszahl eine Rolle, sondern vielmehr die biologische und mentale Reife. So kann beispielsweise eine 13-jährige Person biologisch durchaus auf dem durchschnittlichen Entwicklungsstand einer 18-jährigen sein und umgekehrt.
Das Aufwachsen in einem wüstenähnlichen Gebiet unter Entbehrungen, Schwierigkeiten und Verfolgung kann die Reife der Persönlichkeit beschleunigen, so dass mindestens die mentale Adoleszenz deutlich früher als in den heutigen westlichen Gesellschaften eintritt. In der modernen Medizin bei weiblichen Individuen wird zudem das Einsetzen der Pubertät ab ihrem achten Lebensjahr nicht als vorzeitig „pubertas praecox“ klassifiziert.
Der Islam, in seiner unendlichen Weisheit und universellen Ausrichtung, spezifiziert kein bestimmtes Alter, das als ideal für die Eheschließung betrachtet wird. Vielmehr schafft die Scharia einen Rahmen, indem sie das Mindestalter für eine Eheschließung mit dem Erreichen der Pubertät bzw. Geschlechtsreife verknüpft.
Dieser Rahmen erlaubt es den verschiedenen kulturellen und gesellschaftlichen Gemeinschaften, innerhalb ihrer eigenen Wertesysteme und gemäß den jeweiligen Umständen, das geeignete Alter für eine Heirat zu definieren. Es ist diese beispiellose Flexibilität und Anpassungsfähigkeit des Islams, die ihm ermöglicht, sich durch Zeiten und Kulturen hindurch ständig neu zu manifestieren.
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War Aischa (r.) mit ihrer Ehe unzufrieden?
ʿĀʾischa (r.) erreichte ein gesegnetes Alter und ließ in reifen Jahren – mit der ihr eigenen Eloquenz – ihr gemeinsames Leben mit dem Gesandten Muḥammad ﷺ Revue passieren. Aus ihren authentischen Hadith-Berichten entfaltet sich ein Mosaik inniger Zuneigung, reziproken Vertrauens und subtiler Geistverwandtschaft – Befunde, die jede modernistische Projektion von Unbehagen ad absurdum führen.
Ein berühmtes Zeugnis hierfür ist die Episode um Umm Zarʿ und Abū Zarʿ (Fath al-Bārī 9/257). Nachdem ʿĀʾischa dem Propheten ﷺ diese Erzählung leidenschaftlicher Ehetreue vorgetragen hatte, entgegnete er:
„Ich bin dir wie Abū Zarʿ gegenüber Umm Zarʿ – mit dem Unterschied, dass ich mich niemals von dir trennen werde.“
(al-Buchārī 5189; Muslim 2448)
Darauf antwortete sie voller Rührung:
„Nein, du bist mir weit wertvoller als Abū Zarʿ es ihr je war.“
(Ibn Isḥāq Musnad 744 f.; an-Nasāʾī 9092 f.)
Ihre Liebe ging bis zur Selbsthingabe: „Ich opfere mich für dich auf!“ (al-Buchārī 4939; Aḥmad 24519). Zugleich bezeugte sie – in zärtlich-spielerischer Eifersucht – die Einzigartigkeit ihres Gemahls:
„Wie könnte jemand wie ich nicht eifersüchtig auf einen Mann wie dich sein?“
(Muslim 2815)
Diese Quellen offenbaren keine Frau in Passivität, sondern eine Intellektuelle von beeindruckender Brillanz, die sich in ihrer Ehe entfalten konnte und zur maßgeblichen Tradentin von Hadith und Recht avancierte. Ihre lebenslange Bewunderung für den Propheten ﷺ belegt, dass sie in dieser Verbindung weder Einbußen noch seelische Bürden erlitt, sondern vielmehr in einem Geflecht aus Liebe, Respekt und geistiger Symbiose erblühte – ein sprechendes Indiz für das harmonische und erfüllte Geflecht ihrer Beziehung zum Propheten ﷺ.
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War Aischa (r.) neun Jahre alt?
Die Frage nach dem exakten Alter ʿĀʾischas (r.) bei ihrer Vermählung mit dem Gesandten Muḥammad ﷺ zählt zu den diffizilsten und am kontroversesten verhandelten Themen der Sīra-Forschung. Sowohl muslimische Fuqahāʾ und Muḥaddithūn als auch nicht-muslimische Historiker präsentieren hierzu ein breites Spektrum an Positionen; eine letztgültige Evidenz bleibt bis dato aus.
Moderne Textkritik und eine neuere Durchsicht der Primärüberlieferungen legen nahe, dass ʿĀʾischa (r.) zwar jung, jedoch kaum im Kindesalter gewesen sein dürfte. Eine wachsende Zahl an Studien taxiert ihr Alter zur Nikāḥ-Vollziehung plausibel irgendwo zwischen fünfzehn und neunzehn Jahren. Bekannte Traditionsstränge, die das Alter von neun Jahren anführen, werden durch andere isnād-Linien relativiert, die deutlich höhere Zahlen nahe-legen.
Bereits der große ḥadīṯ-Exeget Ibn Ḥaǧar al-ʿAsqalānī (d. 852 h) deutet in seinem Monumentalwerk Fatḥ al-Bārī (Bd. 9, Buch 86, Ḥadīṯ 100 f.) an, dass ein höheres Alter wahrscheinlicher sei. Auch weitere mittelalterliche Autoritäten thematisierten diese Divergenz ohne dogmatische Verengung.
Die populärste Angabe – neun Jahre – geht hauptsächlich auf ʿĀʾischas (r.) eigene retrospektive Aussage zurück. Manch Historiker vermutet darin einen Anflug von Stolz über ihre frappierende Reife und intellektuelle Brillanz, die selbst im jugendlichen Alter sichtbar gewesen sein soll.
Im Hidschrī-Arabien besaß das Erfassen exakter Geburtsdaten keine Priorität; Kalenderrechnungen variierten und selbst in der Prophetenbiographie divergieren Datierungen zentraler Ereignisse. Analoge Unsicherheiten finden sich heute noch in ländlichen Regionen der Welt, in denen Menschen ihr eigenes Alter teils um ein Jahrzehnt unterschätzen.
Wer das Neun-Jahre-Narrativ unkritisch übernimmt, sollte fairerweise auch die zahlreichen wundersamen Elemente der kanonischen Überlieferungen akzeptieren – andernfalls droht methodischer Doppelstandard.
Kurzum: Die überlieferte Altersangabe ist keineswegs monolithisch. Eine Vielzahl philologischer, historiographischer und soziokultureller Indizien deutet darauf hin, dass ʿĀʾischa (r.) bei ihrer Eheschließung eher im mittleren Teenager- als im Kindesalter stand. Eine endgültige Gewissheit wird indes erst im Jenseits offenbar werden; bis dahin gebietet intellektuelle Redlichkeit, die ambivalente Datenlage zu respektieren und den Diskurs ohne Anachronismen zu führen.
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Einfache Theologie
Grundlagen des Glaubens
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Wie werde ich Muslim/a?
Mit dem dualen Bekenntnis „Šahādah” trittst du dem Lebensweg der Ergebung bei. Es bildet die erste der fünf Säulen des Islam.
Das Wichtigste zur Vorbereitung, vergegenwärtige dir die Bedeutung des Bekenntnisses, bevor du es auf Arabisch aussprichst.
1. Es gibt keine Gottheit außer Gott selbst. 2. Muhammad ﷺ ist der letzte Gesandte Gottes.
Gott verdient die absolute, bedingungslose und maximale Liebe. Er besitzt die vollkommenen Eigenschaften (Unerschaffenheit, Allmacht, Allwissen usw.) und stellt die einzige wahrhaft absolute Autorität dar, welche anbetungswürdig ist.
Sprich den ersten Teil:
أَشْهَدُ أَنْ لَا إِلَٰهَ إِلَّا ٱللَّٰهُ
Ašhadu an lā ilāha illā ʾllāh
Es gibt keine Gottheit außer Allah.
Hiermit sicherst du zu, keines dieser Dinge irgendeiner Person oder Sache außer Gott (Allah) zuzuordnen.
Sprich den zweiten Teil:
وأَشْهَدُ أَنَّ مُحَمَّدًا رَسُولُ ٱللَّٰهِ
Wa Ašhadu anna Muḥammadan
rasūlu ʾllāh
Muhammad ist der Gesandte Allahs
Hiermit bestätigst du Sein Recht, so angebetet zu werden, wie Er es Muhammad ﷺ offenbart hat.
Wenn du das Glaubensbekenntnis vollständig ausgesprochen hast, bist du vor Allah s. ein/e Muslim/a, jemand, der sich [Ihm] ergeben hat.
Es ist empfohlen, vor mindestens zwei Zeugen zu sprechen, da du so zusätzlich islamjuristisch zwei „Ausweispapiere in Menschengestalt“ hast und somit den Nachweis, dass du zur Weltgemeinde der Muslime gehörst.
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Was zählt zu den fünf Säulen im Islam?
1. Šahāda – Glaubensbekenntnis
Die doppelte Formel „Lā ilāha illā Llāh, Muḥammadun rasūlu Llāh“ bildet das epistemische Fundament des Islams. Ihr erster Teil bekräftigt den Tawḥīd: Gott ist absolut einzigartig, unvergleichlich und jede Anthropomorphisierung verbietet sich. Der zweite Teil etabliert Muḥammad ﷺ als Siegel der Prophetie – letzte normative Instanz, deren Offenbarung für alle Zeiten verbindlich bleibt.
2. Ṣalāh – Ritualgebet
Fünfmal täglich strukturiert das Gebet den Tagesrhythmus, löst den Gläubigen aus profaner Geschäftigkeit und verankert ihn in der Gegenwart Gottes. Diese synchrone Praxis verschränkt physische Geste, verbale Lobpreisung und kontemplative Stille zu einem holistischen Akt der Gottesnähe und fördert zugleich die Kohäsion der Umma.
3. Zakāt – Almosenabgabe
Zakāt ist mehr als eine fiskalische Pflicht: Sie reinigt den Geber von Habsucht und stärkt die Bedürftigen. Damit fungiert sie als Mechanismus sozialer Justiz und spiritueller Katharsis. Entscheidend bleibt die niyya – das lautere Motiv, ohne ostentatives Eigenlob zu spenden.
4. Ṣaum – Fasten im Ramaḍān
Vom ersten Licht bis zum Sonnenuntergang entsagt der Fastende Nahrung, Trank und niederen Begierden. Diese temporäre Askese schärft das Bewusstsein für menschliche Kontingenz, vertieft die Gottesbeziehung und weckt Empathie für Bedürftige. Der Körper wird gedämpft, damit die Seele sich erhebt.
5, Ḥaǧǧ – Pilgerfahrt
Einmal im Leben, sofern physisch und finanziell möglich, führt die Ḥaǧǧ nach Makka. Der Iḥrām – das schlichte weiße Gewand – nivelliert alle sozialen Differenzen und vergegenwärtigt die eschatologische Gleichheit vor Gott. Die rituellen Stationen – Ṭawāf, Saʿy, ʿArafāt – verdichten islamische Geschichte zu einer existenziellen Gegenwartserfahrung und erinnern an die Vergänglichkeit des Diesseits.
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Was kennzeichnet den unverfälschten Monotheismus?
Seit Urzeiten verankerten Kulturen die Vorstellung einer höchsten Gottheit – ob die Römer Jupiter, die Griechen Zeus, die Germanen Odin oder nordamerikanische Völker Manitu nannten. Doch daneben schufen sie Pantheons „nachrangiger“ Mächte, die wie Minister eines kosmischen Königs das Universum verwalten sollten.
Auch die vorislamischen Araber kannten einen obersten Gott: Allāh. Die islamische Botschaft Muhammads ﷺ radikalisierte diese Intuition, indem sie die Vielgötterei nicht nur relativierte, sondern völlig ausschloss: «Lā ilāha illā Llāh» – es gibt keinerlei Gottheit außer Allāh; Er ist Aḥad, der absolut Eine und Unteilbare.
Kein Name verkörpert diese Wahrheit eindringlicher als Bilāl ibn Rabāḥ. Als erster Muezzin und ehemaliger Sklave bekannte er seinen neuen Glauben unter extremster Folter. Sein Peiniger, der Polytheist Umayya ibn Khalaf, wuchtete einen Felsblock auf Bilāls Brust und verlangte Absage an Muḥammad ﷺ. Doch Bilāl hauchte nur ein einziges Wort – immer wieder: «Aḥad, Aḥad, Aḥad.»
Dieses Mantra war mehr als Trotz; es war das kristalline Bekenntnis, dass nur eine Wirklichkeit anbetungswürdig ist. In seiner Todesnähe dokumentierte Bilāl, was wahren Monotheismus ausmacht: unverbrüchliche Anerkennung der göttlichen Einzigkeit – ohne Mittler, Teilhaber oder Inkarnationen.
So definiert der Islam den reinen Tauḥīd:
Einzigkeit – Allāh ist absolut unvergleichbar.
Exklusivität – jede Form von Beigesellung ist polytheistischer Verstoß.
Endgültigkeit – Muhammad ﷺ ist das Siegel aller Offenbarungen.
Alles andere – Göttergeschichten, Volksmythen, vermenschlichte Gottheiten – zerfällt vor dem Ruf Bilāls, der durch die Jahrhunderte hallt: Aḥad.
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Warum kann es nicht mehrere Götter geben?
Weil im Verständnis, dass Allahﷻ vollkommen ist, implizit die Unmöglichkeit einer Vielheit solcher Wesen liegt. Perfektion impliziert ontologische Einzigartigkeit; duale oder multiple Gottheiten wären folglich ein Widerspruch in sich. Vollkommenheit schließt jede Form von Konkurrenz oder Teilung aus.
Zu den prägnanten Attributen vollendeter Göttlichkeit zählt uneingeschränkte Allmacht – die souveräne Verfügung über sämtliche Seins‑ und Möglichkeitsdimensionen. Lässt man hypothetisch zwei allmächtige Entitäten zu, entsteht ein unauflösbares Dilemma: Beschlösse der erste Gott, ein Universum zu kreieren, während der zweite dasselbe Vorhaben negierte, stünde die Wirklichkeit vor einer unentscheidbaren Alternative. Entweder setzt sich einer durch – womit die Omnipotenz des anderen kompromittiert wäre – oder keiner, dann fehlte beiden die absolute Wirkmacht. Damit wäre der Begriff der Allmacht selbst ad absurdum geführt.
Ferner verlangt Vollkommenheit, dass das betreffende Wesen die Maximierung sämtlicher positiven Prädikate – Macht, Wissen, moralische Integrität – in sich vereint. Existierte ein zweiter allumfassender Akteur, würde jede Instanz notwendigerweise einen Teilbereich ihrer Exzellenz an die andere abtreten; die Summe höchster Vollkommenheit bliebe unerreicht. Die Koexistenz zweier „maximaler“ Wesen unterminiert somit die definitorische Spitze des Prädikats und produziert ein metaphysisches Paradox.
Kurzum: Die Annahme mehrerer höchstvollkommener Gottheiten führt zu logischen Inkonsistenzen. Die reine Vernunft gebietet daher, einen einzigen, absolut souveränen Gott anzuerkennen – Allah ﷻ, dessen Einzigartigkeit unteilbar und dessen Majestät unerreicht ist.
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Was macht Allahﷻ unvergleichbar?
Der große Gelehrte Ibn Qayyim (r.) formulierte es meisterhaft: Im Herzen jedes Menschen klafft eine Leere, die einzig durch die Gegenwart Allahs ﷻ gefüllt werden kann; eine Trauer, die nur die Erkenntnis Seiner Majestät lindert; ein Hunger, den allein Liebe, Hingabe und häufiges Gedenken an Ihn sättigen. Selbst besäße man die gesamte Welt mit all ihren Schätzen – diese innere Leere bliebe bestehen.
Kein Winkel des Kosmos, so weit er sich ausdehnt, vermag Allah zu substituieren. Der Mensch jagt Ruhm, Kapital und Status: Das glänzende Auto, die schwindelerregende Karriere, die Applaus‐Bühne. Doch jedes irdische Hochgefühl verflüchtigt sich schnell – und die metaphysische Aderlass bleibt. Denn nur der eine, vollkommene Gott vermag das existenzielle Vakuum endgültig zu versiegeln.
Im Arabischen bezeichnet aḥad gewöhnlich eine Negation: mā fī l-masǧid aḥad – „niemand ist in der Moschee“. Ebenso in Sūrat al-Ikhlāṣ: wa-lam yakun lahū kufuwan aḥad – „und lasse keinen einzigen an Seiner Anbetung teilhaben“. Bei Allah ﷻ erhält aḥad jedoch einen positiven Bedeutungs-Shift: Es bedeutet nicht bloß „der Eine“ als Zähleinheit, sondern der Einzigartige, dessen Wesen jede Vergleichskategorie sprengt. Menschen teilen sich Eigenschaften und können miteinander verglichen – folglich sind sie nicht aḥad. Gottes Attribute hingegen stehen absolut für sich: unvermischt, unerreicht, inkommensurabel.
Zu behaupten, Allah „wisse mehr“ als der Mensch, degradiert Sein Wissen zu einer Zahl innerhalb unserer Skala. Doch wie eine mathematische Unendlichkeit alle endlichen Zahlenkategorien überholt, transzendiert Gottes Allwissenheit jedes quantitative Raster. Seine Allmacht, Barmherzigkeit und Schönheit sind nicht bloß „größer“, sondern ontologisch andersartig – vollkommen, grenzenlos, unvergleichlich.
Gerade weil Allah aḥad ist, liegt in Seiner Einzigkeit das Heilmittel für unsere zersetzende Unzufriedenheit. Die Rückkehr zu Ihm – durch Liebe, ʿIbâda und dhikr – stopft die asymptotische Sehnsucht, die keine weltliche Errungenschaft stillen kann. So wird klar, weshalb Ibn Qayyims Sentenz über Generationen hinweg in den Herzen der Gläubigen widerhallt: Die wahre Vollendung des Menschen wurzelt einzig in der Begegnung mit dem einzigartigen, unvergleichbaren Herrn der Welten.
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Warum kann ich Allahsﷻ Handlungen nicht immer verstehen?
Wir Menschen stellen uns oft existenzielle Fragen: Warum hat Allah das Universum erschaffen? Warum gibt es uns? Warum wurden heilige Schriften zu unterschiedlichen Epochen und in verschiedenen Regionen offenbart? Solche Fragestellungen spiegeln unser menschliches Bedürfnis nach kognitiver Durchdringung und epistemischer Kontrolle wider – ein Bedürfnis, das wir als Geschöpfe hegen, nicht aber der Schöpfer selbst.
Wenn wir versuchen, Allah ﷻ durch unsere begrenzte menschliche Perspektive zu begreifen, neigen wir dazu, das absolut Transzendente in die engen Raster unserer kontingenten Kategorien einzusperren. Wir legen unsere idiosynkratischen, menschlich‑zu‑menschlich Maßstäbe an sein Walten an und stutzen das Göttliche unwillkürlich auf einen vertrauten Maßstab herab – und wundern uns, wenn göttliche Dekrete sich unserem gewohnten Denkrahmen entziehen. Doch Allah ﷻ hat keine Bedürfnisse oder Defizite; sein Handeln entspringt weder Zwang noch Mangel, sondern fließt aus der inneren Fülle seiner absoluten Vollkommenheit und überschäumenden Liebe. Dass wir Menschen ein bestimmtes Vorgehen ablehnten oder bevorzugten, begründet keinerlei Analogie zum göttlichen Ratschluss. Denn ER ist nicht wie wir.
Wir dürfen Fragen stellen, wir sollen reflektieren, aber wir müssen zugleich anerkennen, dass unser Erkenntnishorizont endlich bleibt. Die scheinbare Rätselhaftigkeit mancher göttlicher Fügung verweist auf Rationalität, die unser Fassungsvermögen transzendiert. Indem wir dieses Erkenntnisgefälle akzeptieren, würdigen wir die göttliche Weisheit als Ausdruck souveräner Freiheit, unendlicher Güte und vollkommener Macht.
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Was bedeutet es wirklich, wenn Allahﷻ einen besseren Plan für uns hat?
Nicht selten schleicht sich in Zeiten kollektiver und persönlicher Krisen – von der Tragödie der Uiguren bis zur Misere in Gaza, von globalen Konflikten bis zu privaten Brüchen – der leise Gedanke ein: Hat Allah uns verlassen? In den sozialen Medien kursieren dann beruhigende Floskeln: „Keine Sorge, Allah hat etwas Besseres mit dir vor.“ So tröstlich diese Parolen klingen, sie unterschlagen eine theologische Tatsachenlage: Es gibt keine göttliche Garantie auf ein diesseitiges Happy End.
Historisch obsiegten Tyrannen bisweilen und badeten im Wohlstand – ohne dass dies ein Indikator für göttliche Gunst wäre. Macht- und Erfolgsparadigmen sind keine zuverlässigen Seismographen für Allahs Liebe oder Zorn. Die Geschichte der Gläubigen, die ein despotischer Herrscher lebendig in eine Feuergrube werfen ließ (vgl. Sūrat al-Burūǧ 85:4-8), macht die Kollision mit Hollywood-Narrativen deutlich: Keine wundersame Rettung, kein irdischer Triumph. Ihr Sieg lag einzig in der standhaften Treue zu Allah.
Wahre göttliche Fürsorge manifestiert sich daher nicht primär in äußerer Rettung, sondern in der Gewährung von Geduld, seelischer Resilienz und geistiger Klarheit während der Prüfung. Wer im Feuer der Anfechtung seinen Tauḥīd nicht preisgibt, erlebt damit bereits die höchste Form der göttlichen Zuwendung.
Der ultimative „bessere Plan“ erfüllt sich also erst, wenn der Gläubige das Paradies betritt – fawz ʿaẓīm. Alle temporären Siege oder Niederlagen verblassen gegen diesen alles überstrahlenden Augenblick. Selbst der Prophet ﷺ, der härter geprüft wurde als irgendein anderer, erhielt kein pausenloses irdisches Happy End, sondern den endgültigen Triumph jenseits der Zeit.
Darum gilt: Wer darauf vertraut, dass Allah ﷻ ihn liebt, misst diese Liebe nicht an weltlichem Erfolg, sondern an der Kraft, im Sturm unerschütterlich an Ihm festzuhalten.
So gesehen bedeutet „Allah hat einen besseren Plan“ nicht zwangsläufig eine nahende irdische Erleichterung, sondern eine Einladung, die Prüfungen dieses flüchtigen Lebens als Brücke zum ewigen, unvergleichlichen Sieg zu begreifen.
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Warum gibt es im Islam Rechtschulen?
Seit dem Siegel Muḥammads ﷺ besitzt die Menschheit eine universal gültige Scharīʿa; dennoch entstand ein Mosaik klassischer Madhāhib. Ihr Zweck ist kein dogmatischer Selbstzweck, sondern die dynamische Entfaltung jener ewigen Normen in die Labyrinthe geschichtlicher Wirklichkeit. Unvermeidliche Unterschiede in Denkstil, kulturellem Habitus und sprachlicher Nuancierung – selbst unter Gefährten, die dieselbe Offenbarung hörten – erzeugten ein fruchtbares Spektrum legitimer Iǧtihād-Urteile. Die Ausbreitung des Islams von Andalusien bis Samarqand verschränkte arabische Terminologie mit persischer, berberischer oder südasiatischer Denktradition; so wirkten Dialekt, Rechtstradition, philosophisches Erbe und lokale Brauchpraxis wechselseitig katalytisch und gossen sich schließlich in vier große, methodisch geschlossene Rechtsschulen.
Hinzu traten politisch-soziale Verschiebungen: jeder Kalifatswechsel, jede Migration von Gelehrten und jede Naturkatastrophe erzwang neue Kasuistik, ohne das Fundament des Qurʾān und der authentischen Sunna zu unterminieren. So verhält sich die Scharīʿa wie ein lebendiges Gewässer: konstant in Quelle und Ziel, wandelbar in Strömung und Gestalt. Die Madhāhib sind daher nicht statische Mauern, sondern ausgreifende Brücken zwischen zeitloser Norm und konkreter Lebenswirklichkeit – analog zu verschiedenen Therapieplänen, die ein einziger medizinischer Kanon für divergent erkrankte Körper zulässt. Ihr Pluralismus bezeugt die intellektuelle Großzügigkeit des Islam: Einheit im Prinzip, Elastizität in der Anwendung.
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Muss ich im Islam einer Rechtschule folgen?
Die Frage, ob ein Muslim sich zwingend an eine der klassischen Rechtsschulen binden müsse, spaltet die zeitgenössische Gelehrsamkeit in zwei scheinbar konträre Lager. Auf der einen Seite stehen jene, die eine formale Madhhab-Affiliation als nahezu unabdingbar erachten, da die historischen Schulen – durch ihre ausgefeilten Usūl-Methodiken – ein kohärentes, über Jahrhunderte gereiftes Gerüst bieten, das die Reinheit von Qurʾān und Sunnah sichert. Auf der anderen Seite plädieren Befürworter eines unmittelbaren Rückgriffs auf die Primärquellen für ein flexibleres, kontextsensibles Rechtsverständnis, das sich nicht von vermeintlicher Schulorthodoxie beschränken lassen will und somit moderner Komplexität besser gerecht werde.
Die Madhāhib fungieren zweifellos als theoretisch fundierte Navigationssysteme, deren kumuliertes Fachwissen vor methodischer Willkür schützt und praktische Kohärenz stiftet. Gleichwohl verlangt ihr Ethos keine blinde Gefolgschaft: Wer sich einer Rechtsschule anschließt, sollte dies auf der Grundlage verlässlicher Quellenarbeit, geistiger Redlichkeit und unter Anleitung eines vertrauenswürdigen Lehrers tun, bis die eigenen juristischen Kompetenzen ausreichen, um verantwortungsvoll eigenständige Urteile abzuleiten. Umgekehrt verpflichtet kein eindeutiger Text dazu, ein Leben lang in den Grenzen einer einzigen Schule zu verharren, sofern man nachweislich über die Werkzeuge verfügt, komplexe Rechtsfragen direkt aus Qurʾān, Sunnah und dem Konsensus der Gelehrten abzuleiten.
Folglich existiert weder ein kategorisches Gebot noch ein generelles Verbot in Bezug auf die Madhhab-Bindung. Vielmehr obliegt es der informierten Autonomie jedes Gläubigen, nach ernsthafter Auseinandersetzung mit den Quellen und in Kenntnis der eigenen methodischen Befähigung den Weg zu wählen, der sein Gottesverhältnis am zuverlässigsten stützt. Wer die Disziplin einer Rechtsschule wählt, bewegt sich in einem traditionsreichen, zugleich adaptiven Rahmen; wer den schwierigeren Pfad des eigenständigen Iǧtihād beschreitet, trägt die Verantwortung für umfassende Texttreue und methodische Präzision. Beide Optionen bleiben – korrekt praktiziert – innerhalb der Scharia zulässig und dürfen nicht gegeneinander zum Dogma verhärtet werden.
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Ist echtes Gelehrtentum im Islam ohne Medienpräsenz möglich?
Auf die häufige Frage, ob ich ernsthaft anstrebe, ein Gelehrter zu werden, antworte ich stets mit einem entschiedenen Ja. Welcher Lebensweg könnte erfüllender sein, als sich dem vertieften Studium des Islams und seiner Weitergabe zu widmen? Doch in den Blicken meiner Gesprächspartner lese ich oft festgefügte Erwartungen. Frage ich zurück, was sie unter einem ʿālim verstehen, erhalte ich stereotypische Bilder: charismatischer Prediger, spiritueller Mentor, gesellschaftlicher Wegweiser.
Diese ehrenvollen, aber einseitigen Vorstellungen verleiten viele Nachwuchsstudenten dazu, sich früh öffentlich in Szene zu setzen – als hinge wahre Autorität an Klickzahlen, Likes oder Podiumsapplaus. Wer das Ideal eines Gelehrten auf mediale Sichtbarkeit und pastorale Omnipräsenz reduziert, entmutigt nicht wenige, die sich nach stillem, konzentriertem Wissenserwerb sehnen.
Authentisches Gelehrtentum bemisst sich indes nicht an Follower-Zahlen, sondern an intimer Textkompetenz, methodischer Redlichkeit und der unablässigen Verknotung von Wissen und taqwā. Ein wahrer Gelehrter ist weniger ein Influencer als ein stilles Leuchtfeuer: Er verkörpert das Gelernte, ordnet es in den Alltag ein und dient der Umma durch Integrität und subtile Weisheit.
Darum ermutige ich jede und jeden, den Pfad der islamischen Wissenschaften dennoch zu betreten. Die Umma benötigt kluge, ethisch gefestigte Forscher, nicht bloß wortgewandte Bühnenfiguren. Wer den ruhigen, langen Atem des Studiums aufbringt, kann – ob sichtbar oder verborgen – zu einer tragenden Säule geistiger Erneuerung werden.
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Was war dein ursprünglicher Antrieb, Gelehrter zu werden?
Ursprünglich hegte ich den – im Rückblick etwas naiven – Plan, mittels geschickter Nutzung sozialer Netzwerke Menschen für die erhabene Schönheit des Islams zu begeistern: Ein wenig Präsenz hier, ein paar mitreißende Posts dort – so, dachte ich, ließe sich die Umma intellektuell und spirituell mobilisieren. Je tiefer ich jedoch in die Biographien großer Imame und Denker eintauchte, desto deutlicher erkannte ich, wie sehr echtes Gelehrtentum weniger auf Außenwirkung als auf innere Läuterung gründet.
Mir kam dabei das Diktum in den Sinn: »Einst wollte ich die Welt verändern, heute beginne ich bei mir.« Das wahre Abenteuer des ʿIlm, so wurde mir klar, ist in erster Linie ein Projekt der Selbsttransformation, gespeist aus drei Achsen:
**Erstens die Lauterkeit der Intention** – meine Motivation darf ausschließlich darauf abzielen, das göttliche Wort zu verstehen und es kompromisslos in tägliches Handeln zu gießen. Eitelkeit, Applaus und akademischer Glanz müssen strikt sekundär bleiben.
**Zweitens die methodische Tiefe** – jede Stunde mit Tafsīr, Ḥadīṯ-Usūl oder Fiqh-Analogien soll mein Herz verfeinern, nicht nur mein Notizbuch füllen.
**Drittens die gelebte Diskretion** – wenn Allah ﷻ mich mit Wissen beschenkt, darf es nicht zum Markenzeichen auf digitalen Bühnen verkommen. Vielmehr soll es im Verborgenen Wurzeln schlagen, bis es – vielleicht ganz unspektakulär – Früchte der Taqwā trägt.
So verstehe ich heute mein Gelehrtenideal: fern jeder Selbstinszenierung, dafür radikal verankert in aufrichtigem Niyya, intellektueller Redlichkeit und einem tätigen Herzen, das sich primär vor seinem Schöpfer verantwortet.
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Strebten Gelehrte nach öffentlicher Anerkennung?
Viele unserer salaf-gelehrten Vorväter – man denke exemplarisch an Imām aš-Šāfiʿī – kultivierten eine seltene Form geistiger Bescheidenheit: Sie wünschten ausdrücklich, dass ihre fatwāʾs und methodischen Einsichten anonym zirkulierten, damit das Licht der Wahrheit nicht vom Schatten persönlicher Prominenz verdunkelt würde. Dass ihre Namen dennoch in die Annalen eingingen, war bloß eine ungewollte Nebenwirkung, kein strategisches Karriereziel.
Eben dieses Ethos sollte auch unser Ideal sein. Nicht die irdische Ovation, sondern die jenseitige Enthüllung vor dem Throne Allahs ﷻ gilt es anzustreben: dass am Tag der Auferstehung die verborgene Gelehrsamkeit offenbar wird und die Menschheit staunend bekennt, nie geahnt zu haben, welch Schatz an ʿilm in einem unscheinbaren Diener ruhte.
Berühmtheit indes ist ein Prüfstein: Sie zerrt das Herz in endlose Selbstinterrogation. Handle ich, um Allahs Antlitz zu suchen, oder hofiere ich der Erwartung des Publikums? Darum verlangt wahrer ʿālim-Habitus weit mehr als obligatorisches Ṣalāh; er fordert eine spirituelle Aszese, die Sunnah-Gebete vertieft, den Qurʾān auswendig verinnerlicht und das Innere mit beständiger murāqabah durchglüht. In manchen Ländern akzeptiert ein Šaiḫ keine Schüler, die nicht den gesamten Qurʾān hifẓ-mäßig tragen – nicht aus Elitismus, sondern weil Memorisation den echtesten Liebesbeweis zum Buch Allahs darstellt.
Auch bei DeenQuest bevorzugen wir, die Identität unserer Beitragenden im Halbschatten zu lassen; nicht aus Furcht vor Kritik, sondern aus einem Prinzip geistiger Reinheit. Sollte Allah ﷻ dennoch beschließen, einen Namen ins Rampenlicht zu heben, betrachten wir dies als göttliche Ibtilāʾ, die mit sabr zu tragen ist, bis Er das Szenario gemäß Seiner unergründlichen Weisheit ordnet. Denn letztlich gilt: Gelehrsamkeit ist keine Frage der Öffentlichkeit, sondern der Lauterkeit vor dem Einen, der Herzen prüft.
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Sollten Gelehrte Debatten führen?
Ob Gelehrte kontroverse Debatten führen sollten, hängt weniger von der Schärfe ihrer Argumente ab als von der Verfassung ihres Herzens. Unsere Zeit zelebriert den Diskurs oft als gladiatorisches Spektakel: Man versucht, durch die Demontage des Gegenübers intellektuelle Höhenluft zu atmen. Doch eine solche Arena steht quer zu jener adab-Kultur, in der die klassischen Imame disputierten.
Abū Ḥanīfa – selbst brilliant in Dialektik – pflegte zu sagen, die Männer seiner Generation säßen in einer solchen inneren Ruhe beieinander, „dass man meinen könnte, Vögel ruhten auf ihren Häuptern.“ Sie fürchteten, ein Irrtum des Gesprächspartners könne unbemerkt bleiben; sie suchten nicht nach Patzern, um Triumphe zu feiern, sondern nach Funken, aus denen sich gemeinsam ein klareres Licht der Wahrheit entzünden ließe.
Wer heute an die Kanzel des Streitgesprächs tritt, sollte deshalb vorab sein Ego dressieren, jenes auf Beifall lauschende Tier. Wissen ist ein zweischneidiges Schwert: In kluger Hand rettet es, in eitlem Griff verwundet es. Der Debattierende möge mit dem Bittgebet eintreten:
> Allāhumma in kānat l-ḥaqq ʿindī fa-ʾazhirhā li-ṣāḥibī, wa-in kānat ʿindahu fa-allimnīhā.
> „O Allah, liegt die Wahrheit bei mir, so lass meinen Gegenüber sie erkennen; liegt sie bei ihm, so lehre Du mich, sie anzunehmen.“
Ziel ist nicht der Sieg, sondern die Annäherung an die ḥaqq, ein Vorgang, der im Verborgenen des Herzens beginnt. Darum bleibt der wahre ʿālim selbst unter heftigsten Invektiven stoisch und verabschiedet sich am Ende mit demütiger Formel: Ghafarallāhu lī wa-laka, wa-aṣlaḥanā jamīʿan – „Möge Allah mir und dir vergeben und uns beide bessern.“ In dieser Haltung wird jede Debatte – ob öffentlich oder im Stillen – zu einer Stufe auf dem Weg des inneren Wachstums, nicht zu einem Podest der Selbsterhöhung.
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Reicht reines Wissen aus, um ein wahrer Gelehrter zu sein?
Reines Faktenwissen qualifiziert niemanden zum wahren ʿālim. Wer den steilen Pfad der Gelehrsamkeit beschreitet, muss sich am Kanon der Altvorderen orientieren, deren intellektuelle Brillanz auf einem granitharten Charakterfundament ruhte. Überlieferungen belegen, dass sie von zwanzig Studienjahren bis zu siebzehn ausschließlich der moralischen und spirituellen Verfeinerung widmeten, während die verbleibenden drei der juristischen Detailarbeit galten – und selbst dann bekannte man rückblickend, die Seelenschulung hätte noch intensiver sein müssen.
Denn islamisches Wissen ist keine trockene Datensammlung, sondern eine ethisch aufgeladene Waffe. Ihr sachgerechter Gebrauch setzt unerschütterliche Aufrichtigkeit, disziplinierte Ego-Domestizierung und ein bedingungsloses Streben nach Wahrheit voraus – gleichgültig, ob diese dem eigenen Temperament schmeichelt oder es korrigiert. Kurz: Gelehrsamkeit beginnt nicht in der Zunge, sondern im Herzen und ohne fortwährende Charakterläuterung bleibt jede dialektische Brillanz bloßes Blendwerk.
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Ist die Vielfalt der Meinungen innerhalb des Islams eine Schwäche?
Die vielstimmige Topographie islamischer Meinungen ist keines Makels, sondern Ausdruck einer geistigen Elastizität, die schon die »goldenen Jahrhunderte« beflügelte. Inmitten heutiger Informations-Tsunamis erscheint diese Pluralität manchem als Verwirrung, doch sie wird erst dann problematisch, wenn sie auf mangelhaftes methodisches Rüstzeug trifft. Die klassischen Institutionen des Fiqh – Usūl-Gerüste, Madhhab-Traditionen, Iǧmāʿ-Netze – fungieren gerade als Kartographie, die den Diskurs ordnet, ohne ihn zu verengen.
Ein emblematisches Beispiel liefert Imām aš-Šāfiʿī. In seiner Bagdader Phase, geprägt vom hanafitischen Umfeld, hielt er das bloße Berühren einer Frau nicht für wuḍūʾ-brechend. Jahre später, im ägyptischen Milieu, revidierte er diese Position radikal und erklärte jede Berührung – unabhängig von Intention – zum Bruch der Reinheit. Diese Kehrtwende resultierte weder aus Launen noch Inkonsistenz, sondern aus fortschreitender intellektueller Reifung sowie einer feinen Sensibilität für zamān wa-makān: die Dialektik von Zeit und Ort. Seine Schüler wiederum passten beide Lehrmeinungen situationsbezogen an – ein lebendiges Zeugnis, dass Fiqh stets Kontext inhaliert, ohne seine Prinzipien zu kompromittieren.
Kurzum: Diversität der Fatwā ist nicht Schwäche, sondern Stärke – vorausgesetzt, sie wird von solide ausgebildeten Köpfen geleitet, die den Kompass authentischer Quellen und die Disziplin klassischer Methodik in der Hand behalten. In dieser Spannkraft liegt der Motor, der die Umma historisch an die intellektuelle Spitze führte und es auch heute vermag, wenn wir ihn verantwortlich nutzen.
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Kann Digitalisierung die persönliche Gelehrten-Schüler-Beziehung ersetzen?
Im Zeitalter allgegenwärtiger Datenströme mag es verlockend erscheinen, die klassische šaiḫ–ṭālib-Beziehung durch Tutorials auf YouTube oder 30-Sekunden-Clips auf TikTok zu substituieren. Wer in die geistige Architektur unserer Tradition blickt, erkennt jedoch schnell, dass solche Formate bestenfalls Fragmente vermitteln.
Die alten Meister kannten ihre Schüler nicht nur als abstrahierte Intellekte, sondern als vollständige Seelenlandschaften: Sie nahmen die Zitterlinien ihrer Gemüter wahr, ihre familiären Belastungen, ihre verborgenen Talente. Erst diese intime Topografie erlaubte es, heilende Ratschläge millimetergenau anzusetzen – ohne die Essenz der Scharīʿa zu verwässern, aber immer in Resonanz mit der individuellen Biographie des Lernenden.
Digitale Predigten operieren unvermeidlich im Modus der Anonymität. Der Sender sieht den Empfänger nicht, spürt weder dessen Zweifel noch dessen blinde Flecken. Kompetenz und Lauterkeit der „online-Muftis“ bleiben schwer verifizierbar; Fatwās werden generalisiert, obwohl Fiqh in vielen Fällen chirurgische Präzision verlangt.
Darum ist es heute dringlicher denn je, die verkörperte Lehrer-Schüler-Achse zu rehabilitieren. Nur in diesem warmen Resonanzraum reift das Wissen vom Kopf ins Herz, nur hier wird theoretischer ʿIlm in charakterliche Gravitas überführt. Wer geistige Tiefe, ethische Reife und methodische Sorgfalt sucht, findet sie nicht im Algorithmus, sondern im Schatten eines Lehrers, der sein eigenes Ego gezähmt hat und den Schüler Schritt für Schritt auf demselben Weg begleitet.
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Wie erteile ich Ratschläge?
Ein altes Diktum mahnt: „Bemühe dich zuerst zu verstehen, ehe du verlangst, verstanden zu werden.“ – eine Regel, die im Fatwā-Kontext nur allzu oft missachtet wird. Wer ohne sorgfältige Anamnese eine Rechtsauskunft erteilt, gleicht dem Optiker, der dem Kunden seine eigene Brille aufsetzt, weil er selbst damit klar sieht.
Statt die spezifische Lebenswirklichkeit des Ratsuchenden auszuleuchten, projizieren wir häufig unsere privaten Präferenzen und Gemütslagen auf fremde Biografien. Das Resultat sind generalisierte Lösungen für hochkomplexe Fragen – Empfehlungen, die weder haften noch heilen, weil sich der Adressat darin nicht wiederfindet.
Verlässliche Beratung erwächst aus radikal empathischem Zuhören. Wir brauchen einen inneren Paradigmenwechsel: weg vom „Ich lausche, um zu antworten“, hin zum „Ich lausche, um wahrhaft zu begreifen“. Erst wenn wir die seelische Topografie des Gegenübers kartieren – seine Kontexte, Ängste und Hoffnungen –, gewinnen wir das feine Sensorium, das zulässt, islamische Prinzipien passgenau in seine konkrete Existenzmatrix einzuschreiben.
Nur auf dieser Grundlage entstehen Fatwās, die nicht wie geliehene Brillen verzerren, sondern wie maßgefertigte Linsen Klarheit schenken – und damit das Vertrauen, das jeder rechtleitende Rat voraussetzt.
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Wie bleibt der Diskurs über den Islam fundiert, wenn jeder eine Meinung hat?
Die schier grenzenlose Digitalität unserer Epoche eröffnet dem muslimischen Diskurs ein faszinierendes Spannungsfeld: Ein Ozean an Primärquellen und Gelehrtentexten liegt in wenigen Klicks bereit – zugleich wächst die Gefahr epistemischer Entgleisungen. Nicht selten treten Brüder und Schwestern mit redlicher Absicht, doch ohne methodische Grundausbildung als vermeintliche Autoritäten auf, interpretieren Verse und Aḥādīṯ nach persönlicher Intuition und verletzen damit unbewusst die feinen Regeln der Usūl-Wissenschaften. So entsteht ein polyphones Crescendo widersprüchlicher Fatwās, in dessen Echo der Laie sich kaum orientieren kann.
Der Eindruck innerer Inkonsistenz ist freilich illusorisch. Qurʾān und Sunna bilden ein kohärentes, seither unverrücktes Normgefüge. Nur bedarf ihre Dekodierung einer Disziplin, die weit über zitierfreudiges Googeln hinausgeht: Kenntnis der arabischen Philologie, Beherrschung der Ḥadīṯ-Kritik, Vertrautheit mit Maqāṣid und Qawāʿid, Sensibilität für taḫṣīṣ, ʿāmm und ḫāṣṣ sowie ein Bewusstsein für die Dialektik von zamān wa-makān.
Ein früher Mentor veranschaulichte mir das Paradox des modernen Wissensüberflusses mit einer prägnanten Metapher: »Die Überlieferungen gleichen einem vereisten Weg – je glatter der Zugriff, desto größer die Rutschgefahr.« Tatsächlich verfügten die Gelehrten früherer Jahrhunderte über weit weniger Manuskripte, doch sie gingen mit ihnen wie mit kostbaren Juwelen um; wir dagegen haben Bibliotheken im Taschenformat, riskieren aber, auf der glänzenden Oberfläche des Datenglanzes auszurutschen.
Die Lösung liegt nicht in einer Restriktion des Zugriffs, sondern in einer Renaissance methodischer Demut. Wahre ʿUlamāʾ erkennt man nicht an der puren Datenakkumulation, sondern an der Fähigkeit, das subtile Geflecht der Scharīʿa zu differenzieren, Kontexte zu wägen und Nuancen situationsadäquat anzuwenden. Erst wenn profundes Fachwissen mit spiritueller Taqwā und intellektueller Redlichkeit verschmilzt, entsteht jenes vertrauenswürdige Lehramt, das die Umma vor den Untiefen des Halbwissens bewahrt.
Kurzum: Der digitale Tsunami ist Segen und Prüfung zugleich. Er macht die Schatzkammer unserer Tradition zugänglich, verlangt aber nach Gelehrten, die mit hermeneutischer Präzision und ethischer Integrität das Ruder führen – damit aus pluraler Stimme kein kakophonisches Stimmengewirr, sondern ein harmonischer Chor authentischer Erkenntnis wird.
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Ist das Hinterfragen von Gelehrten erlaubt?
Jeder Muslim trägt eine epistemische Treuhandpflicht: Er darf sich nicht bloß berieseln lassen, sondern muss empfangenes Wissen prüfend durch sein eigenes Erkenntnissieb filtern. ʿIlm ist ein zweischneidiges Schwert: richtig geführt erleuchtet es das Herz, falsch gehandhabt stiftet Verwirrung oder gar geistige Manipulation. Darum verlangt die Sunna geistiger Redlichkeit, dass wir Belehrungen – mögen sie auch von hochdekorierten Autoritäten stammen – methodisch hinterfragen: Welches Primär-dalīl stützt diese Aussage? Wie lautet die usūlī-Methodik dahinter? Welche wissenschaftliche Akkreditierung legt der Vortragende vor?
Ein solches inquisitives Vorgehen unterminiert die Würde der Gelehrten keineswegs; es ist vielmehr Ausdruck des hermeneutischen Adabs unserer Tradition. Denn kein ʿālim, so brillant er sei, ist unfehlbar; alle tragen ihren je eigenen sozio-kulturellen Filter. Kritische Rückfragen – gestellt mit Respekt und ohne polemische Geste – helfen, die Aussage in ihren Kontext einzubetten, implizite Voraussetzungen offenzulegen und Missverständnisse frühzeitig auszuräumen.
Somit verbindet sich der Gehorsam gegenüber qualifizierter Autorität mit der Pflicht zu taḥqīq – gründlicher Verifikation. Nur wer zuhört, analysiert und nachfragt, verwandelt Fremd-Information in eigenverantwortlich verankertes Wissen. Auf diese Weise bleibt die Umma zugleich lernfähig, selbstkritisch und vor Fehlleitungen geschützt.
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Welche Form ist korrekt: Muslime oder Moslems?
Die beschaffenheit unserer sprachlichen Artikulation – bis hin zu scheinbar mikroskopischen Nuancen der Phonetik – prägt langfristig die kollektive Wahrnehmung eines Gegenstandes und moduliert die Gefühlslagen, die ihm entgegengebracht werden. Zwar lässt sich trefflich darauf verweisen, dass sowohl „Moslem“ als auch „Muslim“ in einschlägigen Wörterbüchern verzeichnet sind; doch diese lexikografische Koexistenz erklärt nicht, weshalb sich in seriösen Publikationen und in einer aufgeklärten Fachsprache nahezu flächendeckend die Form „Muslim“ durchgesetzt hat, während „Moslem“ zusehends den Status eines diskursiven Relikts einnimmt.
Phonetisch betrachtet birgt das arabische muslim keinerlei Laute, die der hochdeutschen Artikulation fremd wären – anders als etwa das emphatische qāf im qurʾān, das die Doppelexistenz von „Koran“ und „Quran“ plausibel macht. Mithin existiert kein zwingender lautlicher Grund, von muslim auf moslem auszuweichen. Gleichwohl evoziert das in „Moslem“ inserierte Schwa‑E eine grobkörnige, beinahe verdinglichende Klangfarbe, die sich im Plural „Moslems“ noch verstärkt und unterschwellig Distanz signalisiert– ganz anders als die geschmeidigeren Pluralendungen ‑en oder ‑e bei „Christen“, „Juden“ oder „Buddhisten“.
Hinzu tritt eine nicht zu unterschätzende diskurshistorische Dimension: In antimuslimischen Tiraden, namentlich im Jargon rechts‑extremistischer und völkischer Milieus, dominiert seit jeher auffällig die Variante „Moslem“. Gewiss, Korrelation ersetzt keine Kausalität, doch die wiederholte Kontamination eines Wortes durch abwertende Kontexte hinterlässt Spuren im semantischen Gedächtnis einer Sprachgemeinschaft. Sobald ein Ausdruck in hetzerischer Propaganda repetitiv aufscheint, färbt diese Assoziationswolke unweigerlich auf seine pragmatische Aura ab – auch wenn das Lexikon ihn weiterhin als zulässig führt.
Die Entscheidung zwischen „Moslem“ und „Muslim“ ist folglich alles andere als eine belanglose Petitesse. Sie berührt die sensible Schnittstelle von Sprachästhetik, Diskursethik und sozialer Wahrnehmung. Wer sich der Verantwortung einer respektvoll‑präzisen Kommunikationskultur verpflichtet fühlt, wird daher nicht nur aus lautlicher Exaktheit, sondern ebenso im Bewusstsein der diskursiven Implikationen vorzugsweise von „Muslim“ sprechen.
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Wurde Musik im Islam mit Konsens verboten?
Mitunter wird die apodiktische These verbreitet, die Altvorderen der islamischen Rechtswissenschaft hätten in vollendeter Einstimmigkeit die Musikausübung für strikt unzulässig erklärt – ein Argument, das man unter Verweis auf den Exegeten al‑Qurṭubī zu untermauern versucht. Diese angebliche Konsensusbehauptung wurde jedoch bereits von Imām al‑Shawkānī in seiner prägnant betitelten Monographie „Widerlegung der Behauptung eines Konsenses über das absolute Musikverbot“ einer gründlichen Dekonstruktion unterzogen.
Lange vor Qurṭubī haben prominente Gelehrte die pauschale Prohibition entweder vermieden oder die Musikausübung prinzipiell als erlaubt verteidigt – so etwa Ibn Ḥazm und mehrere Autoritäten aus der Ära der Salaf beziehungsweise aus den ersten drei Jahrhunderten der Hidschra. Zu nennen ist hier Ibrāhīm b. Saʿd az‑Zuhrī († ca. 183 n. H.), Qāḍī von Bagdad und zugleich einer der vertrauenswürdigen Überlieferer im Ṣaḥīḥ‑Korpus des Imām al‑Buchārī. Nicht zuletzt bleibt Qurṭubī selbst zu erwähnen: In seinem Kommentar zu Sura 31 (Luqmān), Vers 6 hält er einen sittsam vorgetragenen Gesang – sei es zur Motivation bei schwerer Arbeit oder zur Bekräftigung der Freude an Fest‑ und Hochzeitstagen – zumindest in begrenztem Umfang für legitim.
Zweifellos hielten sich zahlreiche frühere Rechtsautoritäten in ehrfurchtsvoller Vorsicht zurück, das Prädikat ḥarām explizit auszusprechen. Um nicht versehentlich eine falsche Behauptung über die göttliche Norm zu wagen, wählten sie ausweichende Redewendungen wie „dies missfällt mir“ o. Ä. Offenkundig verlöre diese rhetorische Strategie jedoch jeden Sinn, setzte man solche Umschreibungen generell mit ḥarām gleich – ganz abgesehen von der lexikalischen Verzerrung des Arabischen. Bemerkenswert ist zudem, dass gerade jene Stimmen, die heute mit Nachdruck ein Totalverbot der Musik verkünden und sich dabei auf eben diese Argumentationslinie berufen, sich zugleich als selbsternannte Sachwalter des salafitischen Erbes inszenieren. Wenn sie aber wissen, dass die Altvorderen die inflationäre Verwendung des Schlagworts ḥarām mieden, weshalb verlassen sie ausgerechnet an dieser Stelle die Pfadspur der frühen Meister?
Damit betreten wir ein sensibles Terrain: Die Qualifizierung einer Sache als ḥalāl oder ḥarām ist im Islam unumschränktes Hoheitsrecht des Erhabenen. Wer willentlich – und ohne eindeutige, authentische Evidenz – ein Gebot oder Verbot proklamiert, rückt gefährlich in die Nähe des shirk, weil er faktisch Teilhabe an der göttlichen Gesetzgebung beansprucht. Den Diskurs vernebelt darüber hinaus ein Konglomerat drastischer, ja einschüchternder Einzelmeinungen, das jedoch niemanden beeindruckt, der methodisch gefestigt weiß, unter welchen Bedingungen ein religiöses Verdikt überhaupt valide formuliert werden darf – und unter welchen eben nicht.
Wir empfehlen: http://www.lichtwort.de/tunUndNichtTun/die-bewertung-von-musik.html
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Warum sündigen wir im Ramadan, obwohl die Satane gefesselt sind?
Der Gesandte Allahs ﷺ verkündete: „Sobald der Monat Ramadan eintritt, öffnen sich die Pforten des Paradieses, die Tore der Hölle schließen sich und die Satane werden in Fesseln gelegt.“.
Wer hier einwendet, dass in diesem geheiligten Zeitraum dennoch Verfehlungen begangen und gar Verbrechen verübt werden, verkennt mehrere zentrale Ebenen des prophetischen Wortes.
Zum einen ist es nicht allein der dämonische Jinn‑Kosmos, der den Menschen zum Laster lockt; die nafs – jenes anthropologische Zentrum triebhafter Begierde – weist laut Qurʾan (Yūsuf 12:53) eine intrinsische Neigung zum Übel auf, sofern ihr keine göttliche Gnade zuteil wird. Zum anderen behauptet der Hadith nirgends eine vollkommene, simultane Neutralisation sämtlicher Satane; bereits die Kettung der überwältigenden Mehrheit genügt, um den eschatologischen Sinn des Ausspruchs zu erfüllen.
Das Bild der „Fesselung“ schließt weder graduelle Freiheitsgrade noch eine temporale Staffelung der Bindung aus; vielmehr deutet es auf eine quantitative und qualitative Reduktion ihrer Wirkmacht hin. Eine angekettete Kreatur verliert die Weite ihrer Bewegungsfreiheit, behält jedoch – abhängig von Länge und Lockerheit der Ketten – einen Rest‑Handlungsspielraum. Einige Satane mögen, bildlich gesprochen, nur mit kürzeren Ketten belegt sein oder in späteren Nächten partiell gelockert werden, was residuale Versuchungen erklärt, ohne das Gesamtphänomen zu kompromittieren. So bleibt die Aussage kohärent: Die diabolische Aktivität ist im Ramaḍān signifikant begrenzt – eingeschränkt, aber nicht völlig paralysiert.
Gerade während des Ramadan verspüren unzählige ansonsten säumige Gläubige einen unerklärlichen Impuls, die fünf Säulen zu verinnerlichen, den Qurʾan rezitativ zu umkreisen und sich großzügig in Wohltätigkeit zu üben. Diese beobachtbare Spiritualisierung legt nahe, dass der satanische Einfluss tatsächlich radikal abgeschwächt wird, wenngleich die menschliche Freiheit – und damit das Potenzial zur Verfehlung – nie restlos suspendiert ist.
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Nahost-Spannungen
Zwischen Geschichte, Politik & Menschlichkeit
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Fördert der Westen Konflikte im Nahen Osten?
Die aktuelle geopolitische Matrix ist durchsetzt von einer Amalgamation komplexer Spannungen und Missverständnisse, die sich aus einem Geflecht historischer, kultureller und politischer Paradigmen ergeben. Speziell im Kontext des Nahost-Konflikts wird ersichtlich, dass die Handlungsmotivationen einiger militanter Gruppen innerhalb der muslimischen Gemeinschaften nicht primär oder ausschließlich von religiösen Divergenzen ausgelöst sind. Vielmehr sind es weitreichende politische und historische Ressentiments gegenüber dem Westen, die als Treiber für deren Aktionen fungieren.
Diese Ressentiments haben ihre Wurzeln in der Geschichte und datieren zurück bis zu den Kreuzzügen, die von bestimmten Kreisen als die initiale bedeutende Auseinandersetzung zwischen der islamischen und der westlichen Zivilisation rezipiert werden. Obwohl viele westliche Historiographien die Kreuzzüge als religiöse Expansionsbestrebungen darstellen, interpretieren diverse Gruppierungen sie als den Beginn einer prolongierten Phase westlicher Einmischung und Dominanz. Diese Perzeption hat sich über die Jahrhunderte kontinuierlich weiterentwickelt und befestigt sich heute in verschiedenartigen Formen des Widerstandes und der Opposition.
Die Kolonialära, während der westliche Mächte umfangreiche Territorien der islamischen Welt dominierten, zusammen mit den nachfolgenden politischen Turbulenzen und Konflikten im Nahen Osten, haben diese Antagonismen weiter geschärft. Die Etablierung des Staates Israel, die korrespondierenden Vertreibungen der Palästinenser und die anhaltende Besatzung illustrieren exemplarisch Vorfälle, die das Misstrauen und die Feindseligkeiten gegenüber dem Westen und seinen Alliierten weiter befeuert haben.
Mit dem Aufstieg westlicher Mächte und deren expansiven kolonialen Bestrebungen in der islamischen Welt während des 19. und 20. Jahrhunderts kamen neue Impulse für Missverständnisse und Feindseligkeiten hinzu. Die forcierte Verwestlichung, die von diversen muslimischen Gruppierungen als ein Überstülpen fremder kultureller und religiöser Normen wahrgenommen wird, gilt oft als Emblem des neoimperialistischen Eifers.
Vor diesem historischen Kontext begegnen zahlreiche Akteure in der muslimischen Welt den säkularisierten westlichen Gesellschaften mit ausgeprägter Skepsis. Die Fokussierung auf Materialismus sowie die scheinbare Distanzierung von fest verwurzelten religiösen und ethischen Prinzipien werden als Indizien für einen moralischen Niedergang interpretiert. Diese Perzeption wird durch spezifische politische Entwicklungen und militärische Eingriffe weiter intensiviert, die von manchen Beobachtern als manifeste Belege einer westlichen Hegemonialstrategie angesehen werden, welche die eigenen geopolitischen und ökonomischen Interessen über die legitimen Anliegen und kulturellen Werte der Region stellt.
Während der Westen seine Aktionen oft als Ausdruck von Fortschritt und Entwicklung präsentiert, interpretieren einige Gruppen diese Bemühungen als hauptsächlich von ökonomischen Interessen getrieben, die ohne Rücksicht auf ethische Überlegungen oder lokale Sensibilitäten verfolgt werden. Beispielsweise könnten westliche Bemühungen um den Zugang zu Ölressourcen oder die Unterstützung von Regierungen, die als unterdrückend empfunden werden, das Misstrauen verstärken.
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Eskaliert Israels Vorgehen den Nahost-Konflikt?
Im Nachgang zum Militärschlag der Hamas gegen Israel am 7. Oktober 2023, hat die israelische Regierung ihre militärische Antwort neu kalibriert. Diese Neuorientierung umfasste nicht nur die Bekämpfung und Zerstörung der Hamas im Gazastreifen, sondern auch die Expansion der Zielsetzungen auf andere regionale Akteure, insbesondere die Hezbollah, bekannt als „Partei Gottes”, im Südlibanon sowie den Iran, der als eng verbündeter strategischer Partner der Hezbollah gilt. Aus der Perspektive Teherans wird die Hezbollah als wichtige präventive Verteidigungsmaßnahme gegen eventuelle Aggressionen seitens westlicher Staaten, insbesondere der USA und Israels, angesehen. Diese Doktrin der Vorwärtsverteidigung gründet in einer tiefen, historisch bedingten Besorgnis, die durch den nachfolgenden, von externen Interventionen beeinflussten Iran-Irak-Krieg (1980–1988) weiter verstärkt wurde.
Die persistente Sorge Teherans, die ihren Ursprung in den dynamischen Umwälzungen der Islamischen Revolution von 1979 findet, ist weit in den geopolitischen Verwerfungen der Region verankert. Im darauffolgenden Jahr lancierte Saddam Hussein vom irakischen Territorium aus eine Aggression gegen den Iran, was zu einem protracted conflict führte. Dieser acht Jahre währende Krieg, der mit einem Friedensvertrag endete, resultierte in über einer Million Todesopfern und wurde durch Waffenlieferungen seitens westlicher Nationen intensiviert und verlängert. Diese traumatischen Ereignisse konsolidierten im iranischen Sicherheitsdiskurs die Unabdingbarkeit einer antizipatorischen Verteidigungsstrategie mittels pro-schiitischer Milizen. Die Hezbollah, kristallisierte sich als primäres Vehikel dieser Strategie heraus, gegründet in den 1980er Jahren als direkte Reaktion auf die repressive israelische Okkupation des Süd-Libanons.
Im Jahr 1982 marschierten die israelischen Streitkräfte unter der Führung des damaligen Verteidigungsministers Ariel Sharon in den Libanon ein, mit der primären Zielsetzung, die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) aus dem Land zu vertreiben. Dieses militärische Unterfangen war insofern erfolgreich, als dass Yasser Arafat ins Exil nach Tunis gezwungen wurde. Jedoch führte die Härte und Brutalität der israelischen Besatzungspolitik zu einem massiven schiitischen Widerstand. Die Schiiten, die die größte Bevölkerungsgruppe im Iran stellen, sind besonders in den südlichen und östlichen Regionen Libanons, insbesondere in Baalbek, beheimatet – genau jene Gebiete, die heute besonders stark unter Bombardements leiden.
Der schiitische Widerstand kristallisierte sich in der Formierung der Hezbollah, die in den 1980er Jahren als direkte Antwort auf die israelische Okkupation des Südlibanons gegründet wurde und durch anhaltenden Guerillakrieg Israel schließlich zum Rückzug im Jahr 2000 zwang. Heute beobachten wir möglicherweise eine Wiederholung dieses geschichtlichen Musters, da israelische Streitkräfte erneut Operationen gegen die Hezbollah und, im weiteren Sinne, gegen den Einflussbereich des Iran im Libanon durchführen.
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Trägt Israels Politik zur Stärkung der Hezbollah bei?
Die Hezbollah zeigt sich gegenwärtig geschwächt nach der Liquidierung ihres Vorsitzenden Hassan Nasrallah am 27. September. 2024. Trotz der vorherrschenden Meinung zahlreicher Analysten in der deutschen politischen und medialen Landschaft, die die Organisation als substantiell geschwächt betrachten, bleibt sie fest in der libanesischen Gesellschaft und insbesondere innerhalb der schiitischen Gemeinde bestehen, sowohl im Libanon als auch transnational. Dies führt dazu, dass der Widerstand, wie er sich selbst definiert, keinen Mangel an rekrutierbaren Freiwilligen verzeichnen wird, die bereit sind, einer potenziellen israelischen Okkupation und der damit einhergehenden Destruktion ihres Territoriums entgegenzutreten.
Wissen müssen wir auch, dass die Hezbollah seit dem 8. Oktober des vorherigen Jahres fortlaufend Offensiven gegen Nordisrael initiiert hat, als Reaktion auf die israelischen Militäroperationen im Gaza-Streifen, die bereits zehntausende Opfer gefordert haben. Diese Aktionen werden oft als Solidaritätsbekundungen interpretiert, wenngleich sie mit einer ironischen Konnotation versehen sind. Als unmittelbare Folge dieser Konflikteskalation sahen sich 60.000 Israelis gezwungen, den Norden Israels zu verlassen, während etwa 10.000 Libanesen bereits vor dem aktuellen Konflikt gen Norden geflohen sind. Das explizite Ziel der israelischen Regierung ist es, die Rückführung dieser Vertriebenen in den Norden Israels zu facilitieren.
Das Risikopotential ist beträchtlich, jedoch agieren die Entscheidungsträger in Teheran mit ausgeprägter strategischer Sorgfalt. Ihnen ist vollends bewusst, dass die israelische Administration auf einen provokativen Akt, wie den Abschuss einer Rakete durch die Hezbollah auf ein ziviles Hochhaus in Tel Aviv, wartet, der aus israelischer Sicht als Casus Belli fungieren könnte. Ein solcher Vorfall würde Israel dazu veranlassen, unter der protektiven Ägide der Vereinigten Staaten, die ihre militärische Unterstützung Israels offen bekunden, eine Intervention im Libanon zu initiieren. Dieses präzise Szenario strebt Benjamin Netanyahu an, mit dem expliziten Ziel, einen umfassenden Konflikt mit dem Iran zu entfachen, wohl wissend, dass eine derartige Auseinandersetzung die Unterstützung der USA erfordert.
Die Haltung der Vereinigten Staaten zeigt sich in dieser Angelegenheit als zwiespältig. Auf der einen Seite artikulieren sie wiederholt ihre Präferenz für eine diplomatische Konfliktlösung, eine Position, die bereits im Kontext des Gaza-Konflikts sichtbar wurde. Auf der anderen Seite beliefern sie Israel kontinuierlich mit den militärischen Ressourcen, die für Operationen gegen regionale Adversäre notwendig sind.
Während der von den USA, Ägypten und Katar moderierten Verhandlungen verkündeten sowohl die Hezbollah als auch die schiitische Houthi-Miliz aus dem Jemen unmissverständlich, dass sie ihren Beschuss Israels einstellen würden, sobald ein Waffenstillstand im Gazastreifen erreicht sei. Diese Verhandlungen um einen Waffenstillstand erstreckten sich über mehrere Monate, jedoch ließ die israelische Regierung unter Netanyahu diese Bemühungen systematisch ins Leere laufen. Ein Waffenstillstand im Gazastreifen könnte die gesamte Konfliktsituation entschärfen, doch zeigt sich die israelische Seite hierzu nicht bereit.
Offiziell proklamiert man den Kampf gegen den Terrorismus, jedoch überlagern geostrategische Erwägungen die öffentliche Rhetorik. Entgegen der weit verbreiteten Darstellung in westlichen Medien, die Organisationen wie die Hezbollah und die Hamas regelmäßig als Terrororganisationen klassifizieren, ist es unabdingbar zu erkennen, dass beide in den sozio-politischen Strukturen ihrer Gesellschaften verwurzelt sind. Sie definieren sich selbst als Widerstandsbewegungen gegen die israelische Besatzungspolitik. Die Gründung der Hezbollah wurde 1982 als direkte Reaktion auf die militärische Okkupation des Libanon initiiert, während die Hamas 1987 während der ersten Intifada entstand, ebenfalls als Antwort auf Unterdrückungsmaßnahmen.
Wir geben hier zu erkennen, dass Israels eigene Politik paradoxerweise zur Konsolidierung dieser Gruppierungen beigetragen hat, welche es dann mit Vehemenz zu neutralisieren versucht. Traditionell verzichten aufeinanderfolgende israelische Regierungen auf die Exploration politischer Lösungen für den zugrundeliegenden Konflikt, die unaufgelöste Palästinafrage. Die Schaffung eines palästinensischen Staates erscheint als entscheidende Voraussetzung für die Stabilisierung der Region. Die herrschenden ultrarechten Fraktionen in Israel, die die politische Landschaft seit mindestens drei Jahrzehnten dominieren, streben jedoch keinen Kompromiss mit den Palästinensern an. Ihr Ziel ist es, das biblisch verheißene Eretz Israel exklusiv für die jüdische Bevölkerung zu reservieren. Dies impliziert idealerweise die Deportation der Palästinenser, um deren demografischen Einfluss erheblich zu reduzieren.
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Besteht eine unmittelbare Gefahr für Deutschland?
Israel hat in den vergangenen Monaten durch wiederholte Provokationen sowohl die Hezbollah als auch den Iran in eine Position geopolitischer Spannung manövriert, die nach den etablierten Normen strategischer Reaktionslogik eigentlich eine Antwort erfordert. Aus einer geopolitischen Perspektive gesehen, wäre das Ausbleiben einer Reaktion mit dem Risiko verbunden, die eigene Position und Glaubwürdigkeit auf internationaler Bühne zu unterminieren. Der Iran hat mehrfach Vergeltungsmaßnahmen angedeutet, blieb jedoch bislang vorsichtig und zurückhaltend. Diese Zurückhaltung ist keineswegs als Schwäche zu interpretieren, sondern als Ausdruck strategischen Kalküls. Die iranische Führung versteht, dass eine militärische Eskalation das Potenzial birgt, einen großflächigen Krieg zu entfachen, bei dem die USA mit Sicherheit involviert wären.
Dennoch gibt es in der Geschichte oft Wendepunkte, an denen der Point of No Return überschritten wird und eine Eskalation unausweichlich erscheint. Es besteht ferner die Möglichkeit, dass durch eine falsche Entscheidung zur falschen Zeit oder durch unvorhersehbare Ereignisse, etwa durch eine impulsive Reaktion eines Entscheidungsträgers, eine Kettenreaktion ausgelöst wird. In einem solchen Szenario sind die weiteren Entwicklungen unvorhersehbar und die geopolitischen Implikationen könnten weitreichend und destabilisierend sein.
Die Brisanz dieser Konstellation ergibt sich aus der Tatsache, dass es sich keineswegs um einen rein regional begrenzten Konflikt handelt, sondern um eine geopolitische Krise mit potenziell globalen Auswirkungen. Diese Dimension muss stets im Blick behalten werden. Während es als selbstverständlich gilt, dass die Vereinigten Staaten, die Europäische Union und insbesondere Deutschland im Falle einer Eskalation uneingeschränkt auf der Seite Israels stehen werden, stellt sich die Frage: Wer wird den Iran unterstützen? Die Antwort ist klar: Russland und China. Beide Großmächte unterhalten enge strategische und wirtschaftliche Beziehungen zum Iran und wären aus geopolitischen Erwägungen keinesfalls bereit, den Iran seinem Schicksal zu überlassen. Die geostrategische Bedeutung des Irans für Russland und China, insbesondere im Kontext des Nahen Ostens, wird von vielen westlichen Beobachtern oft unterschätzt.
Ein zweiter, ebenso gravierender Aspekt, den man berücksichtigen muss, ist die potenzielle Destabilisierung der globalen Energieversorgung im Falle eines groß angelegten militärischen Konflikts – ein Szenario, das wir alle zu vermeiden hoffen. Eine Unterbrechung der maritimen Handelswege für Erdöl und verflüssigtes Erdgas (LNG) würde unvermeidlich zu erheblichen Verwerfungen auf den globalen Energiemärkten führen. Die Konsequenzen wären drastisch: Der Transport dieser essenziellen Ressourcen aus dem Nahen Osten würde entweder stark eingeschränkt oder gänzlich zum Erliegen kommen, was eine drastische Preisexplosion zur Folge hätte. Besonders Deutschland, das stark auf amerikanisches LNG angewiesen ist, stünde vor einer schweren Energiekrise. Die ohnehin schon fragile Energieinfrastruktur Deutschlands, die sich auf LNG-Importe stützt, wäre durch eine solche Eskalation extrem vulnerabel und würde in ihrer Stabilität erheblich erschüttert.
Im Falle einer weiteren Eskalation im Nahen Osten wäre es nahezu sicher, dass die Vereinigten Staaten ihre Energieexporte nach Deutschland und Europa drastisch drosseln würden, um primär den eigenen Binnenmarkt zu stabilisieren und die nationale Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Diese strategischen Überlegungen, die in der deutschen politischen Diskussion oftmals vernachlässigt werden, sind jedoch maßgeblich.
Deutschland verfügt kaum über alternative Versorgungsquellen und die politische Distanzierung von Russland hat jegliche direkten Energieimporte von dort de facto unterbunden. Zwar fließen weiterhin russische Energieressourcen, jedoch über verschlungene Handelswege und zu erheblich gestiegenen Kosten. Dies bedeutet, dass die Versorgungslage in Deutschland zunehmend prekär wird. Die Annahme, dass eine uneingeschränkte Solidarität mit Israel zwangsläufig zu einer langfristig stabilen politischen und wirtschaftlichen Ordnung führen wird, ist daher eine Fehlkalkulation. Eine solche geopolitische Positionierung könnte für Deutschland und die Europäische Union dramatische wirtschaftliche Verwerfungen nach sich ziehen.
Von besonderer Gefahr wäre zudem eine mögliche geopolitische Verknüpfung auf einer übergeordneten Metaebene, bei der die identifizierten Feinde – aus westlicher Sicht – dieselben sind: Russland und China. Eine strategische Allianz dieser Akteure würde nicht nur die bestehende Lage im Nahen Osten weiter eskalieren lassen, sondern auch die Sicherheitsarchitektur und die wirtschaftlichen Interessen Europas massiv unterminieren
Die gegenwärtige Eskalationsstrategie unter der Führung von Premierminister Benjamin Netanyahu scheint darauf abzuzielen, die gesamte Region in einen umfassenden Flächenbrand zu stürzen, ohne Rücksicht auf die langfristigen geopolitischen und humanitären Konsequenzen. Ob und wie sich die Lage im Libanon weiter zuspitzt und welche Schritte der Iran in den kommenden Stunden, Tagen oder Wochen ergreifen wird, ist derzeit schwer abzuschätzen. Die geopolitische Volatilität dieser Situation und die damit einhergehenden Risiken sind jedoch unbestreitbar besorgniserregend und könnten schwerwiegende Auswirkungen auf die gesamte Region und darüber hinaus haben.
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Herrscht ein Denk- und Meinungsverbot bezüglich Israel?
Es erscheint zunehmend offensichtlich, dass das Ziel Israels nicht allein in der Abwehr terroristischer Bedrohungen besteht, sondern – wie bereits angedeutet – in der sukzessiven Erweiterung seines territorialen Einflusses auf das gesamte historische Palästina. Dies soll idealerweise ohne die dort ansässige palästinensische Bevölkerung erfolgen, die durch systematische Vertreibungen, Unterdrückung und in zahlreichen Fällen auch durch Gewaltanwendung zum Verlassen des Landes gezwungen werden soll.
Diese Politik hat, aus der Sicht vieler Staaten und internationaler Beobachter, längst genozidale Dimensionen angenommen. Dennoch wird dieses Vorgehen in der deutschen politischen Debatte kaum thematisiert oder kritisch hinterfragt. Stattdessen wird primär das Leid der israelischen Opfer des Angriffs vom 7. Oktober in den Vordergrund gestellt – was nicht bedeutet, dass das individuelle Leid dieser Menschen nicht zu bedauern ist. Dennoch darf man nicht einseitig die Opfer einer Seite betrauern, während die palästinensischen Verluste und die brutalen Maßnahmen der israelischen Regierung weitgehend ignoriert oder bagatellisiert werden.
Das Risiko intellektueller Einschränkungen prägt die Auseinandersetzung mit dieser geopolitischen Region, insbesondere bei dem Vorhaben, ein sachliches Werk über diesen Themenkomplex zu verfassen. In Deutschland begegnet man rasch bestimmten intellektuellen Tabus, die eng mit der sogenannten Staatsräson verwoben sind. Diese wiederum ist in einer Erinnerungskultur verankert, die Auschwitz als zentralen historischen Bezugspunkt heranzieht.
Diese narrative Ausrichtung führt dazu, dass aus den Lehren der deutschen Geschichte eine unbedingte und bedingungslose Solidarität mit Israel abgeleitet wird. Obwohl gegen diese Haltung zunächst keine Einwände erhoben werden können, muss gefragt werden, auf welches Israel sich diese Unterstützung konkret bezieht. Bezieht sie sich auf das Israel vor dem Sechstagekrieg von 1967 oder auf das nach dem Krieg erstarkte „Groß-Israel”, das ambitioniert das Westjordanland, den Gazastreifen und Ost-Jerusalem vollständig integrieren will – ein Unterfangen, das teilweise bereits realisiert wurde?
In der deutschen Diskurslandschaft kann das Äußern bestimmter unpopulärer Wahrheiten schnell zu gesellschaftlicher Unbeliebtheit führen. Dies wird besonders bei Veranstaltungen zur Unterstützung Palästinas sichtbar, die ihre Solidarität zum Ausdruck bringen und sich dabei erheblichem öffentlichen und medialen Druck ausgesetzt sehen. Die Neigung, Kritik an der israelischen Staatspolitik umgehend als Antisemitismus zu klassifizieren, zeigt die vorherrschende Sensitivität und die potenten Implikationen dieses Labels in Deutschland. Einmal als valide akzeptiert, kann dieser Vorwurf verheerende Auswirkungen auf die beruflichen Werdegänge der betreffenden Akteure haben, was die Diskursfreiheit unterminiert und eine reflexhafte Selbstzensur innerhalb der akademischen und öffentlichen Sphäre fördert.
In Deutschland wird die Meinungsfreiheit zwar grundsätzlich hochgehalten, dennoch sind bei ihrer Ausübung gravierende Reaktionen nicht ungewöhnlich, wie der Umgang von staatlichen Behörden und der Justiz mit Demonstrationen zur Unterstützung Palästinas ergeben. Beispielsweise stellt das Skandieren der Parole „From the river to the sea, Palestine will be free” während einer Demonstration eine strafbare Handlung dar, die zu rechtlichen Konsequenzen führen kann.
Die Ironie dieser Situation liegt darin, dass dieselbe Parole, interpretiert als Vernichtungsdrohung gegen Israel, paradoxerweise den staatlichen Narrativen Israels entspricht, in denen das Territorium vom Mittelmeer bis zum Jordanfluss als einheitliches israelisches Land beansprucht wird. Trotz dieser Analogie käme niemand innerhalb der deutschen Regierung auf die Idee, gegen israelische Institutionen oder Einzelpersonen aufgrund dieser territorialen Ansprüche rechtliche Schritte einzuleiten.
Es offenbart sich eine Paradoxie aus der deutschen geschichtlichen Verantwortung, die eine bedingungslose Solidarität mit Israel postuliert, unabhängig von den jeweiligen politischen Führungen, die dort am Machthebel sitzen. Insbesondere die Amtsführung von Benjamin Netanyahu, der dem ultrarechten Spektrum zuzuordnen ist und eine Politik verfolgt, die mit kontroversen Äußerungen gegenüber den Palästinensern einhergeht, wird in der deutschen Öffentlichkeit weitgehend ignoriert. Diese Ignoranz erstreckt sich auch auf die systematische Gewaltanwendung im Gazastreifen, die in der medialen Darstellung kaum kritische Beachtung findet.
Darüber hinaus ist die israelische Militärstrategie in den besetzten Gebieten, inklusive des Libanon, vornehmlich darauf ausgerichtet, essenzielle Infrastrukturen zu dezimieren, was die gezielte Zerstörung von Krankenhäusern, die Beeinträchtigung der Wasser- und Energieversorgung sowie die Blockade der Nahrungsmittelzufuhr umfasst. Diese Informationen sind zugänglich für jene, die sich informieren möchten, jedoch werden sie selten in den Vordergrund medialer Berichterstattung gerückt.
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Fehlt es arabischen Staaten an Engagement für Frieden?
Es hat im Laufe der Jahre verschiedene Friedensinitiativen seitens arabischer und islamischer Staaten gegeben. Die historische Analyse Israels seit seiner Gründung im Jahr 1948, gestützt auf entsprechende Quellen, verdeutlicht, dass trotz wiederholter Versuche dieser Staaten, diplomatische Beziehungen zu Israel aufzunehmen, von israelischer Seite wenig Bereitschaft bestand, sich auf solche Verhandlungen einzulassen. David Ben-Gurion hatte frühzeitig erkannt, dass eine Annäherung unweigerlich Kompromisse, einschließlich der Rücknahme eines Teils der palästinensischen Geflüchteten und die Bereitstellung eines Territoriums für diese, erfordern würde – ein Zugeständnis, das Israel nicht zu machen bereit war.
Erst kürzlich, während einer Versammlung der Vereinten Nationen in New York, bekräftigten die Staatsoberhäupter der 57 Mitgliedsstaaten der Organisation Islamischer Kooperation erneut ihren Standpunkt. Sie erklärten unmissverständlich ihre Bereitschaft, Israel innerhalb der Grenzen vom 4. Juni 1967 umfassend anzuerkennen. Sie signalisierten ihre Offenheit für Friedensverträge und eine Koexistenz mit Israel, unter der Bedingung, dass Israel seine militärischen Operationen einstellt und die Gründung eines palästinensischen Staates ermöglicht.
Die Staaten der arabischen Welt zeigen sich historisch geschwächt und in vielen Aspekten konformistisch, mehrheitlich ausgerichtet an pro-amerikanischen Interessen. Diejenigen Führer, die diese Ausrichtung nicht teilten—beispielsweise Gaddafi in Libyen und Saddam Hussein im Irak—sind mittlerweile nicht mehr im Amt, was kaum als zufällig betrachtet werden kann. Versuche, Baschar al-Assad in Syrien zu stürzen, waren nicht erfolgreich, was die prekäre Lage der nicht pro-amerikanischen Regierungen in der Region verdeutlicht.
Diese Regime sind sich der Risiken ihrer geopolitischen Positionierung bewusst und haben daher oft strategische Verbindungen mit den Vereinigten Staaten und zunehmend auch mit Israel gesucht. Dies wurde insbesondere deutlich im Kontext der Abrahamsabkommen unter der Ägide von Präsident Trump, durch die Staaten wie Marokko, Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate diplomatische Beziehungen zu Israel aufnahmen. Saudi-Arabien jedoch steht noch abseits dieser Entwicklungen. Obwohl das Königreich die engen Beziehungen zu den USA schätzt und wahrscheinlich ebenfalls eine Normalisierung mit Israel anstreben würde, verhindert das anhaltende Leid im Gazastreifen derzeit einen solchen Schritt. In dieser geopolitischen Konstellation muss also eine Art politische Balance mit Vorsicht gewahrt werden.
Die arabischen Staaten zeigten jenseits rhetorischer Bekundungen selten eine echte Bereitschaft, sich in bewaffneten Konflikten mit Israel zu messen, wohl wissend, dass sie in einer solchen Auseinandersetzung unterlegen wären. Diese Erkenntnis wurde durch die Erfahrungen der Kriege von 1967 und 1973 nachhaltig bestätigt, eine Wiederholung solcher Niederlagen ist für sie undenkbar.
Das eigentliche Problem liegt daher nicht in einem mangelnden Friedenswillen der arabischen Staaten, sondern vielmehr in der fehlenden Bereitschaft Israels, ernsthaft Frieden zu schließen, das heißt, einen souveränen palästinensischen Staat anzuerkennen. Seit der Ermordung des Premierministers Yitzhak Rabin im Jahr 1995 hat die israelische Gesellschaft eine bedeutende politische Rechtsverschiebung erfahren, wodurch die Möglichkeit eines Konsenses innerhalb Israels für die Gründung eines palästinensischen Staates zunehmend unwahrscheinlich erscheint.
Diese innenpolitische Entwicklung Israels tendiert immer stärker zu einer spartanischen Staatsform, charakterisiert durch eine hochgerüstete, militarisierende Gesellschaft. Diese Entwicklung beinhaltet auch eine schrittweise Erosion der Meinungsfreiheit, da aus der Perspektive der aktuellen Machthaber nicht nur die Palästinenser als Herausforderung betrachtet werden, sondern auch jene, die der Regierungspolitik kritisch gegenüberstehen.
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Ist Israel demokratisch?
Israel wird gemeinhin als Demokratie klassifiziert ... Es existiert eine Minderheit israelischer Staatsbürger — etwa 10 Prozent — die nicht jüdisch sind, sondern Palästinenser, die den Vertreibungen der Jahre 1948 oder 1967 entgangen sind. Diese Bürgergruppe erfährt eine institutionalisierte Form der Diskriminierung, indem sie nur eingeschränkte Bürgerrechte genießt. Noch drastischer stellt sich die Lage der Palästinenser in den besetzten Gebieten dar, die gänzlich rechtlos sind.
Diese Situation wirft fundamentale Fragen über die Natur der Demokratie auf: Eine authentische Demokratie kann nicht auf ethnischen Prämissen gründen, die demokratische Freiheiten ausschließlich Mitgliedern einer spezifischen Gruppe vorbehalten, während sie andere aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit marginalisiert. Ein solches Verständnis, das systematisch zwischen den Privilegien verschiedener Bevölkerungsgruppen differenziert, widerspricht dem demokratischen Ideal universeller Gleichberechtigung. Doch genau dieses Prinzip der differenzierten Privilegienvergabe dominiert das rechtliche Paradigma in Israel.
Israel versteht sich als eine Demokratie, die primär den jüdischen Bürgern zugutekommt. Nicht zu vergessen sind die anhaltenden Demonstrationen, die vor dem 7. Oktober 2023 stattfanden, insbesondere gegen Premierminister Netanyahu. Dieser versuchte, den Einfluss der Judikative zurückzudrängen, um die Meinungsfreiheit zu beschneiden und die Amtszeit eines israelischen Premierministers potenziell unbegrenzt zu verlängern – ein Vorgehen, das Parallelen zu autoritären Regimen wie Russland aufweist. Ziel war es aus Netanyahus Perspektive, sowohl die innenpolitischen Gegner zu neutralisieren als auch sich selbst vor juristischer Verfolgung zu schützen. Diese politischen Manöver lösten monatelange Proteste von hunderttausenden Israelis aus.
Interessant ist dabei, dass Israel keine Verfassung besitzt. Ein zentraler Grund hierfür ist, dass eine Verfassung die Festlegung nationaler Grenzen erfordert, was Israel bislang vermied. Das Zitat von David Ben-Gurion zur Staatsgründung unterstreicht diesen Aspekt. In Ermangelung einer Verfassung sind die Gerichte die primären Garanten der Rechtsstaatlichkeit. Die Schwächung dieser Institution könnte letztlich eine Form der Alleinherrschaft begünstigen, was die demokratische Verfasstheit Israels grundlegend infrage stellt.
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Gefährdet Deutschland seine moralische Autorität?
Deutschland demonstriert eine uneingeschränkte und bedingungslose Solidarität mit Israel, wobei jegliche Handlungen des Landes, unabhängig von ihrer moralischen Bewertung, nicht infrage gestellt werden. Diese Haltung wurde besonders deutlich, als Deutschland im Dezember 2023 als einzige Nation weltweit als Drittpartei Israel im Kontext der von Südafrika gegen Israel eingereichten Völkermordklage unterstützte. Diese Entscheidung, die selbst von den Vereinigten Staaten nicht geteilt wurde, zog eine Anklage Nicaraguas nach sich, die Deutschland der Beihilfe zum Völkermord beschuldigte – ein juristisches Verfahren, das seine Schatten vorauswirft.
Die Ironie dieser Situation ist nicht zu übersehen: Deutschland, das sich durch die intensive Auseinandersetzung mit dem Holocaust moralisch neu positioniert hat, steht nun vor dem Internationalen Gerichtshof unter dem Verdacht, zumindest indirekt einen weiteren Genozid unterstützt zu haben. Sollte die Bundesrepublik tatsächlich in ihrer Rolle zur Rechenschaft gezogen werden, würde dies nicht nur eine beschämende Offenlegung darstellen, sondern auch die moralische Autorität Deutschlands grundlegend infrage stellen. Ein solches Urteil würde die moralischen Fundamente der Berliner Republik erschüttern und könnte Deutschland in der internationalen Gemeinschaft als einen Staat darstellen, dem die Legitimität abgesprochen wird, anderen Nationen moralische oder ethische Standards vorzugeben.
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Warum dominiert das pro-israelische Narrativ?
Was Deutschland betrifft, so haben wir bereits auf die besondere Sensibilität der Politik und Medien hinsichtlich der jüngeren deutschen Vergangenheit hingewiesen. Diese historische Bürde führt dazu, dass politische und mediale Akteure hierzulande eine ausgeprägte Empfänglichkeit für israelische Interessen zeigen. In diesem Zusammenhang zitieren wir Susan Neiman, die Direktorin des Einstein-Forums in Deutschland, die sinngemäß bemerkt, dass viele Deutsche glauben, sich automatisch auf der politisch korrekten Seite zu befinden, wenn sie sich mit nahezu jeder Position Israels identifizieren.
Neiman weist ferner darauf hin, dass die deutsche Einordnung der Ereignisse im Nahen Osten maßgeblich auf die Narrative zweier Institutionen gestützt wird: Der israelischen Botschaft und dem Zentralrat der Juden in Deutschland. Letzterer wird von ihr als eine der konservativsten jüdischen Organisationen weltweit charakterisiert. Dieses enge Beziehungsgeflecht führt zu einer eingeschränkten Perspektive, die, wie Neiman anmerkt, oft in einem Tunnelblick mündet. Infolgedessen wird nahezu jedes Vorgehen Israels als Akt legitimer Selbstverteidigung wahrgenommen – eine Einordnung, die in vielen Fällen einer differenzierten Betrachtung nicht standhält.
Die militärische Aggression anderer Staaten, wie etwa Russlands Invasion in der Ukraine, fällt gemeinhin nicht unter den Begriff der legitimen Selbstverteidigung. Im Falle Israels jedoch wird dieser Begriff häufig anders ausgelegt. Besonders in den Vereinigten Staaten spielen mächtige Lobbygruppen wie AIPAC sowie die christlich-evangelikale Bewegung eine entscheidende Rolle. Letztere stellt eine fundamentale Machtbasis der Republikanischen Partei dar und beeinflusst maßgeblich die außenpolitische Ausrichtung der USA.
In diesem politischen Gefüge gelingt es der israelischen Regierung wiederholt, ihre Positionen mit bemerkenswertem Nachdruck zu artikulieren und auf internationaler Ebene durchzusetzen. Eine Ausnahme bildete die Präsidentschaft Barack Obamas, der als einer der letzten US-Präsidenten ernsthafte Versuche unternahm, Israel zu einer Begrenzung seiner Handlungsspielräume zu bewegen und den Prozess zur Schaffung eines palästinensischen Staates voranzutreiben. Benjamin Netanjahu jedoch verstand es meisterhaft, den amerikanischen Kongress gegen Obama zu mobilisieren – eine politische Leistung, die das Ausmaß und die Wirkmacht der transnationalen Netzwerke veranschaulicht, welche die israelische Position in der amerikanischen Politik unterstützen und fördern.
AIPAC verfügt über erhebliche finanzielle Mittel und spielt eine zentrale Rolle in der Unterstützung kostspieliger Wahlkampagnen in den Vereinigten Staaten. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Millionenbeträge in die politischen Kampagnen fließen, insbesondere wenn ein Kandidat sich durch israelkritische Positionen hervorgetan hat. In solchen Fällen ist es wiederholt vorgekommen, dass AIPAC einen konkurrierenden Kandidaten aufstellte, der großzügig finanziell unterstützt wurde, um den israelkritischen Politiker aus dem Rennen zu drängen. Dabei spielte es keine Rolle, ob der neu aufgestellte Kandidat über die notwendigen Qualifikationen verfügte – entscheidend war lediglich seine unbedingte Loyalität gegenüber Israel.
Das Prinzip „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing” findet hier deutliche Anwendung: Die Politiker, die durch diese finanzielle Unterstützung ins Amt gelangen, stimmen im Kongress selbstverständlich nicht gegen israelische Interessen. AIPAC hat sich zum Ziel gesetzt, das israelische Narrativ, insbesondere in der westlichen Welt, nachhaltig zu etablieren. Dies zeigt sich auch in den Bemühungen, Al-Jazeera, den größten medienpolitischen Kontrahenten, zu verdrängen. In Israel wurden bereits mehrere TV-Sender zensiert und geschlossen, was die Entschlossenheit zur Kontrolle der Berichterstattung in der Region verdeutlicht.
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Warum ist die Solidarität weltweit gespalten?
Bei der Beobachtung des aktuellen Diskurses in den sozialen Medien lässt sich feststellen, dass die Darstellung palästinensischer Perspektiven zunehmend Dominanz erlangt. Seit Beginn des letzten Konflikts hat die intensive militärische Operation Israels im Gazastreifen an Sichtbarkeit gewonnen, ein Umstand, der angesichts der schweren humanitären Folgen – über 40.000 Todesopfer und die Vertreibung hunderttausender Menschen – kaum zu ignorieren ist. Angesichts dieser Entwicklungen muss in Erwägung gezogen werden, ob Israel in der Auseinandersetzung um die öffentliche Meinung, oft als PR-Krieg bezeichnet, an Boden verliert.
Die Perzeption des israelisch-palästinensischen Konflikts variiert erheblich, abhängig von der geographischen und kulturellen Verortung des Betrachters. Während im globalen Süden eine deutliche Sympathie für die palästinensische Seite besteht, präsentiert sich das Meinungsbild in westlichen Ländern, darunter Deutschland, als weitaus nuancierter. Die vorherrschende unbedingte Solidarität mit Israel, verwurzelt in der nationalen Staatsräson und der spezifischen Erinnerungskultur, erscheint mehrheitlich als ein Konstrukt der politischen und medialen Elite. Diese Haltung wird zwar energisch vertreten, spiegelt aber nicht zwangsläufig die Ansichten der allgemeinen Bevölkerung wider. Besonders die jüngeren Altersgruppen, die 20- bis 30-Jährigen, zeigen sich zunehmend skeptisch gegenüber der fortwährenden Verpflichtung, historische Schuld fortzutragen und formen zunehmend ein autarkes politisches Selbstverständnis.
Die manifeste Unsicherheit der politischen Führungsriege in Bezug auf pro-palästinensische Demonstrationen ist in urbanen Zentren wie Berlin augenscheinlich. Der Umgang mit solchen Kundgebungen offenbart deutlich die zugrunde liegende Nervosität. Illustrativ hierfür ist das Ereignis im April, als ein vorgesehener Palästina-Kongress in Berlin durch das explizite Verbot der Innenministerin Nancy Faeser abgesagt wurde. Ein besonders prägnantes Beispiel dieser restriktiven Praxis war die Verweigerung der Einreise für Yanis Varoufakis, den ehemaligen griechischen Finanzminister, der beabsichtigte, auf dieser Konferenz zu sprechen. Diese Aktion, ein bisher unverzeichneter Präzedenzfall in der deutschen Nachkriegsgeschichte, illustriert, wie eine Amtsträgerin der SPD die Einreise eines Politikers aus einem verbündeten EU-Land verhinderte.
Dieser Vorfall ist symptomatisch für die fragilen Fundamente, auf denen das Konzept der Staatsräson ruht. Es handelt sich um eine ideologische Konstruktion, die mit erheblicher symbolischer Bedeutung aufrechterhalten wird, deren Legitimität jedoch zunehmend bröckelt. Der Versuch, dieses Narrativ aufrechtzuerhalten, bedarf repressiver Maßnahmen, wie sie an der Behandlung pro-palästinensischer Akteure deutlich werden. Dies ist eine Erfahrung, die viele Menschen gemacht haben, die sich öffentlich positionieren, sei es auf Demonstrationen oder in anderen öffentlichen Foren.
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Ist die Zwei-Staaten-Lösung realistisch?
Eine tragfähige Lösung würde in der Implementierung einer Zwei-Staaten-Regelung bestehen. Diese Perspektive bleibt indes illusorisch, es sei denn, die Vereinigten Staaten beschließen, entschieden einzugreifen, was gegenwärtig unwahrscheinlich erscheint. Signifikanter Wandel könnte durch einen erhöhten Druck auf Israel seitens der Europäischen Union initiiert werden, analog zu den Sanktionen, die gegen Russland verhängt wurden. Doch scheint dieser Ansatz im israelischen Kontext ineffektiv. Ein Paradigmenwechsel ist geboten. Es ist inakzeptabel, dass Vergehen eines Staates im Nahen Osten fortwährend sanktionslos bleiben.
Ein essenzieller Schritt wäre, die Handlungen Israels präzise als das zu benennen, was sie darstellen: ein schweres Unrecht. Weiterhin wird das Vorgehen im Gazastreifen von einer wachsenden Anzahl globaler Akteure als Genozid klassifiziert. Die vorherrschende Annahme, die Hamas würde ihre eigene Bevölkerung als Geiseln halten, wodurch Israel gezwungen sei, zivile Opfer in Kauf zu nehmen, dient als narrativer Schleier, der dazu bestimmt ist, die realen Umstände zu verbergen.
Eine präliminare Maßnahme zur Vertiefung unseres Verständnisses des Nahost-Konflikts liegt in der unverzerrten Wahrnehmung und Vermittlung der tatsächlichen Ereignisse. Dies erfordert eine substanzielle Veränderung im politischen und medialen Diskurs, um das öffentliche Bewusstsein für die außerordentliche Diskrepanz zwischen den etablierten Narrativen unserer Medien und Politiker und der realen Situation vor Ort zu schärfen.
Es handelt sich hierbei nicht lediglich um einen moralischen Appell, sondern um eine dringliche Notwendigkeit. In unserer Rolle als enge Verbündete Israels innerhalb Europas müssen wir uns der langfristigen Konsequenzen einer fortgesetzten Gewalteskalation bewusst sein, die sich möglicherweise in Form von Terroranschlägen manifestieren könnte, von denen auch wir nicht verschont bleiben würden. Zudem ist die potenzielle Destabilisierung der gesamten Region des Nahen und Mittleren Ostens, möglicherweise durch eine Eskalation mit dem Iran, eine reale Gefahr, die eine umfangreiche Flüchtlingsbewegung auslösen könnte, deren Auswirkungen global zu spüren wären.
Sollte sich die Krise im Nahen Osten weiter zuspitzen, könnten die daraus resultierenden humanitären Nöte umfangreiche Migrationsbewegungen auslösen, die vornehmlich Richtung Europa streben würden. Die Europäische Union und speziell Deutschland stehen dann vor der Herausforderung, auf eine potenzielle Flüchtlingswelle zu reagieren. Diese Krise ist potenziell vermeidbar, sofern die Ursachen und Verantwortlichen dieser Konflikte deutlich benannt und adressiert werden.
Obschon Organisationen wie Hamas und Hezbollah sicherlich keine Sympathieträger darstellen und ihre Entstehung als direkte Reaktion auf die israelische Besatzung zu verstehen ist, perpetuiert die andauernde Besatzung den Zyklus der Gewalt. Diese Besatzung trägt zur Verrohung der israelischen Gesellschaft bei, fördert suprematistische und dehumanisierende Ideologien, die letztendlich zur Eskalation des Konflikts beitragen. Sollte die internationale Gemeinschaft nicht entschieden intervenieren, könnte sich diese Krise zu einer unkontrollierbaren Katastrophe entwickeln, deren Auswirkungen global zu spüren sein würden.
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Unterstützt der Islam gewalttätige Aktionen?
Im Laufe der Zeit ist es zu einer traurigen Tatsache geworden, dass einige Gruppen und Einzelpersonen das Mäntelchen der Religion benutzen, um ihren oft politisch motivierten Aktionen Legitimität zu verleihen.
Interessanterweise zeigt die empirische Beobachtung, dass diejenigen, die sich in extremen Akten der Gewalt gegen Zivilisten engagieren, häufig selbst an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden – durch Drogenmissbrauch, psychische Gesundheitsprobleme oder eine Kombination von beidem. Die Verwendung dieser Individuen, die oft nur geringe oder gar keine formelle religiöse Bildung haben, für derart radikale Aktionen, unterstreicht den Missbrauch und die Verzerrung der Religion zu gewalttätigen Zwecken. Wäre der Kern der islamischen Lehre tatsächlich eine Botschaft des Terrors und der Gewalt gegen Unschuldige, müssten diese Gruppen nicht auf so verwundbare und manipulierbare Individuen zurückgreifen.
Zusätzlich zur hohen Wertschätzung des menschlichen Lebens ist im Islam der Selbstmord beispielsweise streng verboten. Dies unterstreicht weiter die Diskrepanz zwischen den grundlegenden Lehren des Islam und den Praktiken von Selbstmordattentätern. Selbsttötungsattentate sind daher nicht nur ein klarer Verstoß gegen den Quran und die Sunnah (die Praktiken und Aussagen des Propheten Muhammad ﷺ), sondern sie wurden auch später durch intellektuell verdrehte und umstrittene Interpretationen „gerechtfertigt“, die nicht im Einklang mit den ursprünglichen Lehren stehen.
Wichtig ist, dass sowohl Muslime als auch Nicht-Muslime die Fähigkeit und das Wissen besitzen, den Unterschied zwischen dem authentischen Islam und den verzerrten Auffassungen, die von extremistischen Fraktionen verbreitet werden, zu erkennen. Es liegt in der Verantwortung aller, sich für ein besseres Verständnis und eine umfassendere Wahrnehmung des Islams und seiner Lehren einzusetzen.
Während einige westliche Medienlandschaften leider eine Tendenz zur polarisierenden Berichterstattung aufweisen, die sich häufig auf die negativen Aspekte konzentriert, existieren unzählige Berichte über die Gastfreundschaft, kulturelle Reichtümer und den ausgeprägten Gemeinschaftssinn, die in vielen muslimischen Ländern vorherrschen. Diese positiven Facetten der islamischen Welt werden oft marginalisiert oder in den Nachrichtenflüssen unterrepräsentiert. Es gibt jedoch eine Fülle von Beispielen, die die kulturelle Diversität, das reiche Erbe und die zwischenmenschliche Wärme dieser Gemeinschaften illustrieren.
Kein Land und keine Kultur – weder im Westen noch im Osten – ist frei von Makeln oder Gerechtigkeitsdefiziten. Selbst die vehementesten Kritiker muslimischer Gemeinschaften sollten sich der eigenen Unvollkommenheiten bewusst sein, insbesondere im Hinblick auf Menschenrechtsverletzungen. Historisch gesehen haben sowohl westliche als auch östliche Nationen Epochen der Aggression und Ungerechtigkeit durchlebt.
Die weltgeschichtliche Erfahrung zeigt, dass Chaos und Konflikte oft durch externe Einflüsse und geopolitische Interessen verstärkt werden, die Instabilität in verschiedenen Regionen der Welt fördern und perpetuieren. Es sind vor allem machtpolitische Ambitionen, Ressourcenkonflikte und strategische Manöver, die als Katalysatoren für Konflikte fungieren.
Wir alle sollten, ungeachtet unseres kulturellen oder religiösen Hintergrunds, uns für das gemeinsame Ziel der Verständigung und des Friedens in unserer global vernetzten Welt einsetzen. Dies erfordert von uns, über vorgefasste Meinungen und Stereotype hinauszuwachsen und einen Dialog zu pflegen, der auf Respekt, Empathie und gegenseitigem Verstehen gründet. Letztlich ist es die gemeinsame Menschlichkeit, die uns alle verbindet und es obliegt uns, eine Welt zu gestalten, in der jeder Mensch in Freiheit, Würde und Gerechtigkeit existieren kann.
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